Peter Bosz ist ein Niederländer, und dort im Land von Käse und Campingwagen, um die schnödesten Vorurteile einzusammeln, ist die Elftal ein Heiligtum. Und sie zu trainieren das Größte. Weil der Job frei geworden ist, musste sich auch Bayer 04 Leverkusens Trainer die Frage gefallen lassen, wann er denn Bayer verlassen würde und im Team Oranje auftauchen würde. Doch das scheint kein Thema für Bosz. „Dafür müsste man ein Angebot haben, also beschäftige ich mich nicht damit. Ich muss ohnehin über meine Mannschaft nachdenken und bin damit ausgelastet.“
Was macht Bosz so nachdenklich vor der neuen Saison?
Da gibt es einiges: Leverkusen schwimmt jetzt im Geld, hat aber erheblich Substanz verloren und muss jetzt alle Künste einer Scoutingabteilung mit seriöser Transfer-Vorarbeit abrufen. Kai Havertz hat gerade seinen Wechsel zum FC Chelsea finalisiert, der mit Ratenvereinbarungen am Ende rund 100 Millionen Euro bringen soll, Kevin Volland ist zum AS Monaco entschwunden – für weniger als 15 Millionen. Die Riege der Leistungsträger ist wie schon in der vergangenen Saison, als Julian Brandt ging, ausgedünnt. Nach und nach wird sich der Kader komplettieren, da darf man sicher sein, weil durch sportliches Geschick eingenommenes Geld auch gerne wiedereingesetzt wird. Aber: Bosz hat eine Art des Spiels etabliert, die nicht jeder Spieler sofort antizipiert, vieles braucht, muss einstudiert werden. Zeit hat er nicht: Nach dem späten Europa-League-Auftritt blieben jetzt zwei Wochen Vorbereitungszeit.
Havertz’ Abgang tut weh. Ließ sich das nicht vermeiden?
Nein. Der gebürtige Aachener ist für sein Alter schon so weit, dass er jetzt den nächsten Schritt machen musste, die Premier League wird ihn aufs höchste Level heben. Und für Leverkusen bleibt ein Batzen Geld, das man geschickt in die nächste Generation investieren kann. Der Abgang schmerzt trotzdem besonders. In der offiziellen Abschiedsverlautbarung warb der Klub zumindest damit, ganz offensichtlich ein guter Ausbilder von Elite-Nachwuchskickern zu sein.
Ist wegen der Abgänge Feuer unter dem Dach?
Ob Bosz denn verärgert sei über so viel neue Ungewissheit, wurde er kürzlich gefragt. „Nicht ärgern, nur wundern“, sagte der Niederländer. Zugleich hielt der Trainer aber auch ein Plädoyer für das Leverkusener Management um Rudi Völler und Simon Rolfes. Klar ist: Der Trainer will neue Spieler sehen, und macht das intern auch unmissverständlich klar. Er habe eine Liste weitergegeben an die Verantwortlichen, sagte Bosz. Immerhin gingen mit Havertz und Volland rund 30 Tore und 30 Vorlagen, also 60 Scorerpunkte. Der zuletzt von AS Rom an RB Leipzig ausgeliehene Tscheche Patrick Schick kam für 26,5 Millionen, inwieweit er Havertz und Volland ersetzen kann, wird sich zeigen. Schick kann aber nur der Anfang sein, alleine wird er wohl keinen der beiden vergessen machen können.
Wer wird Havertz nachfolgen?
Florian Wirtz, 17 Jahre alt, abgeworben in der vergangenen Saison vom 1. FC Köln. Dort sollte er langsamer aufgebaut werden, als es in Leverkusen geschah: Wirtz bekam sofort viele Spielanteile in der Bundesliga und ist das nächste Versprechen unter dem Bayer-Kreuz.
Was kann gehen für Leverkusen?
Die Abwehr um Torwart Hradecky, Lars Bender, den so schnell eingeschlagenen Tapsoba, Tah, Wendell und Sinkgraven steht gut, ein Neuer soll zudem noch kommen. Davor stehen die erfahrenen Baumgartlinger und Aranguiz, Letzterer ist gerade neuer Kapitän geworden. Bellarabi, der seinen Vertrag verlängert hat, Demirbay und der starke, aber noch zu wechselhafte Diaby sind gehobenes Niveau, vorne wird es mit Alario und Schick etwas dünn. Ein Torgarant müsste noch her.
Prognose der Sportredaktion
Havertz und Volland zu kompensieren, wird schwierig. Für die Europa League wird es trotzdem reichen, für mehr nicht.
Zugänge Grill (2 Mill. Euro), Wirtz (kam aus Kölns Nachwuchs), Jedvaj (war an Augsburg ausgeliehen), Pohjanpalo (zurück Leihe HSV), Retsos (Leihende Sheffield United), Schick (26,5 Mill. Euro)
Abgänge Havertz (80 Millionen Euro plus Zulagen, FC Chelsea), Volland (15,5 Millionen Euro), Stanilewicz (Darmstadt, ablösefrei), Azhil (Leihe nach Waalwijk/NL), Öczan (Karriereende)
Dieser Artikel ist Teil unserer Bundesliga-Vorschau. In 18 Teilen beleuchten wir das Geschehen bei den einzelnen Vereinen und wagen eine Prognose. Im Rahmen dieser Serie ist bislang erschienen:
- TSG Hoffenheim: Hoeneß muss sich zwei Klassen höher beweisen
- Der SC Freiburg steckt den Aderlass weg wie immer
- Eine Saison ohne Europa-Glamour: Bobic muss am Frankfurt-Kader basteln
- Investor Lars Windhorst will bei Hertha BSC Berlin Fortschritte sehen
- Verletzungssorgen, Finanzssorgen: Vor dem FSV Mainz 05 liegt eine schwere Saison
- Der FCA und die neue Saison: Geht es um den Klassenerhalt - oder mehr?
- Der FC Köln in der Saison 2020/21: Die Angst vor dem siebten Abstieg
- Werder Bremen vor dem Start: Florian Kohfeldts letzte Chance
- Arminia Bielefeld: Ein Außenseiter mit großen Ambitionen
- Der VfB Stuttgart wagt ein Jugend-Experiment
- Mit Zuschauern, Kruse und Luthe: Union will sich treu bleiben
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.