Sebastian Vettel saß vor einer Wand mit Holzbalken. Schweizer Fachwerk in seiner schönsten Form. Hinter ihm hingen Bilder, er nahm sogar eines von der Wand, um es in die Kamera zu halten. Pressekonferenzen in Zeiten von Corona. Immerhin gewannen die Reporter, die aus aller Welt zugeschaltet waren, so einen kleinen Eindruck von dem Haus, in dem Vettel mit seiner Familie in der Schweiz lebt. Einige Wochen ist dieses Interview nun her. Mercedes hat am Wochenende ein Gespräch mit Lewis Hamilton aufgezeichnet. Der Weltmeister sitzt vor einer holzvertäfelten Wand. Die könnte so überall stehen und liefert keinen Hinweis auf die Wohnumstände des Briten. Er trägt eine Mütze, sein Bart wirkt etwas struppig. Soll nun aber bloß keiner denken, Hamilton ließe sich gehen und würde tatenlos auf den Saisonauftakt der Formel 1 warten.
Formel-1-Saisonstart findet ohne Zuschauer statt
Am 5. Juli soll die Königsklasse des Motorsports in Österreich starten. Der Kurs in Spielberg ist bereit, der Formel 1 als Bühne für ihre Rückkehr zu dienen. Es werden keine Zuschauer vor Ort sein, die Teams werden abgeschottet und möglichst keinen Kontakt untereinander haben. Der Vorteil Spielbergs ist, dass in der Nähe der Strecke gleich ein Flughafen liegt. Das könnte die Logistik erleichtern.
Einige Monate müssen die Fahrer mittlerweile pausieren. Der Saisonstart war für Mitte März in Australien geplant. Alles war vorbereitet, ehe kurz vor dem ersten Training die Absage kam. „Das war schon surreal. Es waren schwere Tage“, sagt Hamilton. Wie alle anderen musste er aus Australien abreisen, ohne im Auto gesessen zu haben. Freilich aber hatte der Brite Verständnis für die Verschiebung des Rennens. Ebenso wie für die Absage der folgenden geplanten Auftritte der Formel 1. Die Welt steht still, natürlich damit auch die Formel 1.
Lewis Hamilton trainiert die schwachen Muskelgruppen
„Ein Schock für das System“ sei das gewesen, meinte Hamilton. „Es gab Zeiten in den vergangenen fünf Jahren, in denen ich dachte, dass eine Erholungspause gut für den Körper und den Kopf wäre. Aber für einen Athleten auf dem Höhepunkt ist es nie gut, für ein Jahr wegzugehen. Jetzt wurde uns ein Teil-Sabbatjahr beschert, das genieße ich“, sagt Hamilton. Sechs Wochen sei er nun schon zu Hause. So lange wie noch nie an einem Stück, betont der Brite. Er trainiert fleißig, hält sich fit für den Tag X. Vor allem Muskelgruppen, die er bislang zu den Schwachstellen seines Körpers zählte, bearbeitet er nun kräftig: die Waden zum Beispiel.
„Ich fühle mich frischer und gesünder als je zuvor“, sagt der 35-Jährige. Er spüre sogar „mehr Energie, mehr Inspiration und mehr Entschlossenheit“. Immerhin ist Hamilton auf dem Weg, den Rekord von Michael Schumacher einzustellen. Sollte in dieser Saison tatsächlich noch eine reguläre Weltmeisterschaft stattfinden, könnte er seinen siebten Titel holen und mit dem deutschen Rekordweltmeister gleichziehen.
Rosberg sieht große Auswirkungen durch Corona-Zwangspause
Nico Rosberg allerdings bezweifelt, dass sein ehemaliger Mercedes-Teamkollege topfit für den Start sein wird. Die lange Pause wirke sich aus, sagt Rosberg bei RTL und ntv. „Ich bin mir nicht sicher, ob er das versteht, wie der Körper sich innerhalb von fünf Monaten abbaut in Sachen Präzisionsgefühl und Fahrkönnen.“ Rosberg also befürchtet, dass Hamilton die Situation unterschätzen könne. Und: „Bei den Fahrern sehe ich zwei Herausforderungen. Erst mal sind es die Muskeln und gerade die Nackenmuskeln. Es ist unmöglich, diese Kräfte in deinem Fitnessstudio zu trainieren.
Was noch komplizierter ist, dass sie die Perfektion des Autofahrens verlernen.“ Diese Präzisionsarbeit lasse sich kaum trainieren. Sebastian Vettel hat mittlerweile begonnen, an virtuellen Rennen teilzunehmen. Er hat wohl erkannt, dass das Simulatorfahren beim Wiederfinden der Feinmotorik helfen könne. Hamilton macht das offenbar noch nicht. Er vertraut auf sich und sein Talent. Ob er sich damit nicht verkalkuliert?
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