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Fußball: Warum die Aufregung um Ilkay Gündogan unberechtigt ist

Fußball

Warum die Aufregung um Ilkay Gündogan unberechtigt ist

Tilmann Mehl
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    Ilkay Gündogan schoss zwei Tore gegen Estland. Beim Jubeln deutet er auf das Wappen mit dem Adler. Vielen genügt das aber noch nicht als Bekenntnis.
    Ilkay Gündogan schoss zwei Tore gegen Estland. Beim Jubeln deutet er auf das Wappen mit dem Adler. Vielen genügt das aber noch nicht als Bekenntnis.

    Ilkay Gündogan hätte es besser wissen können. Er hatte ja schon Erfahrungen mit der sozialen und medialen Empörungswelle gemacht. Dass er sich vergangenes Jahr zusammen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan fotografieren ließ und ihm auch noch ein Trikot samt Widmung überreichte, war eine geschmacklose Unverschämtheit.

    Eine, die sich auch auf die Weltmeisterschaft in Russland auswirken sollte. Nun bewegte sich Gündogan abermals unbedacht im Internet. Wie auch sein Mannschaftskamerad Emre Can postete er diesmal kein Foto, sondern hinterließ lediglich ein „Like“. Das zählt zu den bedeutungsloseren Währungen im weltweiten Netz – wird es aber missverständlich eingesetzt, sorgt es für Wirbel.

    Gündogan setzte ein Like und nahm es zurück - nicht mehr, nicht weniger

    Die beiden Nationalspieler dokumentierten mit ihrem Like, dass ihnen ein Bild der türkischen Nationalmannschaft gefiel. Auf diesem Bild zeigten die Spieler einen militärischen Gruß und da die türkische Armee seit vergangener Woche gegen Kurden in Syrien vorgeht, schwappte die Empörungswelle schnell durch die sozialen Medien. Can und Gündogan entschuldigten sich, falls Missverständnisse aufgetreten sein sollten. Schließlich habe sich ihr Like ja hauptsächlich auf Cenk Tosun bezogen, Schütze des 1:0 der Türken gegen Albanien, Initiator des Salut-Jubels – und Bekannter von Can sowie Gündogan.

    „Ich habe den Post von Tosun, den ich schon lange kenne, beim Scrollen geliked, ohne jegliche Intention und auf den Inhalt zu achten. Ich bin ein absoluter Pazifist und gegen jede Art von Krieg“, sagt Gündogan. Er zog seinen Like wieder zurück, Can ebenso. Und damit könnte alles beendet sein.

    Ist es aber nicht. Weil einige Medien und etliche Privatpersonen vom DFB verlangen, die Nationalspieler mit türkischen Wurzeln endlich zur Räson zu rufen. Weil immer noch nicht klar zu sein scheint, dass der Begriff Heimat auch im Plural empfunden werden kann. Weil verlangt wird, Gündogan und Can sollten sich von türkischen Gräueltaten distanzieren.

    Wie Gündogan, zog auch Can später sein Like zurück.
    Wie Gündogan, zog auch Can später sein Like zurück. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Niemand käme auf die Idee, von Manuel Neuer zu verlangen, er möge sich bitte vom in Halle mordenden Rechtsterroristen distanzieren. Neuer ist in Deutschland geboren. Can und Gündogan auch.

    Selbst, wenn die beiden den türkischen Soldaten mit ihrer Internet-Geste Gesundheit wünschen wollten, spräche nichts dagegen. Es würde dem entsprechen, was konservative Parteien als Patriotismus bezeichnen. US-amerikanische Sportler zollen ihren Soldaten immer wieder Respekt. Die Geschichte hat gezeigt, dass nicht jeder Einsatz zwingend vom Völkerrecht gedeckt war.

    Türkischstämmige Sportler sollen deutscher als der deutsche Deutsche sein

    Türkischstämmige Sportler stehen aber in Deutschland noch immer teilweise unter besonderer Beobachtung. Sie sollten deutscher als der deutscheste Deutsche sein, um vollkommen anerkannt zu sein. Dumm nur, dass es keine allgemeingültige Definition dafür gibt, was denn nun deutsch ist. Klar ist nur, was es nicht ist: einem Bekannten ein fragwürdiges Like zu hinterlassen.

    „Am Ende ist das immer Interpretationssache. Man interpretiert das, wie man es will, gerade eine bestimmte Partei macht das des Öfteren“, sagte Gündogan nach dem Erfolg gegen Estland. Dabei ist in diesem Fall nicht die von ihm angesprochene AfD Urheber der Empörung. Sie kam aus allen Teilen der Bevölkerung.

    Dem DFB ist diesmal – anders noch als in der Causa Erdogan im Vorjahr – kein Vorwurf zu machen. Joachim Löw und Oliver Bierhoff stellten sich sofort vor ihre beiden Spieler. Auch sind weder moralische Debatte noch Gesinnungstest notwendig. Can und Gündogan haben niemanden beleidigt. Viel eher stellt sich die Frage, wie nervös und sensibel eine Gesellschaft ist, in der ein unbedachter Klick derart intensive Reaktionen hervorruft.

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