Wenn Legenden gehen, dann rollt ihnen der Sport in der Regel den roten Teppich aus. Er zelebriert Abschiedsspiele, sperrt Trikotnummern. Und eigentlich hatte man für Timo Pielmeier beim ERC Ingolstadt einen solchen Abgang im Kopf. Pielmeier, der Bayer mit der Surferfrisur und dem Zottelbart, eine Marke, das letzte Überbleibsel der spektakulären Meistermannschaft von 2014. Kein Torhüter stand länger im Kasten der Schanzer als der 31-Jährige, 323 Mal.
Seit Donnerstag ist alles anders. Der ERC hat seinen Goalie aus dem Kader geworfen, weil dieser nicht auf Teile seines Gehalts verzichten wollte. Zum Abschied gab es eine saftige Pressemitteilung. "Alle übrigen Spieler haben die Tragweite dieser Maßnahme verstanden und sich solidarisch mit dem Klub gezeigt. Lediglich unser dienstältester Spieler steht in dieser existenzbedrohenden Krise nicht Schulter an Schulter mit seinem Arbeitgeber", so Geschäftsführer Claus Liedy.
Der Gehaltsverzicht in der DEL hat nicht nur beim ERC Ingolstadt Sprengkraft
Bei der besagten Maßnahme handelt es sich um die sogenannte 75/25-Klausel, die die Vereine der Deutschen Eishockey Liga (DEL) ihren Profis auferlegten, um coronabedingte Finanzsorgen abzufedern. Spieler sollten vorübergehend auf 25 Prozent ihres Gehalts verzichten, die – bei positiver Entwicklung der Vereinserlöse – anteilig zurückgezahlt worden wären. Das entfachte hitzige Diskussionen. Spieler klagten über fehlende Einbindung. Es fielen Worte wie "Erpressung". Um Kölns Stürmer Moritz Müller formierte sich eine Gruppe deutscher Profis, die am Freitag ihre Pläne für eine eigene Spielergewerkschaft finalisierte.
Nach Austin Ortega von den Eisbären Berlin ist Pielmeier der zweite Akteur, der von seinem Klub wegen der Verweigerung dieser Klausel aus dem Kader geworfen wurde. Ingolstadt argumentiert mit Alternativlosigkeit: Die Zustimmung aller Spieler sei Bedingung der Lizenzvergabe für die kommende Saison gewesen. Darüber allerdings gibt es widersprüchliche Aussagen. So sollen mehrere DEL-Vereine, etwa München, Mannheim und Köln, mit ihren Spielern individuelle Zusatzvereinbarungen getroffen haben. Auf Anfrage erwidert ERC-Geschäftsführer Liedy: "Ich kann nicht kommentieren, was andere Klubs machen. Diese Regelung ist von allen Vereinen einstimmig beschlossen worden. Dementsprechend war sie Teil der Prüfungsmaßstäbe zur Lizenzvergabe." Man habe Pielmeier Bedenkzeit gegeben, monatelang, "so lange es auch nur irgendwie möglich war".
Die Abwärtsspirale beim ERC Ingolstadt geht auch bei den Sponsoren weiter
Der Rauswurf ist nur eine weitere Windung einer oberbayerischen Negativspirale. Wie Liedy bestätigt, hat die Organisation seine Spieler auf 100 Prozent Kurzarbeit gestellt. Sie stehen weder für Interviews zur Verfügung, noch dürfen sie in der Saturn-Arena trainieren. Erst am Mittwoch kommunizierte Ingolstadt zudem das Ende der 14-jährigen Partnerschaft mit Edeka Südbayern. Nachdem die DEL Penny als neuen Ligasponsor akquiriert hatte, konnte der ERC seinem Sponsor keine Branchenexklusivität mehr garantieren. Der Vertrag wurde nicht verlängert. Für Liedys Budget heißt das nichts Gutes: Der Deal mit dem Lebensmitteldiscounter wirft jährlich pro Verein einen niedrigen sechsstelligen Betrag ab. Das Sponsoring von Edeka, immerhin drittgrößter Partner des ERC, dürfte um einiges höher gewesen sein.
Und jetzt Pielmeier. "Es ist schade, dass es so gekommen ist. Aber Timo hat sich eben dazu entschlossen, die Gehaltsumwandlung nicht mitzutragen. Das gilt es zu akzeptieren, mit allen Folgen, die damit einhergehen", kommentiert Sportdirektor Larry Mitchell. Eine Folge: Der Goalie besitzt bei den Panthern noch einen Vertrag bis 2022, zählt zu den Bestverdienern, hat jetzt Anspruch auf vollen Lohn – sollte sein Arbeitspapier nicht aufgelöst werden. "Das sind Dinge, die bisher noch nicht diskutiert worden sind", sagt Liedy.
Im Nachhinein erklärt sich jetzt auch die verschnupfte Reaktion des Vereins und Pielmeiers selbst zum Thema Gehaltsverzicht in den vergangenen Wochen. Auf die Frage, ob er gewillt sei, der 75/25-Klausel zuzustimmen, antwortete Pielmeier im Mai abweichend: "Ich bereite mich vor, sodass ich im August fit bin und hoffe natürlich, dass wir zusammen mit unseren Fans im September in die neue Saison starten können."
Zwei Monate später sind diese Worte Schall und Rauch. Das Vereinsgesicht ist weg. Kein roter Teppich für Pielmeier, der 2013 aus Landshut kam und in Ingolstadt zum Meister, Nationalgoalie und Olympia-Silberhelden wurde, dessen Beziehung zum Verein zuletzt aber an stagnierenden Statistiken und einer gewissen Wechselwilligkeit nach Köln und Berlin litt. Pielmeier selbst schweigt. Anfragen ließ er unbeantwortet.
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