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EM 2016: Kritik an der französischen Polizei nach EM-Krawallen

EM 2016

Kritik an der französischen Polizei nach EM-Krawallen

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    Französische Polizisten stehen nach den EM-Randalen in Marseille in der Kritk.
    Französische Polizisten stehen nach den EM-Randalen in Marseille in der Kritk. Foto: Guillaume Horcajuelo/dpa

    Haben die Organisatoren der Fußball-EM die Gefahr durch Hooligans unterschätzt? Die Frage kam nach den brutalen Schlägereien vom Wochenende auf, die Marseille am Rande der Begegnung England gegen Russland erschütterten sowie – in weniger krassem Ausmaß – die Austragungsstädte Nizza und Lille. Betrunkene Hooligans gingen mit derart entfesselter Gewalt aufeinander los, dass die Polizei die Meute nur mühsam unter Kontrolle brachte. War sie ungenügend vorbereitet, überfordert, zu langsam?

    Das geht zumindest aus manchen Augenzeugenberichten hervor. So schildert ein ukrainischer Fan gegenüber der Regionalzeitung La Voix du Nord, der sich am Sonntagnachmittag vor der Begegnung der ukrainischen und der deutschen Nationalelf auf dem zentralen Grand-Place in Lille befand: „ Vier ganz in Schwarz gekleidete Deutsche stürzten sich auf mich. Einer von ihnen schlug mich mit einer Flasche. Am meisten hat mich bestürzt, dass kein einziger Polizist in der Nähe war.“

    In britischen Medien beklagten sich englische Fans über mangelnden Schutz vor russischen Hooligans. Diese seien „wie eine Todesschwadron“ aufgetreten, während die Polizei „nur zuschaute“, berichtet der 29-jährige George Amos in der Tageszeitung The Times. Sind die Vorwürfe gerechtfertigt? Französische Politiker und Behörden lobten einhellig den Einsatz der Polizisten: Ohne sie wäre die Lage noch mehr eskaliert. „Ihre Zahl war ausreichend, um die Sicherheit zu gewährleisten“, versichert der Polizeigewerkschafter Isvar Sattiaradjou.

    Randale in Marseille: Zehn Personen im Schnellverfahren verurteilt

    Die Behörden griffen am Montag rasch durch und verurteilten EM-Fans im Schnellverfahren zu Gefängnisstrafen. Ein Gericht in Marseille verurteilte sechs Briten, drei Franzosen und einen Österreicher wegen ihrer Beteiligung an den Zusammenstößen im Umfeld des Spiels Russland gegen England. Wie die französische Nachrichtenagentur AFP meldete, erhielt ein 29-jähriger Franzose die härteste Strafe: Er wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt, die Hälfte davon auf Bewährung. An den Ausschreitungen sollen 150 russische Hooligans beteiligt gewesen sein, die es auf Randale angelegt hatten – von ihnen wurde bislang kein einziger gefasst.

    Die extreme Gewalt sei vor allem von den russischen Fans ausgegangen. Die meisten der 35 offiziell bekannten Verletzten – vier davon schwer – gingen auf deren Konto. Der auf radikale Sportfans spezialisierte Forscher Sébastien Louis spricht von einer Organisation wie bei einem „paramilitärischen Kommando“: „Sie kundschaften die Orte aus, wählen ein Ziel, gehen zum Angriff über.“

    Von einem Scheitern seiner Leute könne keine Rede sein, betonte Kommissar Antoine Boutonnet, verantwortlich für Hooligan-Bekämpfung bei der Polizei: Vielmehr wirke der exzessive Alkoholkonsum wie ein „Gewalt-Katalysator“.

    Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve kündigte als Konsequenz an, am Tag sowie dem Vortag eines Matches werde künftig der Alkoholverkauf in den Fanmeilen, im Umfeld der Stadien sowie in „sensiblen Bereichen“ untersagt. Außerdem könnten die zuständigen Präfekten schwere Gegenstände auf Café-Terrassen verbieten, die als Geschosse dienen könnten.

    Mehr als 1200 Ordnungskräfte sollen das als riskant eingestufte Match England – Wales am Donnerstag im nordfranzösischen Lens absichern. Insgesamt sind 90.000 Polizisten, Gendarmen und Mitarbeiter privater Sicherheitsunternehmen während des Turniers im Einsatz – ihre Zahl war nach den Pariser Terroranschlägen im November erhöht worden.

    In Frankreich herrscht seit Monaten Ausnahmezustand

    Die französischen Ordnungskräfte unterliegen seit Monaten einer Dauerbelastung: Noch immer herrscht in Frankreich der Ausnahmezustand, auch kam es am Rande von Demonstrationen und Streiks immer wieder zu Ausschreitungen. Mehrmals warnten Polizeigewerkschaften davor, dass ihre Mitglieder an Grenzen geraten.

    Dem entspricht auch das Bild, das der Fanforscher Sébastien Louis zeichnet, der am Samstag vor Ort in Marseille war. „Ich habe eine eingeschüchterte, müde Polizei gesehen, die eine kompetente Hierarchie gebraucht hätte; das war aber nicht der Fall“, berichtet Louis. Mehrere britische Zivilbeamte hätten die französische Polizei begleitet, um ihre gewaltbereiten Landsleute in Schach zu halten. Insgesamt befinden sich rund 200 Polizisten aus den 23 anderen teilnehmenden Ländern in Frankreich, um Informationen über Hooligans mit den französischen Behörden auszutauschen.

    Mehr als verstörend wirkten in dieser Situation die Kommentare des russischen Parlamentsvize Igor Lebedew. „Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Im Gegenteil: Gut gemacht, Jungs. Weiter so!“, schrieb der Politiker der nationalistischen Liberaldemokraten im Kurznachrichtendienst Twitter. Die Hooligans hätten „die Ehre ihres Landes verteidigt und es den englischen Fans nicht gestattet, unser Land zu entweihen“.

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