Robin Krasniqi stand mit seinen zwei Weltmeister-Gürteln stolz in der Tiefe der Magdeburger Getec-Arena und war vom größten Kampf seines Lebens noch völlig euphorisiert.
"Ich wusste vorher, dass dieser Kampf mein Ende oder ein neuer Anfang sein wird. Ich bin sehr stolz. Ich bin ein Mann, der für große Aufgaben geboren ist", sagte der neue Weltmeister im Halbschwergewicht kurz nach Mitternacht. Sein Gegner Dominic Bösel musste sich da gerade ärztlich versorgen lassen, nachdem der Favorit von Krasniqi in der dritten Runde mit einer spektakulären Rechten K.o. geschlagen worden war.
Krasniqis Geschichte ist nun eines jener Box-Märchen, die es heutzutage eigentlich nicht mehr gibt. Als Notnagel und Außenseiter eingekauft, sollte er Bösel bei dessen erster Titelverteidigung zwar Paroli bieten, aber letztlich vor keine großen Probleme stellen. Schließlich war alles für die nächste Karriere-Stufe von Bösel vorbereitet worden: Die ARD übertrug erstmals seit sechs Jahren wieder einen WM-Kampf live, 2,5 Millionen Menschen schauten vor dem Fernseher zu, und Über-Boxer Henry Maske analysierte die Künste seines vermeintlichen Nachfolgers.
Dann erwischte Krasniqi Bösel so hart am Kopf, dass dieser wie ein Baum zu Boden fiel. Er lag mit glasigen Augen im Ring, war kurzzeitig völlig weggetreten. Und der ganze schöne Plan war futsch. "Ich bin erschrocken. Mit so etwas rechnet man nicht. Ich bin sprachlos", meinte Bösel, der seinen IBO-Titel und die Interims-WM der WBA wieder los war. Ganz auf der Höhe des Geschehens war er da noch nicht, so dass er sich in ärztliche Hände begab. Erst gegen 3.00 Uhr nachts kehrte Bösel ins Hotel zurück.
Krasniqi feierte da bereits mit seinen zahlreichen Fans unter den 2000 zugelassenen Zuschauern. "Das ist der größte und schönste Tag in meinem Leben. Mir kann kein Geld der Welt dieses Gefühl geben", sagte der 33-Jährige. Sein Leben an sich ist schon kein alltägliches. Krasniqi wuchs in den Wirren des Kosovo-Krieges auf, floh mit seinen Geschwistern und der Mutter in den Wald, um nicht im Kugelhagel zu sterben. Das Elternhaus war nach der Rückkehr völlig zerstört. Der Vater war ein politisch Verfolgter, hatte das Land da längst verlassen müssen.
Mit 17 Jahren holte ihn der Vater, der in München einen Obst- und Gemüsehandel betreibt, nach Deutschland. Verängstigt und ohne Sprachkenntnisse begann Krasniqi am 6. November 2004 sein neues Leben. Im Boxen fand er seine Berufung. Doch zum großen Wurf reichte es lange nicht. 2013 vergab er seine erste WM-Chance gegen Nathan Cleverly, 2015 eine weitere gegen Jürgen Brähmer. Krasniqi galt als einer, der in großen Kämpfen nicht ablieferte.
Das hat sich nun schlagartig geändert. "Wenn er diesen Moment genug genossen hat, ist er mit Sicherheit dazu bereit, das Ganze zu wiederholen", befand Ex-Weltmeister Maske. Vor dem Kampf hatte auch er Zweifel geäußert, ob Krasniqi seine bisherigen Niederlagen ausblenden kann. Konnte er. Und seine Lebensgeschichte spielte dabei eine große Rolle. "Ich habe so viele Höhen und Tiefen erlebt, ich habe geweint und oft gehört, es sei mit mir zu Ende", sagte Krasniqi. "Aber ich habe immer an mich geglaubt und bin meinen Zielen treu geblieben."
Sein neues Ziel wird nun sein, die WM-Titel erfolgreich zu verteidigen. Der Gegner dürfte klar sein: Bösel hat sich einen Rückkampf vertraglich zusichern lassen. Und auch bei der ARD, dürften sie dem Boxen angesichts der Quote und des Spektakels eine weitere Chance geben.
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