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CL-Aus: Real Madrid: Der weiße Riese wankt

CL-Aus

Real Madrid: Der weiße Riese wankt

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    Real Madrids Ronaldo (rechts): Aus im Achtelfinale der Champions League.
    Real Madrids Ronaldo (rechts): Aus im Achtelfinale der Champions League.

    Trotz Ronaldo, trotz Kaka: Real Madrid ist im Achtelfinale der Champions League gescheitert. Mal wieder. Der spanische Rekordmeister verkommt zu einem internationalen Statisten. Für die Rückkehr zu altem Glanz bräuchte es eine Revolution. Doch kann der Klub dafür mit seiner Identität brechen?

    Wenige Sekunden vor dem Abpfiff stemmte Real Madrids José Maria Gutiérrez Hernandez, kurz Guti, die Hände in die Hüften. Der Wind im Bernabeu-Stadion wehte ihm das Haar ins Gesicht. Unter den blonden Strähnen starrte der Mittelfeldspieler ausdruckslos ins Leere.

    Gutis Gesicht war das eines Verlierers.

    Sein Team, das war zu diesem Zeitpunkt längst klar, konnte das Spiel gegen Olympique Lyon nicht mehr gewinnen. Im Achtelfinale der Champions League hatte Miralem Pjanic für die Franzosen die Führung der Gastgeber ausgeglichen. Nach der 0:1-Niederlage im Hinspiel hätte Madrid noch zwei Tore schießen müssen, um den Einzug ins Viertelfinale zu schaffen. Real Madrid war ausgeschieden. Zum sechsten Mal in Folge, das wussten Guti wie auch die Zuschauer, würde die Runde der letzten Acht ohne die ehemals "Galaktischen" stattfinden.

    Der Wettbewerb hat sich daran gewöhnt. Guti und sein Klub nicht.

    Verlieren, keinen Erfolg zu haben, das passt nicht zu dem selbsternannten "größten Klub" der Welt, der wie kaum ein anderer nationale und internationale Titel gesammelt hat. Allein neun mal gewann der spanische Hauptstadt-Verein den Europapokal der Landesmeister beziehungsweise die Champions League. Doch die Jagd nach dem zehnten Erfolg dauert schon viel zu lange. Zuletzt gelang es 2002, unter Vicente del Bosque, den wichtigsten Cup im Vereinsfußball nach Madrid zu holen.

    Guti stand schon damals auf dem Platz, neben Stars wie Zidane, Morientes und Roberto Carlos. Er feierte seinen dritten Triumph mit den "Königlichen" in der 1993 reformierten Königsklasse, die Real 1998 erstmals gewann und den ersten vergleichbaren internationalen Titel seit 1966 holte. Und danach? Danach passierte das, was aus der Ferne irrational aussieht, nach deutschen Maßstäben Kopfschütteln auslöst und Kommentatoren im Fernsehen gerne als "typisch" oder "das ist eben Real Madrid" bezeichnen: Trainer Jupp Heynckes wurde entlassen. Auch, weil der Fußball, den er spielen ließ, nicht schön genug sei. Mit dem Titel vier Jahre später (damals gegen Bayer Leverkusen) schien der Mythos Madrid noch einmal kurz aufzuflackern, mittlerweile droht er, zu einem Geld verschlingenden schwarzen Loch zu verkommen.

    Wer die Mannschaft im Rückspiel des Champions-League-Achtelfinales beobachtet hat, sah eine in der zweiten Hälfte ob der Taktik der Gäste geradezu hilflose Elf, der nach einer guten ersten Halbzeit nichts mehr einfiel, um die Franzosen in Verlegenheit zu bringen. Neben Ronaldo (90 Millionen Euro Ablöse), der immerhin das 1:0 erzielte, und Kaka (65 Millionen) fehlt ein ausgeglichener Kader, der Schwächephasen der Superstars auffangen könnte.

    Doch dieses Manko hat Tradition: Spätestens seit 1998 gilt die Identität des Vereins als weltweit bekannt: Die besten und teuersten Offensivspieler spielen bei Real, und sie spielen so schön wie kein anderes Team der Welt. Soweit die Theorie. Spieler, die wie Guti auch den Kampf beherrschen, sind allenfalls schnödes Beiwerk. Real lebt diese Identität am Rande des Größenwahns bis heute.

    Neben den neuen Aushängeschilder Kaka und Cristiano Ronaldo (zusammen über 150 Millionen Euro teuer) investierte Präsident Florentino Perez vor der Saison 2009/10 weitere 100 Millionen in den aktuellen Kader. Mit diesem finanziellen Aufwand sollte endlich wieder die Champions League gewonnen werden. Nach Weltstars wie Zidane, Figo, Raul, van Nistelrooy, Hierro, Beckham oder Roberto Carlos glaubt Real auch heute noch, damit die Garantie auf Spektakel und Erfolg gekauft zu haben. Doch spätestens seit dem erneuten Champions-League-Aus gegen Lyon steht fest: Real kauft damit allein die Garantie auf das (vermeintliche) Spektakel.

    Lerneffekt? Fast gleich null.

    Noch immer lesen die Verantwortlichen des Klubs gerne, dass zu den Präsentationen der Stars so viele Zuschauer kommen, wie sie einige Bundesliga-Clubs in zwei Heimspielen nicht haben. Dass sich die Trikots so gut verkaufen wie nie zuvor. Dass der Verein laut einer BBDO-Studie der wertvollste der Welt sei.

    Und wirken mit dieser Attitüde wie ein Dinosaurier im europäischen Fußball. Wo Manchester United oder Madrids großer Rivale, der FC Barcelona, ihre Stars nach bestehenden Systemen aussuchen und integrieren, versucht es Real immer noch andersherum: Stars kaufen, um die die restlichen Spieler irgendwie herumdrapiert werden. Das klappt in dieser Saison auf nationaler Ebene sogar besser als noch 2009. Madrid ist Tabellenführer, doch Glanz verbreitet das Team von Coach Manuel Pellegrini nur selten.

    Er ist der 14. Trainer von Real seitdem Jupp Heynckes 1998 entlassen wurde. Auch er hat es nach Guus Hiddink, Fabio Capello oder Bernd Schuster nicht geschafft, Real Madrid eine echte Handschrift zu verleihen. Dazu wäre aber nicht weniger als eine Revolution nötig: Eine Taktik, in der die Defensive den gleichen Stellenwert wie die Offensive bekommt. Spieler, die deshalb mit System verpflichtet werden - und ein Umfeld, das dies duldet. Geht das überhaupt?

    Pellegrini kann sich trösten: Er muss das alles nicht mehr herausfinden. Seine Ablösung gilt nach dem erneuten Desaster des weißen Riesen als sicher. Christian Paul

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