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Exklusiv: Was Ski-Star Felix Neureuther über sein neues Leben erzählt

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Was Ski-Star Felix Neureuther über sein neues Leben erzählt

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    Das ist der neue Felix Neureuther: Er wird als Fernsehexperte für die ARD Skirennen kommentieren.
    Das ist der neue Felix Neureuther: Er wird als Fernsehexperte für die ARD Skirennen kommentieren. Foto: Lisa Hinder/ARD/BR

    Die Autobahnraststätte Höhenrain Ost ist kein Ort, der das Herz zum Singen bringt. Die Herrentoilette – wie Herrentoiletten halt sind. Die mittlere von drei Kabinentüren klemmt, Sanifair hat es nicht hierher geschafft. Die Trinkgeldkasse für die zuständige Reinigungsfachkraft aber – in Höhenrain Ost steht sie noch. Außerdem gibt’s in dem kleinen Restaurant daneben einen akzeptablen Kaffee, eine bescheidene Auswahl an Speisen, volle Aschenbecher und eine Tankstelle. Es ist Sonntagabend, exakt 19.45 Uhr. Dichter Verkehr auf der A95 von Garmisch-Partenkirchen in Richtung München. Und Felix Neureuther? Ist nicht an der Autobahnraststätte Höhenrain Ost. Das ist in diesem Moment ein Problem.

    Denn dem, der dort ohne Auto steht und auf einen Transfer hofft, gehen schnell die Mobilitätsoptionen aus. Per Anhalter nach München? Ein Taxi aus Wolfratshausen kommen lassen?

    Fünf Minuten später: Entwarnung. Ein schwarzer Audi, mittlere Preisklasse, rollt vor. Felix Neureuther, 35, winkt heraus. „Sorry, aber kurz nach Garmisch war ein Stau, das hast du nicht gesehen. Steig ein, pack mer’s…“

    Zielort: ein Studio des Bayerischen Rundfunks in Unterföhring. Dort wird Neureuther am Abend in der Live-Sendung „Blickpunkt Sport“ als neuer Ski-Experte der ARD vorgestellt. Er, der erfolgreichste deutsche Skirennfahrer im Weltcup. Der Sonnyboy. Der Liebling der Massen. Seit März: der Ski-Rentner. Und jetzt also auf dem Weg zum neuen Job. Das Navi berechnet eine Dreiviertelstunde bis dorthin. Zeit für ein Gespräch.

    Ein Gespräch mit Felix Neureuther - völlig unkalkulierbar

    Ein solches verläuft mit Neureuther meistens völlig unkalkulierbar. Vorbereitung? Bringt nicht wirklich viel. Themen rauschen so schnell vorbei wie drüben auf den Gegenfahrbahnen der Verkehr in Richtung Alpen. Oder auch die Leitplanke, an der 2014 die olympischen Träume des ehemaligen Slalomfahrers zerschellten.

    So kannte ihn die Sportwelt bis vergangenen März: Felix Neureuther auf der Skipiste.
    So kannte ihn die Sportwelt bis vergangenen März: Felix Neureuther auf der Skipiste. Foto: Jean-Christophe Bott/Keystone, dpa

    Auf dem Weg zum Flughafen gerieten Neureuther und seine damalige Freundin – jetzt Ehefrau – Miriam ins Schleudern. „Da war von einer Sekunde auf die andere eine spiegelglatte Eisfläche auf der Fahrbahn. Da hast du keine Chance mehr“, erinnert sich Neureuther – und fährt unwillkürlich langsamer.

    Das Fahrzeug brach aus und krachte in die Leitplanke. Der Aufprall war hart. Mit der linken Schulter zertrümmerte Neureuther die Fensterscheibe. Schleudertrauma, mehrere Rippen waren angeknackst, was nicht öffentlich bekannt gemacht wurde. Der Flug nach Sotschi – gestrichen.

    In München entbrannte eine wilde Jagd. Rund 150 Journalisten, Fotografen und Kamerateams belagerten die Praxis von Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfarth, wo sich Neureuther untersuchen ließ. So einen Auflauf hatten selbst die an Promis gewöhnten Mitarbeiter dort noch nie gesehen. Plötzlich war von Fahrerflucht die Rede. Polizisten tauchten in der Praxis auf. Schließlich war ja eine Leitplanke beschädigt worden. Staatstragend verkündete der Pressesprecher der Münchner Polizei später, dass Herr Neureuther das Land verlassen dürfe.

    Drama, Baby, Drama. Drunter macht es Neureuther selten.

    „Das war mein größter Auftritt, kann man sagen“, erzählt Felix Neureuther jetzt im Auto und grinst. „Mit meiner Halskrause war ich in allen Nachrichten.“ Einen Tag später flog er nach Sotschi. Wurde im Riesenslalom Achter. Und hatte dann im Slalom nach dem ersten Durchgang sogar noch Chancen auf eine Medaille. „Ich bin da oben gestanden, komplett getapt, voll mit Schmerzmitteln, konnte meinen Kopf genau einen Millimeter nach links und nach rechts drehen und dacht’ mir so: Hey, vielleicht reißt du hier ja echt noch was.“ Dann schied Neureuther auf dem tückisch gesteckten Kurs aus.

    Es war, wie er jetzt weiß, seine letzte Chance auf eine Olympia-Medaille. Sie blieb ihm verwehrt. Vier Jahre später, 2018, saß er mit gerissenem Kreuzband zu Hause. „Ach, inzwischen kann ich drüber lachen. Wichtig ist, dass Miri und mir nix Schlimmeres passiert ist. Der Rest passt schon.“

    Er sitzt ein bisschen schief auf dem Fahrersitz

    Auch in München: dichter Verkehr. Neureuther sitzt ein bisschen schief auf dem Sitz. Am Freitag war er zum ersten Mal seit seinem Rücktritt mit ein paar Kumpels beim Training der „Alten Herren“ in Garmisch. Fußball war ihm während seiner Karriere verboten, zu groß die Verletzungsgefahr für einen, der ohnehin fast nie gesund war. Jetzt darf Neureuther machen, was er will, auch wieder kicken. „Seitdem hab ich zwar einen Muskelkater, dass ich keine Treppe mehr runtersteigen kann. Aber es hat brutal Spaß gemacht.“

    Das Gefühl, in einer Mannschaft zu spielen, hatte er als Einzelsportler nicht. Dort stand er allein oben im Starthäuschen. Blickte hinunter in das Durcheinander aus Stangen, deren Abstände er sich auf den Zentimeter genau eingeprägt hatte. Hörte das Grollen und Rumoren der tausenden Zuschauer im Zielraum, die wummernde Musik, das Schreien der Stadionsprecher. So wie damals in Schladming, als er seinen größten sportlichen Moment erlebte. WM-Silber hinter Marcel Hirscher aus Österreich. Die Freude, vor allem die Erleichterung, es allen bewiesen zu haben, dass es der Neureuther auch dann kann, wenn es drauf ankommt, war greifbar, als er im Zielraum stand und ein paar Tränen vergoss.

    „Den Hirscher, den würd’ ich noch kommentieren wollen und seine Rennen analysieren“, sagt Neureuther jetzt. Als Sport-Rentner und frischgebackener TV-Experte würde er seinem Spezl allzu gerne dabei zusehen, wie der das macht, was keiner besser kann: Skifoarn. Es ist, wenn man so will, der Fluch des Felix Neureuther, dass ausgerechnet in dessen Zeit auch die dieses Jahrhundertfahrers fiel. Noch rätselt die Skiwelt, ob Hirscher seine Karriere fortsetzen wird. Der 30-Jährige hat sich noch nicht erklärt. „Ich habe da so ein Gefühl, wenn einer so lange überlegen muss…“, sagt Neureuther.

    Jetzt gibt es keine Rivalität mehr, jetzt gibt es vor allem „meine kleine Familie“. Tochter Matilda wird im Oktober zwei. Gerade ziehen die Neureuthers in ihr neues Haus um, das sie in Garmisch-Partenkirchen gebaut haben. In Kürze erscheint sein drittes Kinderbuch, das er diesmal zusammen mit Miriam entworfen hat. Titel: Ixi, Mimi und das Zaubermüsli. Dann sein Projekt, das Kinder und Jugendliche zu mehr Bewegung animieren soll. Und eben die Fernsehsache.

    „Jetzt gibt es vor allem meine kleine Familie“, sagt Felix Neureuther. Dazu gehört Ehefrau Miriam und Tochter Matilda.
    „Jetzt gibt es vor allem meine kleine Familie“, sagt Felix Neureuther. Dazu gehört Ehefrau Miriam und Tochter Matilda. Foto: Tobias Hase, dpa

    An der Schranke zum BR-Gelände stehen zwei Wachleute, weißes Hemd, schwarze Hose. „Ah, der Felix“, ruft der eine. „Weißt, wo du hinmusst?“ Kurze Pause. „Ne…“, antwortet Neureuther. Ein Wachmann erklärt den Weg. Und Neureuther? Fährt zielsicher auf den Parkplatz von BR-Sportchef Christoph Netzel.

    Jetzt aber Tempo. Der Chef vom Dienst drückt ihm ein paar Zettel in die Hand. Darauf stehen Sätze, die er für einige Einspieler in die Kamera sagen soll. Kurz rüber zu Moderator Markus Othmer, der sich an seinem Schreibtisch auf die Sendung vorbereitet. „Servus Felix“, Handschlag. Weiter in die Maske. Durchatmen. Puder ins Gesicht. Frisur? Passt so, sagt die Visagistin. „Der Felix ist pflegeleicht.“ Rüber in die Regie. Bildschirme, Menschen mit Kopfhörern. Neureuther wird verkabelt. Zwei Einspieler werden aufgenommen. Zehn Minuten noch. Im Hintergrund läuft das aktuelle Programm. Ein alter Schinken mit Heinz Erhardt in der Hauptrolle. Dann zählt eine Stimme von zehn herunter. Es geht los.

    Was er beim Fernsehen anders machen will als seine Vorgängerin

    Später gegen elf sitzt Neureuther in einem kleinen Hinterzimmer auf dem Sofa. „Zu frech?“, fragt er den Sportchef. „Nein, passt.“ Häppchen stehen auf dem Tisch, dazu gibt’s Apfelschorle aus der Flasche. Jetzt ist aus dem Sportler auch offiziell ein Fernsehexperte geworden. „Das ist schon gut so“, sagt er. „Mein Körper hätte das Training nicht mehr mitgemacht, das es braucht, um im Weltcup zu fahren.“ Knie kaputt, Rücken kaputt.

    Nach einem Kreuzbandriss im vergangenen Jahr ist Neureuther nicht mehr richtig in Schwung gekommen. Manchmal habe er sich im Sommer zwar gedacht, dass er jetzt gerne zum Skifahren gehen würde. „Aber das ganze Training außen herum, im Kraftraum, auf dem Rad – na, das brauch ich nicht mehr.“

    Trotzdem wird Neureuther im kommenden Winter wieder gut unterwegs sein. Jeden zweiten Weltcup überträgt die ARD. „Ich bin vor Ort“, sagt Neureuther. Er soll es anders machen als seine Vorgängerin Maria Höfl-Riesch. Analyse, ja. Aber Neureuther will mehr.

    Wie kein anderer kennt er die außergewöhnlichen Charaktere, die sich im Weltcup tummeln, lange genug war er selbst einer von ihnen. „Ich will hinter die Masken schauen, die Menschen zeigen.“ Ihm geht es darum, die Faszination des Skisports zu vermitteln. Neureuther ist mit sich im Reinen. Ihm ist gelungen, was viele andere nicht schaffen: Er hat zur richtigen Zeit seine Karriere beendet. Das merke er spätestens dann, wenn er inzwischen wieder einigermaßen schmerzfrei am Morgen das Bett verlassen kann, sagt er. „Natürlich wird es mich in den Fingern jucken, wenn die Jungs in Sölden das erste Rennen der Saison bestreiten, garantiert. Aber ich weiß, dass es gut ist, wie es ist.“

    Ganz muss er ja nicht vom Skifahren lassen. Neureuther soll mit einer Kamera auf dem Helm die Weltcupstrecken vor den Rennen abfahren.

    Nur einen Tag nach diesem Artikel gibt es eine weitere positive Nachricht aus Neureuthers Leben: Felix und Miriam Neureuther erwarten ihr zweites Kind

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