Dass Michael Schumacher mal als Barkeeper aushelfen würde, war nicht unbedingt zu erwarten. Der Rennfahrer hatte ja einen recht lukrativen Job in der Formel 1, da sind Aushilfstätigkeiten normalerweise nicht nötig. An diesem Abend in Jerez aber stand Schumacher plötzlich hinter der Theke. In einem Hotel war das, neben ihm Jacques Villeneuve. Der Weltmeister und sein Vize feierten zusammen. Beste Freunde aber wurden sie auch dadurch nicht. Am Nachmittag zuvor waren sich die beiden nämlich ähnlich nahe gekommen. Da noch in ihren Rennwagen – und das geht selten gut.
Es war ein prickelndes Saisonfinale 1997. Michael Schumacher führte vor dem letzten Rennen in Jerez die Gesamtwertung an. Jacques Villeneuve aber lauerte. Er hatte eine starke Saison bis dahin, seinem Williams-Teamkollegen Heinz-Harald Frentzen war er mehrfach um die Ohren gefahren. Nun also das Finale. "Es war ein Hollywood-Szenario", sagte Villeneuve, "es war eines jener Jahre, an das sich die Leute erinnern. Das kann man sich unmöglich ausdenken. Würde man es in einem Drehbuch schreiben, würden einen die Leute für verrückt erklären. Eigentlich ist es nicht möglich."
In Runde 48 sieht Villeneuve seine große Chance
Den Start in Jerez verpatzte der Kanadier. Schumacher zog davon, es könnte tatsächlich etwas werden mit seinem ersten Titel für Ferrari. Seit 1979 warteten die Italiener auf diesen Moment. Schumacher war auf dem besten Weg, den großen Traum für sich und die Tifosi zu erfüllen. Villeneuve aber zeigte alles. Er fuhr am Limit, Runde für Runde. Immer im Qualifikationsmodus, wie er hinterher erklärte.
Also immer Vollgas, immer am Limit. Auch von den Sauber-Piloten, die als Kundenteam Motoren von Ferrari bekamen und daher als fahrende Bremsklötze eingesetzt wurden, ließ er sich nur kurz aufhalten. In Runde 48 von 69 sah Villeneuve plötzlich die große Chance gekommen. "Ich geriet sogar in den Dreck, aber ich ging das Risiko ein. Dann sah ich, dass ich den einen Meter näher dran war als in den Runden zuvor. Ich habe es einfach probiert", schilderte er später. Er schob sich auf die Innenseite der Kurve, direkt neben Schumacher. Der war überrascht, lenkte zunächst weg, ehe er es mit einem Rammstoß nach rechts versuchte. Der allerdings ging schief. Schumacher landete selbst im Kiesbett, sein Rennen war vorbei.
1994 hat Schumacher schon Hill aus dem Rennen bugsiert
Villeneuve dagegen konnte zu Ende fahren. Die Batteriebefestigung war zwar beschädigt, da sein Auto nach Schumachers Einschlag abgehoben war. Den dritten Platz aber rettete Villeneuve noch ins Ziel, das reichte ihm zum Titel. Schumacher hingegen wurde nach dem absichtlichen Foul nachträglich sein zweiter Gesamtrang aberkannt. Drei Jahre zuvor hatte Schumacher mit einem ähnlichen Manöver noch Erfolg gehabt. 1994 war er Damon Hill ins Auto gefahren. Beide Piloten mussten damals das Rennen vorzeitig beenden. Schumacher sofort, Hill nach einem Aufenthalt in der Box. 30 Minuten hätte die Reparatur seines Wagens gedauert. Zeit, die Hill nicht hatte. Also durfte Schumacher, damals noch im Benetton, über den WM-Titel jubeln. Drei Jahre später aber jubelte Villeneuve. Diesmal war Schumacher mit seinem Manöver nicht durchgekommen. Siegen um jeden Preis, das war Schumachers Credo auf der Piste. Das hat ihm nicht nur Freunde eingebracht.
Dieser Text ist Teil der Serie "Momente für die Ewigkeit", mit der wir spezielle Ereignisse der Sportgeschichte würdigen. In dieser Serie sind bislang erschienen:
- Tour de France 1997: Als Riis nickte und Jan Ullrich alle abhängte
- EM-Finale 1976 in Belgrad: Als Uli Hoeneß den Elfmeter verschoss
- Vier Minuten und 38 Sekunden Ekstase: Als Schalke "Meister der Herzen" wurde
- Nia Künzers irrwitziger Auftritt im Strafraum
- Als Muhammad Ali "Karl den Großen" Mildenberger adelte
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