Von jeher sind die Sportverbände für die großen philosophischen Fragen zuständig. Wenn Schwarzgeld geflossen ist, aber keiner weiß von welcher Hand in welche Tasche: Ist es dann wirklich geflossen? Neuerdings machen sich die Funktionäre um das Konstrukt Zeit verdient. Corona lehrt Bescheidenheit, Demut, Entschleunigung.
An vorderster Stelle also die Weisen der olympischen Bewegung und des Fußballs. Sie machen sich verdient um eine neue Sicht auf die Zeit. Zwar mussten sowohl die Sommerspiele 2020 als auch die Fußball-EM 2020 um jeweils ein Jahr verschoben werden, die wackere Funktionärsriege aber weigert sich, der Zeit Tribut zu zollen. Mag sich auch erst im kommenden Jahr die (ein Jahr ältere) Jugend der Welt in Tokio versammeln und in Budapest, Rom und London um den kontinentalen Kick-Triumph gespielt werden: Es bleibt bei Olympia 2020 und EM 2020. Weil: Ist eben so. Beziehungsweise: „Um die Vision der Feier des 60. Jubiläums des EM-Turniers zu erhalten.“ Sagen die Herren der Uefa.
Merchandising spielt auch eine Rolle
Selbstverständlich müsste auch das ein oder andere Waffeleisen wieder eingeschmolzen werden, das in den Fanshops mit dem Logo der Europameisterschaft 2020 verkauft wird. Sämtliche Plüsch-Maskottchen der Olympischen Spiele würden im Reißwolf enden, bevor sie ihrem natürlichen Lebensabend als verstaubte Erinnerung in einem Regal entgegenblicken. Was Wissenschaftlern nicht gelingt, ist für Funktionäre ein Leichtes. Die aus der Zeit Gefallenen heben die Zeit aus ihren Fugen.
Für die Allgemeinheit lässt sich daraus allerlei Nützliches ableiten. Die Zeiten von Gammelfleisch sind passé. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist gar nicht abgelaufen. Am 25. April ist auch noch genießbar, wovon der Aufdruck auf der Salami ab dem 25. März abrät. Das aufgrund schwerwiegender Differenzen mit dem Lehrstoff erst 2001 abgelegte Abitur geht auch als Abi 2000 durch. Die Deutsche Bahn hat keine Probleme mehr mit Verspätungen. Wenn der für 16 Uhr eingeplante ICE erst um 23 Uhr eintrifft, ist es eben erst 16 Uhr. Nur eben sieben Stunden danach.
Ein Leben zu führen nach der eigenen inneren Uhr, welch’ Traum! Kein Getriebener zu sein von Termindruck und Verabredungen. Kommen, gehen, bleiben, so lange es beliebt. Sich die Welt einfach so machen, wie sie einem gefällt. Darin sind Funktionäre Profis.
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