Ob Karl Wald aus dem oberbayerischen Penzberg vor 50 Jahren die Tragweite seiner Erfindung bewusst war? Wahrscheinlich nicht. Der Impuls des gelernten Friseurs war eher der: Eine aus seiner Sicht himmelschreiende Ungerechtigkeit sollte der Vergangenheit angehören. Zuvor wurden Spiele nach der Verlängerung jahrzehntelang per Los oder Münzwurf entschieden.
"Das ist sportlicher Betrug, das ist glatter Blödsinn", sagte der 1916 in Frankfurt am Main geborene Wald einmal. Und so ließ er das von ihm erdachte Format mit je fünf Elfmeterschützen pro Team in Bayern in den 1960er Jahren testen – heimlich bei Freundschaftsspielen. "Das war für ihn schon ein Ritt auf der Kanonenkugel, nicht ganz ungefährlich", erinnert sich Karl Walds Enkel Thorsten Schacht heute. Sein Großvater habe "ganz schön Muffensausen" gehabt, dass ihn irgendjemand vom DFB bei seinen heimlichen Tests erwischen könnte. "Schließlich wäre seine Schiedsrichter-Lizenz wohl weg gewesen", meint Schacht.
Der Bayerische Fußball-Verband wollte das Elfmeterschießen noch verhindern
Bei den Fans stieß seine Erfindung auf breite Zustimmung. Die Führung des Bayerischen Fußball-Verbandes wollte seinen Vorschlag beim Verbandstag 1970 blockieren. Als sich die Mehrheit schließlich pro Elfmeterschießen aussprach, war der Durchbruch am 30. Mai 1970 geschafft. Wenig später übernahmen der Deutsche Fußball-Bund (DFB), bald auch der Europa- (Uefa) und der Weltverband Fifa die Neuheit – und die Fußball-Dramen nahmen ihren Lauf. Anlässlich des Jubiläums erinnern sich drei unserer Redakteure an legendäre Dramen vom Punkt aus.
1976: Deutschland gegen Tschechoslowakei, oder: Panenka wusste, was er tat
Der Fernseher lieferte an jenem 20. Juni 1976 noch immer nur Schwarz-Weiß-Bilder ins Haus. Für diesen Abend war das egal. Draußen war auch schwarz-weiß. Das Flutlicht in Belgrad tat sich schwer gegen die Finsternis. Nur gut, dass die Deutschen im EM-Finale gegen die CSSR in Weiß spielten. Nach 120 Minuten stand es 2:2. Es kam zum ersten Elfmeterschießen in einem großen Turnier. Premiere.
Bislang hatte das Los über das Weiterkommen entschieden. Nun hieß es fünf gegen fünf. Als Uli Hoeneß mit zurückgelegtem Oberkörper anlief, war klar, dass der Ball über den Querbalken segeln musste. Unsere Träume vom EM-Triumph flogen ihm hinterher. Denn es kam Antonín Panenka – und der wusste genau, was er tat. Nicht jeder Elfmeterschütze kann das behaupten. Der Tscheche mit der Schwejk-Attitüde schaufelte die Kugel wie ein rohes Ei in die Tormitte, während Sepp Maier in eine Ecke hechtete. Die CSSR war Europameister. Hoeneß hatte dem Elfmeterschießen ein Premieren-Drama beschert. Unser Fernseher sendete Trauer. (Anton Schwankhart)
2001: FC Bayern gegen Valencia, oder: Der eiskalte Hargreaves
Die Spannung im Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadion war an diesem 23. Mai 2001 kaum zu überbieten. Im Champions-League-Finale zwischen dem FC Bayern und dem FC Valencia musste das Elfmeterschießen entscheiden. Ich fieberte auf der Gegentribüne mit, als es beim Stand von 2:2 mucksmäuschenstill in der Arena wurde. Bayern-Keeper Oliver Kahn bereitete sich auf den nächsten Schützen vor, da fingen ich und meine neben mir zitternde Bekannte gemeinsam an, „Olli, Olli“ zu skandieren.
Gefühlt stimmten sofort alle Bayern-Fans mit ein, Kahn wehrte den Schuss von Carboni ab und blieb später auch gegen Kily González Sieger. Der Jubel über den 5:4-Sieg war bei mir und allen um mich herum riesengroß. Auf der Pressekonferenz, an der ich durch Zufall teilnehmen durfte, lobte Bayern-Trainer Otmar Hitzfeld die Kaltschnäuzigkeit von Owen Hargreaves beim Elfmeterschießen. Doch der hatte gar nicht geschossen, wie mir der damalige AZ-Sportchef Franz Neuhäuser auf Nachfrage bestätigte. Das war aber da ohnehin egal. (Walter Brugger)
1990: Deutschland gegen Italien, oder: Rauchschwaden über Turin
Von einem Rauchverbot hatte im Sommer 1990 noch niemand gehört. Ich nicht, mein Vater nicht und auch nicht dessen Freunde, mit denen ich das WM-Halbfinale zwischen Deutschland und England ansehen durfte. Für mich, den Neunjährigen, war alles an diesem Abend magisch. Und das, was aus dem 600 Kilometer entfernten Turin in unser Wohnzimmer übertragen wurde, kommentierten Gerd Rubenbauer, mein Vater und dessen Freunde für mich.
Ich hing an ihren Lippen, als sie von der englischen Härte dozierten, feierte die Führung von Brehme, der späte Ausgleich Linekers stürzte mich in Verzweiflung. Je länger das Spiel dauerte, desto schwieriger wurde es aber, dem Geschehen auf dem Rasen zu folgen: Die Herrengruppe quarzte die Zigaretten im Takt eines Industrieofens weg. Die Rauchschwaden vernebelten den Blick auf unseren Röhrenfernseher. Nach 120 Spielminuten waren meine Augen gerötet – egal: Elfmeterschießen. Als Pearce und Waddle verschossen, standen wir im Finale. Nur bei der finalen Schnapsrunde musste ich passen. Was für ein Abend. (Florian Eisele)
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