Der Fernseher lieferte an jenem 20. Juni 1976 noch immer nur Schwarz-Weiß-Bilder ins Haus. Für diesen Abend aber war das egal. Draußen war auch schwarz-weiß. Das Flutlicht in Belgrad tat sich schwer gegen die Finsternis. Nur gut, dass die Deutschen im EM-Finale gegen die CSSR in Weiß spielten. Nach 120 Minuten stand es 2:2. Es kam zum ersten Elfmeterschießen in einem großen Turnier. Premiere. Bislang hatte das Los über das Weiterkommen entschieden. Nun hieß es fünf gegen fünf. Aus elf Metern auf einen Kasten in den Ausmaßen 7,32 Meter mal 2,44 Meter.
Mancher, der noch nie einen Elfmeter geschossen hat, fragt sich, was so schwierig daran ist, einen Ball aus elf Metern an einem Tormännchen vorbei in ein Gehäuse von der Größe eines Lkw zu schießen. Sie wissen aber auch nicht, wie der Lkw, im Moment des Anlaufs auf das Format eines Tretautos schrumpft, während sich das Männchen zum Riesen auswächst.
EM-Finale 1976: Als Hoeneß den Ball in die Wolken jagte
Kein anderer hat diesen Prozess schöner beschrieben als Uli Hoeneß. Für alle, die es vergessen haben: Uli Hoeneß war in den 70er Jahren einer der besten Stürmer Europas. Als solcher jagte er im Elfmeterschießen des EM-Finales 1976 gegen die damalige CSSR den Ball über den Querbalken. "Einsam spazierte ich auf den weißen Punkt, rings um mich Sahara", beschrieb Hoeneß später sein Trauma. "Ich schaute dem Ball nach, sah ihn immer höher steigen. Wie eine Weltraumrakete sauste er in Richtung Wolken."
Als Uli Hoeneß mit zurückgelegtem Oberkörper anlief, war klar, dass der Ball über den Querbalken segeln musste. Unsere Träume vom EM-Triumph flogen ihm hinterher. Denn es kam Antonín Panenka - und der wusste genau, was er tat. Nicht jeder Elfmeterschütze kann das behaupten. Der Tscheche mit der Schwejk-Attitüde schaufelte die Kugel wie ein rohes Ei in die Tormitte, während Sepp Maier in eine Ecke hechtete. Die CSSR war Europameister. Hoeneß hatte dem Elfmeterschießen ein Premieren-Drama beschert. Unser Fernseher sendete Trauer.
Dieser Text ist Teil der Serie "Momente für die Ewigkeit", mit der wir spezielle Ereignisse der Sportgeschichte würdigen. In dieser Serie ist bislang erschienen:
- Vier Minuten und 38 Sekunden Ekstase: Als Schalke "Meister der Herzen" wurde
- Nia Künzers irrwitziger Auftritt im Strafraum
- Als Muhammad Ali "Karl den Großen" Mildenberger adelte
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.