Die deutschen Spieler tappten auch nach dem Spiel noch in die Falle, die ihnen die Franzosen schon in den 90 Minuten zuvor ausgelegt hatten. Sie fühlten sich nach dem 0:1 dem amtierenden Weltmeister immer noch ebenbürtig. Ilkay Gündogan hatte den Eindruck gewonnen, sein Team habe sich "auf Augenhöhe" mit dem Gegner befunden. Seiner Meinung nach hätte das "Spiel keinen Verlierer verdient gehabt". Ähnlich empfand es Toni Kroos, der das Gefühl hatte, zusammen mit seinen Mitspielern "ein gutes Spiel gemacht zu haben", das einzig aufgrund eines "unglücklichen" Gegentores verloren ging.
Dabei blendeten die Deutschen die auch statthafte Sichtweise aus, dass die französische Elf ihren Plan schlicht konsequenter ausführte und letztlich den Platz verdient als Gewinner verließ. Stars wie Kylian Mbappe, Antoine Griezmann, Karim Benzema oder Paul Pogba lassen zwar Hochglanz-Fußball vermuten, fügen sich aber in den taktischen Plan von Trainer Didier Deschamps, der nicht frei von Zynismus ist. Mit der fantasievollsten Offensive des Weltfußballs setzt er vor allem auf defensive Stabilität. Eine Herangehensweise, die vor drei Jahren zum WM-Titel führte und von der Deschamps aus guten Gründen nicht abzukehren gedenkt.
Deutschland fehlt gegen Frankreich vor allem an offensiven Impulsen
Die Deutschen hatten ja in der Tat den Ball häufiger am Fuß als die Franzosen. Allerdings nur in Räumen, in denen es ihnen willfährig gewährt wurde. Suchte die Elf von Joachim Löw mal etwas energischer den Weg in Richtung Tor habe etwas "gefehlt, im letzten Drittel durchzukommen", konstatierte der Trainer. Die mangelnde Durchschlagskraft auf der einen Seite war aber eben auch Ausdruck souverän verteidigender Franzosen. Das deutsche Offensiv-Trio Kai Havertz, Thomas Müller und Serge Gnabry vermochte es nicht, die Verteidigung so wund zu laufen und spielen, als dass sie sich Konzentrationsmängel erlauben würde.
Schüsse von Gündogan (38.) und Gnabry (54.) neben beziehungsweise über das Tor waren die einzig ernstzunehmenden Produkte der Angriffsbemühungen. Die Franzosen dagegen trafen durch Adrien Rabiot immerhin den Außenpfosten und zwei kunstvoll vollendete Spielzügen fanden sich nur nicht in einem höheren Ergebnis wieder, weil nachträglich auf Abseits entschieden wurde.
Mats Hummels ist der Pechvogel des ersten EM-Spiels
So blieb das Eigentor von Hummels (20.) der einzige Treffer einer Partie, die Löw als „brutal intensiv“ einstufte. Einen Vorwurf wollte dem reaktivierten Abwehrchef niemand machen, frei von Schuld war er aber nicht, als er die harte Hereingabe von Lucas Hernandez an Manuel Neuer vorbei ins Tor bugsierte. Die Deutschen müssen vor dem zweiten Spiel am Samstag gegen Portugal damit zurecht kommen, dass früh im Turnier „Druck auf dem Kessel“ ist, wie Linksverteidiger Robin Gosens sagt.
Eine weitere Niederlage könnte im frühen Ausscheiden münden und auch wenn es die portugiesischen Fallen nicht derart ausgeklügelt sind, wie die französischen, bieten auch sie die Möglichkeit, sich darin zu verfangen Mit Sicherheit werden auch dann wieder Millionen Deutsche am Fernseher verfolgen, wie sich die Deutschen versuchen, des Gegners List zu entziehen.
Gegen Frankreich sahen 22,55 Millionen Zuschauer im ZDF, wie viele der Angriffsbemühungen an dem exorbitant guten Paul Pogba zerschellten. Das erste deutsche Spiel der EM 2016 hatten noch rund 26 Millionen verfolgt – allerdings überträgt diesmal auch noch Magenta TV die EM-Spiele, außerdem schauen mittlerweile viel mehr Menschen Fernsehen über das Internet – und diese Zuschauer sind bei der Quotenerhebung nicht dabei.