Die Tragödie ihres Lebens hat Rola El-Halabi zu einer Popularität verholfen, die im Frauenboxen überaus ungewöhnlich ist. Unmittelbar vor einem Titelkampf in Berlin wurde die frühere Weltmeisterin aus Ulm am 1. April 2011 von ihrem eigenen Stiefvater durch Schüsse in eine Hand, Füße und Knie schwer verletzt. Es folgten Operationen, monatelanger Aufenthalt in Krankenhäusern, Reha und schließlich im Januar 2013 das von einem gewaltigen Medienhype begleitete Comeback in der Ratiopharm-Arena gegen die Deutsch-Italienerin Lucia Morelli.
Diesen Kampf verlor Rola knapp nach Punkten, aber sie stieg anschließend noch dreimal in den Ring. In Laubach, Saarbrücken und schließlich im Mai 2014 am Ulmer Kuhberg, wo sie sich gegen die Amerikanerin Victoria Cisneros erneut die WM-Gürtel von drei Verbänden holte. Jetzt ist die Karriere von Rola El-Halabi unwiderruflich beendet. Die Mutter der 16 Monate alten Sophia verkündete ihren Rücktritt. An der Seite ihres langjährigen Trainers und Wegbegleiters Tommy Wiedemann im Neu-Ulmer Mekong-Gym, wo sie als kleines Mädchen mit dem Boxen angefangen hat.
Genau genommen ist ihr Rücktritt eine Spätfolge des Attentats von Berlin. Das rechte Knie macht wieder Probleme, die Ärzte haben Rola den Boxsport verboten. Diesem Ratschlag hat sich die inzwischen 31 Jahre alte Ex-Weltmeisterin schweren Herzens gefügt: "Ich will schließlich mit meiner Tochter im Sandkasten auf dem Spielplatz in die Hocke gehen können." Rola hat sich jetzt andere Ziele gesetzt. Sie will noch mehr Kinder, insgesamt drei oder vier. Sie leitet mit ihrem Mann Kosta das Kampfsportstudio Molon Labe in Neu-Ulm, betreibt selbst brasilianisches Jiu-Jitsu und wird demnächst an der Europameisterschaft in dieser Disziplin teilnehmen: "Das lasse ich auf mich zukommen. Der Spaß steht dabei auf jeden Fall im Vordergrund."
Stiefvater von El-Halabi zu sechs Jahren verurteilt
Vor allem aber will Rola mit ihrer kleinen Familie ein ruhiges Leben führen. Ihr Stiefvater Hicham „Roy“ El-Halabi wurde nach der Tat zu sechs Jahren Haft verurteilt und sitzt derzeit noch in Berlin im Gefängnis. Aber im April des kommenden Jahres wird er voraussichtlich entlassen. Hat Rola Angst vor diesem Tag? "Ich würde es eher ein Unwohlsein nennen. Ich weiß ja nicht, was dann passiert. Ob möglicherweise alles von vorne los geht." Rola würde dieses schlimme Kapitel ihres Lebens am liebsten als beendet betrachten und sie legt keinerlei Wert auf irgendwelchen Kontakt zu ihrem Stiefvater: "Ich wünsche ihm nichts gutes und nichts schlechtes. Es würde mich freuen, wenn er es schafft, sich irgendwo ein neues Leben aufzubauen."
Sophia hat die Mama zur Verkündigung des Rücktritts ins Mekong-Gym begleitet, in ihre sportlichen Fußstapfen soll Rolas Töchterchen aber möglichst nicht treten. "Gib ihr Hausverbot für die nächsten 40 Jahre", sagte die Ex-Weltmeisterin lachend zu Trainer Wiedemann und erklärte dann sehr ernst: "Das Leben, das ich geführt habe, wünsche ich mir nicht für meine Tochter." Das Drama von Berlin hat Rola mit diesem Satz nicht gemeint. Sondern die Quälerei im Training, der zermürbende Kampf um Anerkennung und Sponsoren: "Was man als Frau in diesem Sport leisten muss, das bekommt man nie zurück." Rola El-Halabi hat es trotzdem jahrelang versucht und sich alle sportlichen Träume erfüllt. Jetzt sind die privaten Träume dran.
Am Montag, den 28. November, wird El-Halabi vom BR im Formal "Lebenslinien" portraitiert