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DFB-Pokal: Tränen lügen nicht

DFB-Pokal

Tränen lügen nicht

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    Pep Guardiola überkommen im Moment des Sieges die Emotionen, Jerome Boateng hat Verständnis.
    Pep Guardiola überkommen im Moment des Sieges die Emotionen, Jerome Boateng hat Verständnis. Foto: Andreas Gebert (dpa)

    Als alles vorbei ist, kann Pep Guardiola nicht anders. Er weint. Und weint. Und weint. Peinlich berührt schlägt er die Hände vors Gesicht. Immer wieder. Begegnet ihm auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions ein Spieler oder Betreuer des FC Bayern München, schließt er die Arme kurz um ihn. Lässt er los, finden Guardiolas Hände erneut den Weg ins Gesicht. Nach dem letzten Auftritt als Bayern-Trainer zeigt der Spanier Emotionen, gibt den Gefühlen nach. Manch einer wird denken: endlich. Sonst wirkte er während seiner dreijährigen Tätigkeit in München stets unnahbar, frei von Empathie, fast abweisend. In diesem Moment nicht.

    Mit seinem Gefühlsausbruch nach dem Gewinn des Doubles überrascht er sogar seine Spieler. Mit ihnen hat er gearbeitet, ins Herz geschlossen hat er kaum einen. David Alaba meint, so kenne er Guardiola gar nicht. Und Kapitän Lahm will erkannt haben, Guardiola werde München und die Mannschaft dann doch ein bisschen vermissen. „Man sieht, er hat die drei Jahre genossen, hat viel Leidenschaft reingesteckt“, sagt der Kapitän, ohne dabei überschwänglich zu klingen.

    Nachdem Douglas Costa den entscheidenden Elfmeter zum 4:3 rechts ins Netz gesetzt hat, löst sich der Druck, der auf Guardiola lastete: indem er weint.

    Guardiola ist ein Getriebener

    Der Trainer-Guru ist ein Getriebener. Erfolg ordnet er alles unter, trifft dafür gnadenlos Entscheidungen, agiert mitunter rücksichtslos. 21 Titel in sieben Jahren mit Barcelona und Bayern geben ihm recht. Guardiola, der gierige Sammler, erklärt dazu im Nachgang des dramatischen Aufeinandertreffens mit Borussia Dortmund. „Titel sind für mich Nummern.“ Das sagt viel aus. Nur kurz spricht Guardiola im Bauch des kolossalen Olympiastadions ungewohnt offen. Die letzten fünf Monate, seit er seinen Abschied bekannt gegeben habe, seien für ihn nicht einfach gewesen.

    Wer ihm stets zur Seite stand, war sein Musterschüler Lahm. Einer, den er dann doch liebte. Überschwänglich lobt ihn Guardiola, als er letztmals lästige Journalistenfragen beantwortet, reiht ihn ein in die Liste der Bayern-Legenden Beckenbauer, Müller oder Rummenigge. Lahm habe ihm von Anfang an geholfen. „Das Verhältnis zu ihm wird immer sehr speziell sein“, sagt Guardiola.

    Lahm dankte es ihm schon vorher mit einer Geste, bewies Gespür. Als der Bayern-Kapitän den Pokal in den Berliner Nachthimmel stemmen sollte, tat er dies gemeinsam mit Guardiola. Plötzlich hielt der Spanier den Pott alleine in Händen.

    Bis die Bayern den Pokal umklammerten, mussten sie kämpfen statt künstlern. Der finale Akt beruhte nicht auf guardiolaschem Tiki-Taka, letztlich setzten sich Wille, Körperlichkeit und Hartnäckigkeit durch. Grundtugenden des Fußballs, die trotz durchgestraffter Matchpläne unabdingbar sind.

    Am Ende einer kräftezehrenden Saison hinterließ der intensive Abnutzungskampf bei allen Beteiligten Spuren. Und das früher als gewohnt. Schon nach 70 Minuten quälten sich Dortmunder mit Krämpfen, weil Bayerns Passmaschine zuverlässig lief. Wiederholt lag ein BVB-Spieler auf dem Rasen, weil Muskeln verkrampften. Ausgelaugt schleppten sich aber auch die Bayern ins Ziel. „Ich bin ziemlich kaputt“, sagt etwa Thomas Müller nach dem Spiel. Im Elfmeterschießen hatte er seine Serie verschossener Elfmeter beendet. Zu kneifen sei nicht infrage gekommen, er könne besser in den Spiegel schauen, wenn er antrete, begründet Müller. „Vom Typ her bin ich kein Angsthase.“

    Guardiola: „Es war eine unfassbar schöne Zeit“

    Guardiola, für den Fußball totale Kontrolle bedeutet, musste also mit ansehen, wie Glück, Pech und Nerven sein Schicksal, und das der Bayern, besiegelten.

    Zuvor hatte er gewohnt wild gestikuliert, hatte mit Angelbewegungen Diagonalpässe angedeutet, hatte gelitten, wenn seine Spieler nicht vollbrachten, was er ihnen über drei Jahre eingetrichtert hat. Immer wieder war er aus seiner Coaching-Zone ausgerissen, einmal stand er fast Auge in Auge mit Dortmunds Trainer Tuchel.

    Guardiola gab für einen glorreichen Abgang nochmals alles, auch wenn seine Anzughose ganz blieb. Demütig spricht er später davon, welch Ehre es für ihn gewesen sei, für den FC Bayern zu arbeiten. Er gratuliert Spielern und Mitarbeitern dabei, als wäre er nicht Teil dessen gewesen.

    Dazu passt, dass ihn Betreuer und Hermann Gerland, die Vaterfigur der Bayern-Familie, zum Feiern in die Fankurve schieben müssen. Guardiola steht hinter den Spielern, ehe sie ihn einfach im Pulk in die Höhe werfen.

    Einen Tag später, am Sonntag auf dem Münchner Rathausbalkon, ruft Guardiola den Fans zu: „Es war eine unfassbar schöne Zeit.“ Sagt aber auch, was ihn persönlich am meisten schmerzen wird: „Ich war nicht in der Lage, den schönsten Titel zu erreichen, die Champions League.“

    Dabei wirkt er weitaus weniger emotional als am Abend zuvor im Stadion. Guardiolas Tränen sind längst getrocknet.

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