In England gibt es eine feststehende Redewendung: "Doing a Leeds". Damit wird, verkürzt gesagt, ein verheerendes finanzielles Missmanagement eines Fußball-Klubs beschrieben, der hoch hinaus will, sich dabei ruiniert und am Ende völlig einbricht. Es gibt sogar einen ausführlichen Wikipedia-Artikel dazu. Auf deutsche Verhältnisse gemünzt, haben der TSV 1860 oder der HSV zuletzt ordentlich ge-leedst.
Doch an das Original reicht natürlich keiner heran: Leeds United wurde zu Beginn des Jahrtausends zu einem Synonym für riesige Ambitionen, verbunden mit ebenso enormen Investitionen und einem jähen Absturz. 2001 spielte der dreimalige Meister noch im Halbfinale der Champions League. Nur drei Jahre später stand der Abstieg aus der Premier League fest. Es folgten ein Finanz-Chaos, noch ein Abstieg, den gesamten Klub erfasste eine tiefe Depression. Diese fand am Wochenende ihr Ende: Nach 16 Jahren stieg Leeds wieder in die erste Liga auf. Einen Spieltag vor Schluss ist dem Team das nicht mehr zu nehmen. Damit ist die Leidenstour eines der traditionsreichsten Vereine und seiner Fans vorerst zu Ende.
"We'll be back": Eine Familie aus Leeds-Fans stellte ein Bild nach
Eine von vielen Geschichten, die in diesen Tagen an die Öffentlichkeit gelangen, dreht sich um eine Familie aus Leeds-Fans. Vater, Sohn und Tochter Kershaw hatten beim Erstliga-Abstieg 2004 ein Plakat in eine Kamera gehoben. "We’ll be back" (Wir werden wiederkommen) war darauf zu lesen. 16 Jahre später stellten die drei es nach: Der Vater sichtlich ergraut, die Kinder zu Erwachsenen geworden. Sohn Tom Kershaw twitterte die Bilder und schrieb: "Es ist geschehen."
Eine andere Geschichte dreht sich um den Trainer der Truppe aus Nordengland: Marcelo Bielsa. Der 64-Jährige, der in seiner Heimat Argentinien den Spitznamen "El Loco" (der Verrückte) verpasst bekam, ist ein Trainer, wie es ihn kein zweites Mal gibt. Bielsa, der selbst nur selten Spitzenteams trainierte, gilt als Vorreiter eines modernen Fußball-Verständnisses – und als Besessener, der von Heerscharen heutiger Spitzentrainer geradezu manisch verehrt wird. Der ehemalige argentinische Nationaltrainer Jorge Sampaoli etwa verfolgte als Nachwuchstrainer Bielsas Trainingseinheiten mit einem Fernglas und hörte sich dessen Pressekonferenzen beim Joggen an. Auch Tottenhams Ex-Coach Mauricio Pochettino, einst Bielsas Spieler, zählt zu seinen Fans.
Guardiola: "Wer ein Trainer werden will, muss vorher mit ihm geredet haben"
Der wohl bekannteste Bielsa-Jünger ist Pep Guardiola, gegen dessen Manchester City Leeds in der kommenden Saison spielen wird. Der Spanier sagte einst über Bielsa: "Wer ein Trainer werden will, muss vorher mit ihm geredet haben." Eben das tat der Spanier: Bevor seine Karriere begann, stattete er Bielsa auf dessen Ranch einen Besuch ab. Der Legende nach sprachen beide 13 Stunden lang über taktische Finessen, die alle dem gleichen Prinzip folgen: extremes Pressing, schnelles Passen, permanenter Angriff. Es ist der Fußball, den Pep-Teams und auch der FC Liverpool heute zeigen. Bielsa gilt als verrückter Professor des Weltfußballs. Oder, um es mit seinem Bewunderer Guardiola zu sagen: "Er beeinflusst Spieler und das gesamte Spiel. Er ist der beste Trainer der Welt."
Lange Zeit sah es so aus, als ob Bielsa alle Klubs mit seiner intensiven Arbeitsweise überfordern würde. Selten hielt er es bei seinen letzten Arbeitgebern länger als ein Jahr aus. Bei Lazio Rom kündigte er 2016 sogar nach nur zwei Tagen im Amt, weil es keine Aussicht auf die seiner Meinung nach nötigen Neuzugänge gab. Ausgerechnet in Leeds, das wie kaum ein anderer englischer Klub für das Scheitern steht, sollten seine Ideen aber auf fruchtbaren Boden fallen. Schon nach Bielsas Ankunft in Leeds im Sommer 2018 machte der Coach aus dem Chaos-Klub einen Aufstiegskandidaten. Lange rangierte der Klub auf einem direkten Aufstiegsplatz, scheiterte aber denkbar knapp in der Aufstiegsrelegation.
Bielsa ließ seine Spieler in Leeds Müll sammeln und gab ein Tor zurück
Doch nicht nur wegen Toren und Siegen lieben die Leeds-Fans den Argentinier: Seine Spieler ließ er Müll sammeln, unter seinen Mitarbeitern verloste er vor Weihnachten ein Auto, das er eigens dafür gekauft hatte. Weil Leeds gegen den Konkurrent Aston Villa ein Tor unter fragwürdigen Umständen erhielt, wies er seine Spieler an, dem Gegner ein Tor zu schenken, und erhielt dafür den Fair-Play-Preis der Fifa. Seit April gibt es in Leeds eine Messing-Statue von Marcelo Bielsa.
In der Freude um den Aufstieg mischt sich übrigens etwas Ärger: Auslöser ist der Stürmer Jean-Kevin Augustin, den Leeds von RB Leipzig ausgeliehen hatte. Die Sachsen sind der Meinung, dass Leeds die im Aufstiegsfall vereinbarte Kaufverpflichtung erfüllen muss. Leeds betrachtet die Leihe des gefloppten Stürmers hingegen seit Ende Juni als beendet und weigert sich, die Summe von 21 Millionen Euro zu zahlen. Ob das jetzt unter "Doing a Leeds" fällt?
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