Unter einem ausnahmsweise wolkenverhangenen Himmel absolvierte Manuel Neuer ein letztes intensives Torwarttraining an der Algarve.
Es waren aber noch keine raffinierten Schüsse von Weltfußballer Lionel Messi, nach denen der Kapitän des FC Bayern am Mittwoch auf dem Trainingsplatz in Lagos hechtete, sondern nur die von Toni Tapalović. Immerhin: Der Münchner Torwarttrainer schießt wie der Argentinier mit links, der Ernstfall konnte also geprobt werden.
Ein Neuer in Bestform dürfte notwendig sein beim Krachereinstieg der Bayern in das Champions-League-Finalturnier an diesem Freitag (21.00 Uhr/Sky) in Lissabon. Im Estádio da Luz kommt es dann für Neuer aber nicht nur zum wahrhaftigen Duell mit Messi, sondern auch zum Duell mit Marc-André ter Stegen, dem Torwart-Rivalen aus der Nationalelf.
Das Viertelfinale Bayern gegen Barcelona bedeutet ja auch Neuer kontra ter Stegen, Deutschlands Langzeit-Nummer-1 gegen den ewigen Kronprinzen, der nur im Tor der Katalanen die erste Besetzung ist. Fast 100 Meter werden die Torwart-Rivalen auf dem Platz trennen, trotzdem ist es ein direktes Aufeinandertreffen, in dem jede Menge Brisanz steckt. Wer ist besser drauf? Wer kommt weiter? Wer behält die Chance, sich zum Champions-League-Sieger zu krönen?
"Beide sind top", sagte Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge, der sich im Vorfeld nur eine kleine Stichelei gönnen wollte: "Manuel Neuer ist Weltklasse, ter Stegen auf dem Weg in die Weltklasse." Im Vergleich zum Torwartzoff vor einem guten Jahr war diese Bemerkung harmlos. Rummenigge weiß, was aktuell zählt: "Ich hoffe, dass Manuel zu null hält. Wenn er zu null hält, haben wir ordentliche Voraussetzungen, dass wir das Halbfinale erreichen. Das wäre wunderbar."
Auf dem Weg zum Münchner Königsklassen-Triumph 2013 stand bei Neuer im Halbfinale gegen Barcelona in Hin- und Rückspiel die Null. Zwei Jahre später aber jubelte ter Stegen im einzigen Königsklassenduell der Schlussmänner. 3:0 in Barcelona und 2:3 in München hieß es aus Sicht des ehemaligen Gladbachers im Halbfinale 2015. Zweimal wurde Neuer damals von Messi bezwungen, sogar dreimal traf Neymar, der seine Tore inzwischen für Paris Saint-Germain schießt.
"Ich glaube, man kann schon sagen, dass das die beiden besten Torhüter auf der Welt sind", sagte Bayern-Profi Leon Goretzka über die Nationalelf-Kollegen. Das Ranking dort ist seit Jahren klar: Bundestrainer Joachim Löw rüttelte nicht einmal nach der schweren Fußverletzung Neuers an dessen Nummer-1-Status. Das sorgt dafür, dass ter Stegen im Dauer-Wartestand langsam die Geduld verliert. Vor acht Jahren machte er sein erstes Länderspiel, aber auch mit 28 Jahren wartet ter Stegen weiter auf sein Debüt bei einer WM oder EM. Seit der WM 2010 ist Neuer bei jedem großen Turnier Löws Nummer 1.
Der Bundestrainer dürfte am Freitagabend aufmerksam zuschauen. Die Corona-Krise hat zur Verschiebung der EM in den Sommer 2021 geführt. Dann ist Neuer 35 - aber räumen will er das DFB-Tor nicht. Der Kapitän hat gerade erst bei den Bayern bis 2023 verlängert.
Seine Turniererfahrung will Neuer auch bei dem "Final-8-Event" ausspielen. "In den K.o.-Spielen geht es um die Tagesform, das kann ich aus meiner Erfahrung aus den internationalen Turnieren mit der Nationalmannschaft sagen", sagte der Weltmeister von 2014: "Es ist ganz wichtig, dass man weiß, dass jeder Fehler bestraft werden kann." Das gilt insbesondere auch für jeden Torwartfehler.
Patzer in großen Spielen sind bei Neuer und ter Stegen eine Rarität. Beide fallen eher als Erfolgsgaranten ihrer Teams auf. "Man hat in der abgelaufenen Bundesliga-Saison wieder gesehen, wie viele wichtige Momente Manuel hatte und wie viel wichtige Bälle er gehalten hat", sagte Bayerns früherer Torwart-Titan Oliver Kahn über Neuer.
Dieser gebe seinen Vorderleuten ein gutes Gefühl auf dem Platz, wie Mittelfeldspieler Goretzka berichtete: "Es tut gut, Manuel hinten drin zu haben. Die Sicherheit, die er ausstrahlt und die Erfahrung, die er mitbringt, tut jeder Mannschaft auf der Welt gut."
Gleiches trifft auf Kontrahent ter Stegen zu, wie Goretzka ehrlich einräumt. "Auch Marc hat sich in Barcelona sehr gut entwickelt, da die nächsten Schritte gemacht und sich zu einem Weltklassetorhüter entwickelt." Deutschland sei "schon sehr gesegnet mit Torhütern".
In der bisherigen Königsklassen-Saison, die nun wegen Corona im Turnierformat ihre Zuspitzung erlebt, hielten beide top. Neuer wurde bei den acht Bayern-Siegen nur sechsmal überwunden, ein Fehler war ihm nur jüngst beim 4:1 gegen Chelsea anzukreiden. Ter Stegen kassierte in sieben Einsätzen fünf Gegentore. Herausragend hielt er vor allem beim 0:0 in Dortmund, als er sogar einen Elfmeter von BVB-Star Marco Reus parierte. Als "Lionel Messi mit Handschuhen" rühmten die spanischen Medien ter Stegen schon in der Vergangenheit. Eine größere Wertschätzung kann ein Barça-Torwart nicht erlangen.
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