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Graciano Rocchigiani: "Boxer am Boden, jutet Jefühl“

Graciano Rocchigiani

"Boxer am Boden, jutet Jefühl“

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    Der späte Graciano Rocchigiani: Als 51-Jähriger, vom Boxen und vom Leben gezeichnet. Wer einen ungeschliffenen Gast in seiner TV-Talkrunde haben wollte, lud sich Rocky ein.
    Der späte Graciano Rocchigiani: Als 51-Jähriger, vom Boxen und vom Leben gezeichnet. Wer einen ungeschliffenen Gast in seiner TV-Talkrunde haben wollte, lud sich Rocky ein. Foto: Arno Burgi, dpa

    Graciano Rocchigiani trat zuletzt im Internet und im Fernsehen als inzwischen geachteter Boxexperte auf. Mit rauchiger Stimme und gegelten grauen Haarstoppeln sagte der 54-jährige Ex-Weltmeister offen und ehrlich, kurz und knackig, mitunter sarkastisch, was richtig und was ein klares Fehlurteil ist. „Rocky“ war eine vom Gerechtigkeitssinn geprägte ehrliche Haut. Auch gegenüber sich selbst. „Klar, ich bin der schlimme Finger“, hat er einmal in einem Stern-Interview über sich und sein mehrmals aus den Fugen geratenes Leben geurteilt.

    Nun ist „Rocky“ tot. Als Fußgänger wurde der IBF-Champion im Supermittelgewicht von 1988/89 am Montagabend beim Überqueren einer mehrspurigen Staatsstraße zwischen Belpasso und Catania auf Sizilien von einem Smart überfahren. Rocchigiani war sofort tot. Warum und unter welchen Umständen er in dem Ort Belpasso bei Catania am Montagabend kurz vor Mitternacht auf der mehrspurigen Staatsstraße SS121 zu Fuß unterwegs war, ist von der italienischen Polizei noch nicht geklärt. Der 29-jährige Fahrer des Kleinwagens aus Catania sei weder alkoholisiert gewesen, noch habe er unter dem Einfluss von Drogen gestanden, hieß es aus Polizeikreisen. Er habe nicht gegen Verkehrsregeln verstoßen. Dagegen muss noch ermittelt werden, ob Rocchigiani selbst unter Alkoholeinfluss gestanden habe, wie dies Augenzeugen berichtet haben. Die Leiche des 54-Jährigen soll in Italien obduziert werden.

    Der deutsche Berufsbox-Präsident Thomas Pütz nannte Rocchigiani „einen der ehrlichsten Menschen, die ich kannte“. „Er war nicht einfach“, charakterisierte ihn Sauerland, unter dessen Leitung „Rocky“ 1988 zum ersten Mal Weltmeister wurde. Der Rechtsausleger mit der linken Klebe bestritt 48 Kämpfe und gewann 41.

    Rockys Duelle fesselten die Deutschen

    Die legendären Ringschlachten des raubeinigen Haudegens („Boxer am Boden, jutet Jefühl“) in den achtziger und neunziger Jahren haben sich im Gedächtnis jedes Boxfans eingegraben. Die WM-Duelle im Halbschwergewicht mit Henry Maske und Dariusz „Tiger“ Michalczewski oder der EM-Kampf gegen Alex Blanchard boten dramatische Spektakel. In der zweiten Runde war das rechte Auge komplett zugeschwollen. „Einäugig“ kämpfte Graciano Rocchigiani weiter und besiegte den Holländer in der 9. Runde tatsächlich noch durch K. o. Der echte Berliner „Rocky“ stellte mit seinem Kämpferherz und den Chaos-Jahren den Hollywood-„Rocky“ alias Sylvester Stallone glatt in die Ringecke.

    „Graciano, sie werden dich bescheißen, glaube es mir“, brüllte seine damalige Frau Christine nach dem Schlussgong des ersten Kampfes „Ossi gegen Wessi“ (Rocchigiani) zum Ring. Tatsächlich war der Punktsieg Henry Maskes ein höchst fragwürdiges Urteil. Das sah selbst der zu Boden geschlagene Maske so. Das Gentleman-im-Ring-Idol jener Epoche forderte seinen Promoter Wilfried Sauerland auf, sofort einen Rückkampf zu arrangieren. Den verlor „Rocky“ unstrittig nach Punkten. Unrecht widerfuhr ihm auch im ersten Kampf gegen den „Tiger“. Rocchigiani hatte sich sieben Wochen lang im legendären „Kronk Gym“ Emanuel Stewards in Detroit vorbereitet. Seine Kronk-Form bekam Dariusz Michalczewski fürchterlich zu spüren. Nach einem angeblichen Foul, ein Treffer während des „Break“ mit anschließender Verwarnung, taumelte Michalczewski auf einmal durch den Ring, mimte den schwer Getroffenen und war nicht willens, sich wieder zum Kampf zu stellen. Wohl wissend: Der Ringrichter hatte keine andere Wahl, als den total überlegenen „Rocky“ zu disqualifizieren.

    Rocchigiani war berüchtigt für seine Eskapaden

    Mehrmals geriet er mit dem Gesetz in Konflikt und verbüßte Haftstrafen. Er fuhr betrunken Auto, verlor seinen Führerschein, verprügelte Taxifahrer, kam mit Drogen in Berührung. Er war berüchtigt für seine Eskapaden, erfuhr aber auch Ungerechtigkeit. Als er erstmals im Knast saß, verurteilt wegen „versuchten Menschenhandels“, füllten Skandal-Schlagzeilen und Gefängnis-Geschichten die Zeitungen. Als er nach sechs Wochen Haft wegen erwiesener Unschuld freikam, „war ick nur noch ne kleene Meldung wert“.

    „Rocky“, der echte aus dem Leben, ist jetzt Legende. (mit dpa)

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