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Gruppe B: Mit viel Gefühl

Gruppe B

Mit viel Gefühl

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    Danzig Es ist bekannt, dass Umgebung und Landschaft den Menschen prägen. Demzufolge überrascht es nicht, dass der Schwarzwaldbewohner seinem Wesen nach ruhig und besonnen ist. Das ist bei den vielen Härten des Lebens, besonders den beruflichen, von unschätzbarem Wert. Wer zum Beispiel seinen Lebensunterhalt als Bundestrainer der Fußball-Nationalmannschaft verdient, kann davon immer wieder zehren. Ganz besonders in Momenten, in denen das Vorrunden-Aus bei einer Europameisterschaft droht, obwohl die Bilanz bereits zwei Siege und sechs Punkte aufweist.

    Hätte Dänemark Sonntagnacht im ukrainischen Lwiw (Lemberg) ab der 74. Spielminute einen weiteren Treffer erzielt, wäre Deutschland für den Augenblick erst einmal zur Heimreise verurteilt gewesen. Schließlich ging zu diesem Zeitpunkt im 1500 Kilometer entfernten Charkow Portugal gegen die Niederlande 2:1 in Führung. Damit wären Portugiesen und Dänen mit jeweils sechs Punkten und den besseren Quervergleichen ins Viertelfinale eingezogen. Die sechs Punkte der deutschen Mannschaft wären nichts mehr wert gewesen.

    Joachim Löw hat hinterher mit der Ruhe des Schwarzwälders verraten, dass sein Puls auch in diesen bedrohlichen Minuten nicht höher als „60 bis 65 Schläge“ pro Minute geschlagen hätte. Das beeindruckt in zweierlei Hinsicht: zum einen wegen des Gefühls, das Löw für seinen Pulsschlag besitzt, zum anderen wegen der Gelassenheit, mit der er in den Abgrund blicken kann.

    Möglicherweise aber hat ihn der 52-Jährige, anders als die deutschen Fans unter den 41500 Zuschauern im Stadion und die fast 28 Millionen vor den Fernsehern, gar nicht gesehen, weil die Erfahrung eines langen Spieler- und Trainerlebens eine andere Perspektive bietet. „Ich hatte immer das Gefühl, wir kommen einmal durch und machen ein Tor“, sagte Löw später, als das Viertelfinale mit dem 2:1-Sieg gegen Dänemark erreicht war.

    Ein Gefühl, das viele nicht teilen konnten. Nach Lukas Podolskis 1:0 (19.) in seinem 100. Länderspiel gab es erst einmal nichts mehr zu feiern. Die Dänen, die einen Sieg benötigt hätten, um sicher weiterzukommen, agierten derart verhalten, dass Löw den Eindruck hatte, „das Ergebnis scheint denen egal zu sein“. War es aber nicht. „Aus dem Nichts heraus“, so empfand es der Bundestrainer, gelang den Skandinaviern der Ausgleich (24.). Das deutsche Trainerteam hatte vor dem verhängnisvollen Eckball, den Nicklas Bendtner auf den Torschützen Michael Krohn-Dehli umleitete, noch Mats Hummels mit der Bendtner-Bewachung beauftragen wollen, aber es war zu spät. Schweinsteiger, im Kopfball-Duell mit dem sprunggewaltigen Stürmer chancenlos, versuchte erst gar nicht abzuheben.

    Die Deutschen bemühten sich zwar hinterher um den zweiten Treffer, kamen ihm aber genauso wenig näher wie die schicksalsergebenen Dänen. Es folgte, was Löw geahnt hatte. Ausgerechnet der 23-jährige Lars Bender, der den Gelb-gesperrten Jérôme Boateng vertrat und erstmals überhaupt von Beginn an spielte, schloss einen Konter zum 2:1 ab. Damit war aus deutscher Sicht der portugiesische 2:1-Erfolg über Holland belanglos.

    „Früher“, verglich Löw, „hätten wir ein solches Spiel nicht gewonnen, wir hätten es bestenfalls über die Zeit gebracht.“ Trotzdem war der 52-Jährige mit etlichem nicht zufrieden gewesen. Löw bemängelte die großen Lücken in der Abwehr und im Mittelfeld, „dadurch hatten wir wenig Zugriff auf die Dänen. Das müssen wir verbessern.“

    Deutschland trifft nun im Viertelfinale in Danzig auf Griechenland, den Überraschungszweiten der Gruppe A und Europameister von 2004. Der Bundestrainer erwartet ein ähnliches Spiel wie gegen Dänemark. Wahrscheinlich sogar, dass sich die Griechen noch stärker vor dem eigenen Strafraum versammeln und das offene Spiel verweigern, als das die Skandinavier getan haben.

    Erst einmal aber erntete die DFB-Auswahl Anerkennung vom Präsidenten. „Ihr seid ein phantastisches Team“, lobe Wolfgang Niersbach beim Heimflug nach Danzig die Spieler. Darin schloss der Präsident auch die Teamführung ein. „Jogi, du hast dich nicht beklagt über manche Schwierigkeiten bei der EM-Vorbereitung. Du hast es mit deiner Art, mit deinem Trainerteam, mit Oliver Bierhoff im Management, durchgezogen. Das ist allererste Klasse“, sagte der DFB-Chef. Das klang, als bereite Niersbach bereits den Boden für eine vorzeitige Verlängerung des 2014 auslaufenden Vertrages mit Löw.

    Das Schlusswort hatte Podolski. Dass er zuvor zum „Man of the match“ gewählt wurde, war eher seinem Jubiläum geschuldet als seiner Leistung. Podolski war nach seinem Treffer untergetaucht und hatte in der zweiten Hälfte seinen Platz für André Schürrle räumen müssen. Immerhin lernte er als „Spieler des Tages“ Lwiws Bürgermeister kennen, der ihm die Sponsoren-Trophäe überreichte. Podolskis Rede, die für jeden Jubilar in der Mannschaft obligatorisch ist, fiel erwartungsgemäß kurz aus. „Danke an alle – und ab ins Finale.“

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