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Interview: Dopingexperte Seppelt: "Natürlich treten wir Leuten auf den Schlips"

Interview

Dopingexperte Seppelt: "Natürlich treten wir Leuten auf den Schlips"

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    Hajo Seppelt gilt in Russland als Staatsfeind.
    Hajo Seppelt gilt in Russland als Staatsfeind. Foto: Fabrice Coffrini, AFP

    Hajo Seppelt spricht mit leiser Stimme. Der ARD-Journalist formuliert seine Sätze mit Bedacht, scheut aber keine klaren Aussagen. Auf sein Konto geht eine der größten Enthüllungen des Sports. Seppelt hat aufgedeckt, dass in Russland massiv gedopt wurde, als es darum ging, bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi ein gutes Bild abzugeben. Staatsdoping nennt er das, was die Putin-Regierung bestreitet. Seppelt hat sich mit seinen Recherchen mächtige Feinde gemacht. Während der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro stand er unter Personenschutz. In Russland gilt er als Staatsfeind. Aufhalten lässt sich Seppelt davon nicht.

    Russland hatte Ihnen schon ein Visum für die Fußball-WM erteilt, dieses dann aber für ungültig erklärt und will Sie jetzt erst befragen, ehe Sie einreisen dürfen. Wie gehen Sie mit der Situation um?

    Hajo Seppelt: Wir befinden uns in einem internen Abstimmungsprozess, wie wir vorgehen werden. Da sind verschiedene Umstände zu berücksichtigen. Mehr kann ich dazu momentan nicht sagen.

    Fühlen Sie sich in dieser Angelegenheit ausreichend unterstützt vonseiten des Fußballs und auch vonseiten der Politik?

    Seppelt: Ich kann jetzt nicht sagen, dass man mir in dieser Geschichte nicht den Rücken stärkt. Die Unterstützung ist einhellig. Es ist schon sehr deutlich, dass mein Fall auch dafür steht, ob Russland sich an die vertraglich vereinbarten Bedingungen hält für so ein sportliches Großereignis. Wenn man sich kritisch mit einem Sportsystem auseinandersetzt, führt es in Russland offensichtlich dazu, dass es zu einer staatstragenden Angelegenheit wird. Manche fühlen sich offenbar dort derart angegriffen, dass man meint, zu solch harschen Mitteln greifen zu müssen.

    Gab es so einen Fall schon einmal?

    Seppelt: Mir ist kein Fall bekannt, in dem wegen kritischer Berichterstattung das Visum für die Einreise zu einer Fußball-WM verweigert wird.

    "Fußball war Teil des russischen Dopingsystems"

    Die Olympischen Winterspiele in Sotschi von 2014 gelten im Rückblick als Höhepunkt des russischen Staatsdopings. Sehen Sie jetzt, kurz vor der Fußball-WM, Parallelen dazu im russischen Fußball?

    Seppelt: Der Fußball war Teil des russischen Dopingsystems. Die Strukturen, wie dort manipuliert wurde, sind allerdings ein Stück weit anders. Die Fußballklubs besitzen eine stärkere Eigenständigkeit, als es in den olympischen Sportarten der Fall ist. Dass es Doping im Fußball gab, ist unstrittig, aber es war nach unseren Recherchen nicht so stark ausgeprägt wie beispielsweise in der Leichtathletik.

    Es gibt Menschen, die behaupten, Doping nutze im Fußball gar nichts. Zuletzt hat sich sogar Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, Teamarzt des FC Bayern und der Nationalmannschaft, zu dieser Theorie bekannt. Wie bewerten Sie das?

    Seppelt: Was soll ich darauf antworten? Die Erde ist eine Scheibe? Man fragt sich dann nur, warum so viele Fußballer überhaupt gedopt haben, wie ja allein schon ein Blick ins Archiv zeigt. Ich weiß auch nicht, ob Müller-Wohlfahrt seine Aussage wirklich so ernst gemeint haben kann. Oder ob das eine unbedachte Äußerung war. Es belegen unzählige Dokumente und Hinweise, dass sehr viele offensichtlich anders darüber gedacht und gehandelt haben. Ob in Italien, Frankreich, Südamerika oder auch, wenn wir etwa nur an Toni Schumachers Buch „Anpfiff“ denken, auch in Deutschland. In so einem athletischen Sport wie Fußball spielen Kraft und Ausdauer natürlich eine Rolle. Und diese beiden Dinge sind durch Doping sehr gut zu beeinflussen, wie jedem Experten klar ist. Insofern ist das eine Aussage, die der Realität nicht standhält.

    Sehen Sie im Fußball den Willen, sich mit dem Thema Doping auseinanderzusetzen?

    Seppelt: Jahrelang geschah das nur sehr widerwillig. Aber in der letzten Zeit hat der Druck auf den Fußball massiv zugenommen. Über die Jahre hinweg ist der ein oder andere in den Fußballverbänden sicherlich zum Jagen getragen worden. Zum Teil nimmt der Fußball immer noch eine Sonderstellung ein, die mir unerklärlich ist, etwa was die Regularien für Kontrollen außerhalb des Wettkampfes betrifft. Man könnte auf die Idee kommen, alle Sportler sind gleich, nur die Fußballer sind gleicher.

    "Belege zum Staatsdoping in Russland sind deutlich und massiv"

    Sie haben eingangs das harsche Verhalten Russlands angesprochen. Dort gelten Sie als eine Art Staatsfeind, mindestens aber als unerwünschte Person. Empfinden Sie das als eine Art Bestätigung Ihrer Arbeit?

    Seppelt: Die Belege zum Staatsdoping sind so deutlich und massiv, dass der Weltsport es anerkannt hat. Sonst hätte es die ganzen Sanktionen gegen Russland ja nicht gegeben. Und das wird auch noch weitergehen, auch wenn manche Leute glauben, dass das Thema nun vom Tisch sei. Es wird vermutlich noch etliche Fälle geben, die sanktioniert werden. Wer das Staatsdoping bestreitet, will nicht richtig hinschauen. Ich empfinde das Verhalten Russlands aber nicht als Bestätigung, merke nur, dass sie sehr empfindlich getroffen zu sein scheinen. Außer einem permanenten Nein, also Abstreiten, kommt da ja nicht viel an Gegenargumenten.

    Das ist doch aber eine bewährte Strategie?

    Seppelt: Das stimmt. Russland neigt nicht nur im Sport dazu, die offenkundigen Dinge immer wieder abzustreiten. Erst dadurch wird das dann zu einem politischen Streitpunkt. Wenn man nur daran denkt, dass Russlands Politiker jahrelang dementiert haben, dass russische Kämpfer auf der Krim sind. Solche Fakten haben sie jahrelang vehement zurückgewiesen, ehe sie es dann doch zugegeben haben. Das scheint mir ein bewährtes Muster zu sein. Oder es werden Dinge öffentlich dementiert, die nie einer behauptet hat. Klassisches Beispiel: Der Kronzeuge Rodschenkow habe Aussagen zurückgenommen. Richtig ist dagegen: Er hat diese Dinge schlicht nie gesagt, die er jetzt angeblich zurückgenommen haben soll. Ein typisches Beispiel für Werkzeuge aus dem Propaganda-Satzbaukasten in einem Teil der Staatsmedien.

    Stammt aus diesem Baukasten auch der Brief Russlands an die Welt-Anti-Doping-Agentur, in dem es erstmals Doping zugibt?

    Seppelt: Es sah zunächst so aus, als habe Russland einen Schritt nach vorne gemacht hat, indem es systematisches Doping anerkannt hat. Stimmt nur nicht. Es heißt in dem Brief nur, man gebe Manipulationen im Anti-Doping-System zu. Es erfolgte aber ausdrücklich nach wie vor kein Eingeständnis staatlichen Dopings, wie es der McLaren-Bericht aussagt. Den lehnen sie weiter ab, wie der Sportminister Kolobkov jetzt erneut betonte. Die Anerkennung dieses Berichts ist aber laut Wada Voraussetzung für die Wiederzulassung der Russischen Anti-Doping-Agentur. Man wird jetzt mit Spannung verfolgen dürfen, wie die Wada regiert. Russland bleibt also eigentlich weiter stur und bewegt sich allenfalls in kleinen Schritten. Momentan ist das ein Ringen um Worte.

    Hajo Seppelt hat in vielen Ländern recherchiert

    Empfinden Sie das russische Verhalten als persönliche Bedrohung? In den sozialen Netzwerken werden Sie teilweise massiv beschimpft und auch bedroht. Es ist ja bekannt, dass Sie beispielsweise während der Olympischen Sommerspiele in Rio unter Personenschutz standen …

    Seppelt: Ich schaue mir das alles genau an. Das Ausmaß der Reaktionen speziell aus Russland ist manchmal schon krass. Ich habe in vielen Ländern der Welt recherchiert. In Südamerika, Mittel- und Nordamerika. In Afrika. In vielen Ländern Europas. In Deutschland natürlich, in China. Natürlich treten wir Leuten immer auf den Schlips mit dem, was wir tun. Weil wir die Interessen der Lobbyisten aus dem Sportbusiness tangieren. Das können die natürlich nicht gut finden. Aber so massiv, wie Russland reagiert, das ist tatsächlich schon eine andere Ebene. Das heißt, dass man lernen muss, damit umzugehen und sich darauf einzustellen.

    Wie machen Sie das?

    Seppelt: Man braucht manchmal schon ein dickes Fell. Mehr will ich dazu jetzt nicht sagen.

    Sie haben jüngst in einem Interview gesagt, der Sportjournalismus müsse grundsätzlich lauter werden. Wie haben Sie das gemeint?

    Seppelt: Die Sportberichterstattung findet auf einem gesellschaftlich eminent wichtigen und brisanten Feld statt. Denn der organisierte Sport bewegt Millionen, entzieht sich aber allzu häufig der Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Der Sportjournalismus ist allzu oft nur eine Art freundlicher Wegbegleiter, ohne die Probleme ausreichend kritisch zu hinterfragen. Die Tradition des Sportjournalismus beschränkt sich häufig auf die – natürlich auch notwendige – Abbildung und Kommentierung von sportlichen Ereignissen und Ergebnissen. Das wird aber dem gesellschaftspolitisch so brisanten Stellenwert des Sports längst nicht mehr gerecht. Sportjournalisten müssen deutlicher Stellung beziehen zu relevanten Fragen. Allerdings gab es in den vergangenen Jahren teilweise schon einen Bewusstseinswandel in der Branche. Ich habe den Eindruck, dass durch das offenkundig kriminelle Vorgehen einiger Sportfunktionären dem ein oder anderen in den Redaktionen ein Licht aufgegangen ist, in welchem Milieu man sich da mitunter bewegt.

    Haben Sie den Eindruck, dass sich durch Ihre Berichterstattung etwas an der Dopingproblematik geändert hat?

    Seppelt: Ich glaube schon, dass das Publikum durch die jahrelange intensive Berichterstattung – nicht nur von uns, sondern weltweit – auch die anderen Seiten des Sport-Business mehr wahrnimmt und sich dadurch ein besseres Bild von manchen Umständen machen kann. Dadurch wird der Sport heutzutage sehr viel kritischer wahrgenommen, weil das Bild realistischer ist. Nicht zuletzt deshalb sind Olympia-Bewerbungen gerade in westeuropäischen Ländern, wo besonders intensiv über Missstände berichtet wird, oft nicht mehr mehrheitsfähig. Früher hat die Berichterstattung solche Dinge einfach ausgeblendet. Das ist heute anders.

    Haben Sie dann auch den Eindruck, dass wir heute einen saubereren Sport sehen als noch vor 20 Jahren?

    Seppelt: Man soll es kaum glauben, aber ich denke tatsächlich, dass der Sport heutzutage sauberer ist als noch vor 20, 30 Jahren. Nur haben wir durch die intensive Berichterstattung den Eindruck, dass es noch viel schlimmer geworden sei. Ich glaube, dass nur mehr sichtbar geworden ist von den teilweise katastrophalen Zuständen im internationalen Sport. Vor 20, 30 Jahren konnten die zwielichtigen Gestalten noch hinter den Kulissen im Schatten arbeiten. Vor allem das Anabolika-Doping grassierte extrem. Dem wurde kaum Einhalt geboten, weil es kaum Kontrollen gab. Der Vertuschung im großen Stil waren noch mehr Tür und Tor geöffnet. Deshalb waren die Zustände vermutlich noch schlimmer, als sie es heute sind. Nur heute ist es zumindest in manchen Ländern nicht mehr ganz so einfach, Korruption im Sport zu verschleiern. Die Gefahr der Aufdeckung ist größer geworden.

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