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EM 2016: EM-Finale: Die Leiden des Cristiano Ronaldo

EM 2016

EM-Finale: Die Leiden des Cristiano Ronaldo

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    Für Cristiano Ronaldo geht ein Traum in Erfüllung.
    Für Cristiano Ronaldo geht ein Traum in Erfüllung. Foto: Abedin Taherkenareh (dpa)

    Das Spiel war eine Nullnummer in Überlänge. Abpfiff. Keine Tore. Da bekam es noch mal 30 Minuten draufgesattelt, dabei war dieses Finale der Europameisterschaft zwischen Frankreich und Portugal schon in der achten Minute entschieden worden: Dimitri Payet war da Cristiano Ronaldo rücksichtslos und brachial ins Knie gekracht. Die Szene tat beim Zusehen weh.

    Für Payet sollte das ungeahndete Foul wohl die Botschaft enthalten, wer der Herr im Hause Saint-Denis ist, für Ronaldo war es der Anfang vom Ende. Der dreimalige Weltfußballer blieb liegen, und es war zu spüren: Das ist keines seiner Schauspiele, sondern echter Schmerz. Und doch begann ein Drama in drei Akten mit dem Titel: „Die Leiden des Cristiano R.“

    Der Weltstar ließ sich behandeln. Als er wenig später aufs Feld zurückkehrte, schien das Knie nicht zu halten. Der Portugiese machte Belastungstests, trabte eher, statt zu sprinten.

    In der 17. Minute sank er zum zweiten Mal auf den Rasen. Diesmal ohne Gegner. Tränen liefen ihm über die Wangen, und er hatte nicht mal die Kraft oder die Lust, den Falter wegzuwischen, der sich auf sein rechtes Augenlid gesetzt hatte.

    Frankreich war die bessere Mannschaft, ohne zu überzeugen

    Portugal, ein Fall für die Mottenkiste? Ronaldo wollte es nicht wahrhaben. Kehrte bandagiert noch mal zurück. Ein letzter Sprintversuch. In der 24. Minute dann hatte der Körper den Geist endgültig besiegt.

    Ordner trugen den verletzten Spieler auf einer Trage in die Katakomben. Es war ein trauriges Bild, aber es war nicht das Letzte von diesem portugiesischen Patienten. Er stand wieder auf, um irgendwann kurz vor Mitternacht den Silberpokal in den Pariser Nachthimmel zu heben.

    „Es war hart, als wir unseren wichtigsten Spieler verloren haben“, sagte Abwehrrecke Pepe, „Ronaldo trug all unsere Hoffnungen, weil er fähig ist, in jedem Moment des Spiels ein Tor zu erzielen.“ Nun war er verletzt, „und da habe ich zu meinen Mitspielern gesagt: Jetzt müssen wir für ihn gewinnen. Das haben wir getan, und wir haben Blut, Schweiß und Tränen dafür investiert.“

    Portugals Trainer Fernando Santos hatte in der 79. Minute den Bayern-Neueinkauf Renato Sanches vom Feld genommen und einen Mann namens Éder gebracht. Stürmer. 28 Jahre alt, er spielt beim französischen Erstligisten OSC Lille. Frankreich war die bessere Mannschaft, ohne wirklich zu überzeugen.

    0:0. Verlängerung. Es ist der Moment, als Cristiano Ronaldo aus der Kabine zurückkommt. Das linke Knie ist bandagiert, er humpelt leicht. Aber er geht zu Éder und sagt ihm, dass er das Siegtor schießen wird. Der gute Geist von Saint-Denis. So erzählte es Éder später in der Nacht, als er den Auftrag längst erfüllt hatte. „Cristiano hat mir Stärke und positive Energie gegeben“, sagte der Schütze.

    Eder schoss nur aufs Tor, weil er keine andere Option hatte

    Es war die 110. Minute, und dieser Schuss aus vielleicht 22, 23 Metern, er war mehr ein Akt der Verzweiflung. Éder war schon ins Straucheln geraten, eine Abspieloption bot sich auch nicht mehr. Da schoss Éder einfach, und dann war er der Meister Éder. Der Ball flog flach ins Tor, und ab dann war nur noch Freude.

    Frankreich war geschlagen und Ronaldo absolvierte die letzten Minuten an der Außenlinie als eine Art Co-Trainer. Er gestikulierte. Er feuerte an. Er schrie. Und dann, als es geschafft war, als Portugal den ersten Titel seiner Geschichte sicher hatte, da schlug der Stürmer a. D. fassungslos die Hände vors Gesicht und verweilte die ersten Momente in diesem weinrot-grünen Irrsinn abseits des Teams.

    Kein Eusebio, kein Luis Figo, Legenden des portugiesischen Fußballs, haben das geschafft, was dieses Team erreicht hat. Mit drei Unentschieden war das Santos-Team nur als Gruppendritter in die K.-o.-Phase eingezogen und hatte dann mit einer Mischung aus Bollwerk und Effizienz jeden Gegner aus dem Weg geräumt. So lange, bis es geschafft war.

    „Das ist einer der glücklichsten Momente meiner Karriere“, sagte Ronaldo, und er hat mit nun 31 Jahren als dreimaliger Weltfußballer und dreimaliger Champions-League-Sieger weiß Gott schon viele glückliche Momente erlebt.

    „Ich habe immer gesagt, dass wir Geschichte schreiben können. Ich danke meinen Mitspielern, dem Trainer, dem Team hinter dem Team und allen Menschen in Portugal, die uns unterstützt haben. Das wird unvergesslich bleiben.“

    Cristiano Ronaldo ist ein Vorbild für seine Mitspieler

    Portugals Trainer Santos lobte den außergewöhnlichen Teamcharakter von Eder. „Er hat immer dran geglaubt, dass dies unsere Nacht ist.“ Aus dem hässlichen Entlein, sagte er noch, sei ein stolzer Schwan geworden.

    Als all der Glitter der Zeremonie zu Boden geflattert war, da waren auch die Tränen der Franzosen rasch getrocknet. Es hätte der dritte EM-Titel nach 1984 und 2000 werden sollen, aber irgendwie empfand diese Mannschaft, empfand dieses Land auch schon die Tatsache des Finaleinzugs als Erfolg.

    „Es ist grausam und großartig zugleich“, sagte Antoine Griezmann, der mit dem Goldenen Schuh als bester Torjäger (sechs Treffer) ausgezeichnet wurde.

    „Wir haben in diesem Turnier einige außergewöhnliche und auch traurige Momente erlebt. Wir haben heute alles gegeben und haben uns nichts vorzuwerfen. Wir müssen lernen und noch stärker zurückkommen.“ Da stand Cristiano Ronaldo noch immer mitten im Getümmel. Die Schmerzen waren vergessen. Er ist Rekordspieler mit 133 Einsätzen im Nationalteam. Er ist Rekordschütze mit 61 Toren. Er ist ein Vorbild für seine Mitspieler.

    Eine lange Karriere in der Seleção verdichtete sich auf diesen einen Moment, als aus den Leiden doch noch die Freuden des Cristiano Ronaldo geworden waren.

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