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Fußball: Diver, Ring-Kuss und mehr: Eine Typologie des Jubels

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Diver, Ring-Kuss und mehr: Eine Typologie des Jubels

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    Ein Spektakel von einem Jubel. Der Diver von Jürgen Klinsmann verbindet das Freude mit humorvoller Kritik. Zeitloser Klassiker.
    Ein Spektakel von einem Jubel. Der Diver von Jürgen Klinsmann verbindet das Freude mit humorvoller Kritik. Zeitloser Klassiker. Foto: Imago Images

    Falls Sie es nicht mehr auf dem Schirm hatten: Der Samstag, 24. Juli, gilt als internationaler Tag der Freude. Freude bedeutet auf dem Fußballplatz fast immer: der Jubel über ein Tor. Und weil Freude viele Gesichter hat, gibt es ebenso viele Möglichkeiten, einen soeben erzielten Treffer zu feiern. Es folgt der Versuch einer Typisierung des Torjubels.

    Der Klassiker. Von keinem so schön (und so oft) gezeigt wie von Gerd Müller.
    Der Klassiker. Von keinem so schön (und so oft) gezeigt wie von Gerd Müller. Foto: dpa

    Der naive Hüpfer Die Urform des Torjubels und bis in die späten 70er Jahre gerne verwendet. Wenn überhaupt mal besonders über ein Tor gejubelt wurde, dann mit diesem Ausdruck naiver Freude: eine oder beide Hände ausgestreckt, dazu ein Sprüngchen nach oben. Ein Jubel, dem man ansah: Der Torschütze hat sich im Vorfeld nichts überlegt und weiß deswegen eigentlich auch gar nicht wohin mit seinen Emotionen. Besonders oft zu sehen gewesen von Gerd Müller.

    Die Windmühle Schon immer waren die Briten in fußballerischen Marketing-Fragen führend – von daher ist es kein Wunder, dass der erste Signature-Move auf der Insel erfunden wurde. Mick Channon, der in den 60er und 70er Jahren vornehmlich für Southampton stürmte, feierte seine Buden mit kreisenden Bewegungen seiner ausgestreckten rechten Hand: die Windmühle. Sah zwar nicht wirklich elegant und eher grobkörnig aus, war aber der erste einstudierte Torjubel.

    Die Säge Bis in die 90er Jahre der VW Golf unter den Torjublern und heute leider nur noch viel zu selten zu sehen. Nach der Knipse geht der Jubelnde in die Knie, um mit der rechten Faust eine horizontale Bewegung an einem imaginären Baumstamm zu vollführen. Eine Bewegung wie ein stolzer Tom-Selleck-Schnurrbart: kraftvoll, schnörkellos, oldschool. Hach. Berühmte Säger waren Stefan Kuntz oder Bernhard Winkler. Später führte Jürgen Klopp die Säge-Tradition immerhin an der Seitenlinie fort.

    Der Fingerzeig Der Bruder im Geiste der Säge: minimalistisch, simpel, direkt. Anstatt Salti zu schlagen, bleibt der Torschütze stehen, um mit seinem Finger auf einen gedachten Punkt weit über dem Stadiondach zu zeigen. Sonst nichts. Ein Jubler wie ein Paar schwarze Beckenbauer-Kickschuhe. Weder die Schuhe noch dieser Jubel haben es in dieses Jahrtausend geschafft.

    Der Diver Dass ein Torjubel auch ein Konter sein kann, zeigte Jürgen Klinsmann nach seinem Wechsel zu Tottenham 1994: Die gewohnt feinfühlige englische Presse glaubte den Deutschen noch vor seiner ersten Partie als „Diver“, also als Schwalbenkönig entlarvt zu haben. Klinsmann reagierte cool und feierte fast jedes seine 20 Premier-League-Tore mit einem Bauchrutscher. Geboren war der Diver, der fortan so manchen Amateurkicker mit weniger Körperspannung einen zerschundenen Bauch bescheren sollte.

    Breel Embolo wird sich ungerecht behandelt gefühlt haben. Eindeutiges Indiz: Hand an die Ohren. Warum auch immer.
    Breel Embolo wird sich ungerecht behandelt gefühlt haben. Eindeutiges Indiz: Hand an die Ohren. Warum auch immer. Foto: dpa

    Der "Na, was is jetzt?" Die aggressivere Variante des Divers. Nach einem Treffer vollführt ein zuvor von Fans, Trainer oder Funktionären (oder allen zusammen) geschmähter Spieler einen Sprint in Richtung des jeweiligen Übeltäters, um mit beiden ans Ohr gelegten Händen zu demonstrieren, dass er nichts mehr hören kann. Sprich: Die Gegenseite aktuell keine guten Argumente für sich hat. Ein moderner Klassiker der Publikumsbeschimpfung.

    Der Golfschläger Das One-Hit-Wonder unter den Torjublern – und einer mit einer Vorgeschichte: Im Trainingslager des FC Liverpool gerieten 2007 die Spieler John Arne Riise und Craig Bellamy aneinander. Bellamy, von seinem Ex-Trainer Bobby Robson als „ein Mensch, der alleine in einem Raum eine Schlägerei anfangen kann“ bezeichnet, soll den Norweger mit einem Golfschläger malträtiert haben. Das gab Ärger – und doch hielt es den Waliser nicht davon ab, sein Tor im nächsten Spiel mit einem Golfschwung beim Abschlag zu feiern. Bellamy hat seither einen Spitznamen weg: „The Nutter with the Putter“. Zu deutsch: „Der Verrückte mit dem Golfschläger.“

    Daumen in den Mund, Ball unters Trikot. Leipzigs Yussuf Poulsen macht nicht als erster Spieler auf Babyfreuden aufmerksam - und auch nicht als letzter.
    Daumen in den Mund, Ball unters Trikot. Leipzigs Yussuf Poulsen macht nicht als erster Spieler auf Babyfreuden aufmerksam - und auch nicht als letzter. Foto: Woi Hpl

    Das Baby Kam in den 90er Jahren auf. Vornehmliches Ziel des Torschützen: Die Öffentlichkeit soll informiert werden, dass bald Nachwuchs im Hause des Fußballstars ansteht. Dazu wird öffentlichkeitswirksam der Ball unters Trikot geklemmt, der Daumen in den Mund gesteckt oder ein imaginäres Baby in den Schlaf geschaukelt. Experten der Choreografie schaffen es, all das gleichzeitig aufzuführen, damit auch der letzte Boulevardschreiber versteht, was die Stunde geschlagen hat. Eignet sich auch als geschlossener Mannschaftsjubel. Und Babys mag ja ohnehin jeder, der ein Herz in seiner Brust schlagen hat.

    Carsten Jancker schoss nicht die meisten Bayern-Tore und auch nicht die schönsten. Sein Jubel aber: Simpel und doch einprägsam.
    Carsten Jancker schoss nicht die meisten Bayern-Tore und auch nicht die schönsten. Sein Jubel aber: Simpel und doch einprägsam. Foto: dpa

    Der Ringkuss Bei aller zur Schau getragenen Extravaganz ist der gemeine Fußballprofi doch eigentlich ein Spießer geblieben. Fällt ja allein dadurch auf, dass Exzesse eben Exzesse sind und nicht die Normalität. Wie es sich also für einen guten deutschen Spießer gebührt, wird schon in jungen Jahren geehelicht. Noch bevor der Ball unters Trikot oder der Daumen in den Mund kommt, wird der Ring auf den Finger geschoben. Und geküsst. Wie weiland Carsten Jancker, der ja schon Fußballgott war, bevor Bastian Schweinsteiger in den Olymp aufstieg. Jancker also küsste nach jedem seiner Treffer den Ring, auf dass man im Stadion wusste: Der Mann ist vergeben. Heutzutage sind Ringe nicht mehr erlaubt. Verletzungsgefahr. Dafür liebkosen Spieler gerne ihre Handgelenke – wenn dort das Hochzeitsdatum eintätowiert ist. Auch spießig.

    Dass der Fußball sich nicht mehr auf die bequeme Position zurückzieht, unpolitisch zu sein, demonstrierte Leon Goretzka eindrucksvoll.
    Dass der Fußball sich nicht mehr auf die bequeme Position zurückzieht, unpolitisch zu sein, demonstrierte Leon Goretzka eindrucksvoll. Foto: dpa

    Das Herz Könnte in einer Reihe stehen mit Ringkuss und Daumennuckler. Wenn mit den Fingern beider Hände ein Herz geformt wird, darf sich oft die Partnerin angesprochen fühlen (wenn der Angebetete noch keine liebestolle Tätowierung vorweisen kann). Manchmal aber wirkt der Jubel über die partnerschaftliche Beziehung hinaus. Als Leon Goretzka den ungarischen Fans nach dem späten Ausgleich während der EM das Herz entgegenstreckte, wollte er nicht seine Liebe zu einer ungarischen Anhängerin dokumentieren. Die Geste stand symbolisch für Diversität, gegen Ausgrenzung. Es war eine der stärkeren deutschen Aktionen während der EM. Sie steht in einer Reihe mit der Friedenstaube, die Giovane Elber kurz nach den Anschlägen am 11. September 2001 formte. Damals wie heute: ein Zeichen, dass Profis über das Rasenviereck hinausblicken.

    1:0 Jubel v.l. Torschuetze Pierre-Emerick Aubameyang mit Batman-Maske, Marco Reus mit Robin-Maske Dortmund
Fussball Bundesliga, Borussia Dortmund - FC Schalke 04 3:0
    1:0 Jubel v.l. Torschuetze Pierre-Emerick Aubameyang mit Batman-Maske, Marco Reus mit Robin-Maske Dortmund Fussball Bundesliga, Borussia Dortmund - FC Schalke 04 3:0 Foto: Td

    Der Superheld Kinder sind erschreckend realitätsbewusst. Nach ihrem Berufswunsch gefragt, antworten viel mehr mit "Fußballprofi" als mit "Superheld". Weil es einfach mehr Profis als Helden gibt und die Bezahlung eines durchschnittlichen Zweitliga-Kickers höher ist als die von Spiderman Peter Parker. Dazu noch: Die ganze Zeit die Welt retten, irre anstrengend. Aber auch lässig. Wenn jemand das Beste aus beiden Welten verbinden kann, dann ja wohl ein Fußball-Profi. Wem Woche zu Woche Zehntausende zujubeln, darf sich auch mal als Held fühlen. Und als solcher kleiden – dachten Pierre-Emerick Aubameyang und Marco Reus, als sie sich 2015 nach einem Treffer gegen Schalke 04 als Batman und Robin verkleideten. Zuvor hatte sich Aubameyang nach einem Tor gegen die Bayern schon mal eine

    Cristiano Ronaldo ohne Signature-Jubel? Nicht vorzustellen!
    Cristiano Ronaldo ohne Signature-Jubel? Nicht vorzustellen! Foto: Witters

    Der Marketing-Gag So ein Markenzeichen lässt sich – Achtung: nomen est omen und so – gut vermarkten. Michael Jordan streckte seine Zunge heraus, wenn er ansetzte, den Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen. Machte sich gut auf Postern. Cristiano Ronaldo verfiel auf die Idee, nach seinen Toren Richtung Eckfahne zu laufen, im Sprung eine halbe Drehung zu vollführen und bei der breitbeinigen Landung zu schreien. Robert Lewandowski kreuzt die Arme vor dem Oberkörper zu einem X. Tieferer Sinn dieser beiden Gesten? Eher nicht. Andererseits: Der ritualisierte Griff zur Bierflasche nach einem erfolgreichen Arbeitstag ist ja auch nichts anderes als das Markenzeichen des kleinen Mannes. Lässt sich nur leider nicht ganz so gut vermarkten.

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