Startseite
Icon Pfeil nach unten
Sport
Icon Pfeil nach unten

Boxen: Der neue Größte heißt Anthony Joshua

Boxen

Der neue Größte heißt Anthony Joshua

    • |
    Wladimir Klitschko musste harte Treffer von Anthony Joshua einstecken, am ende verlor er. Jetzt wird über einen Rückkampf diskutiert.
    Wladimir Klitschko musste harte Treffer von Anthony Joshua einstecken, am ende verlor er. Jetzt wird über einen Rückkampf diskutiert. Foto: Axel Heimken (dpa)

    Gefasst ertrug Wladimir Klitschko die Enttäuschung und Bitternis der tragischen Niederlage. Ganz anständiger Verlierer, analysierte der dominante Ex-Champion der vergangenen Dekade diesen epischen Kampf. Weit nach Mitternacht, den Cut über dem linken Auge verarztet, kam der 41-jährige Ukrainer im Presse-Auditorium des Wembley-Stadions zu dem Schluss: „Heute Abend haben wir alle gewonnen. Auch wenn das Ergebnis dagegen spricht: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich meinen Namen, mein Gesicht, meine Reputation verloren habe.“ Aber eben das Comeback nach dem spektakulärsten, besten seiner 29 Titelkämpfe gegen den neuen, starken, jungen Helden des Schwergewichts, Anthony Joshua, 27.

    Die 90.000 Zuschauer in der ausverkauften Londoner Arena und Millionen (10,43 bei RTL) vor den Bildschirmen (➔ hier geht es zu den Zahlen des Mega-Fights) rund um den Globus wurden Zeuge eines Klassikers, eines Dramas, wie es die Welt seit den Schlachten zwischen Muhammad Ali und Joe Frazier in den siebziger Jahren nicht mehr gesehen hat. Beide, der alte und der junge Löwe, lagen hart getroffen am Boden, beide bezwangen mit bewundernswerter Willenskraft die Agonie des klassischen Knock-outs. Beide bewiesen großes Herz und stabiles Kinn. Aufstehen und siegen – so werden Heroen im Ring geboren. Am Ende war der Sohn nigerianischer Einwanderer „King of the world“, wie die Sunday Times titelte.

    Klitschko ärgerte sich, den "Matchball" vergeben zu haben

    Auch Wladimir Klitschko stand nach zwei schweren Niederschlägen aufrecht in einer Ecke, versuchte, dem wilden Schlagwirbel auszuweichen und abzublocken, als der amerikanische Ringrichter David Fields nach 2:25 Minuten der elften Runde das Ende signalisierte: TKO. Eine Entscheidung, die Lennox Lewis „nicht verstand“. Die Legende drehte sich auf dem Ringplatz um und sagte zu den Journalisten hinter sich: „Der Referee hätte abbrechen können, als Wladimir am Boden lag, aber nicht den Kampf stoppen dürfen, als er wieder stand und sich vor den Schlägen schützte. Joshua traf nicht mehr.“ Der „Gestoppte“ beteuerte dann auch, er sei wieder klar im Kopf gewesen, respektiere aber die Entscheidung. Seine fünfte Niederlage im 69. Kampf.

    Wladimir Klitschko war hoch konzentriert, sehr beweglich, schnell auf den Beinen gewesen – und ärgerte sich, dass er den „Matchball“ vergeben hatte. Mit einer krachenden rechten Geraden ans Kinn schlug der alte Herausforderer den jungen Titelverteidiger in der sechsten Runde rücklings auf die Bretter. Keiner hatte/hätte in der Vergangenheit einen solchen Donnerschlag von „Dr. Steelhammer“ überstanden.

    Vor lauter Verwunderung, dass Joshua nach diesem Volltreffer wieder aufstand, versäumte es Klitschko, alles auf eine Karte zu setzen und den Knock-out zu erzwingen. „Ich habe gedacht“, grübelte Wladimir, „der steht nicht mehr auf. Es war erstaunlich, dass Anthony wieder hochkam. Respekt. Ich hätte nach dem Niederschlag mehr machen müssen. Aber ich habe mir Zeit genommen. Ich habe mich sicher gefühlt.“ Das war der entscheidende Fehler. Der große Bruder Vitali sagte vor lauter Ärger nichts, aber seine grimmige Miene verriet: Wladimir hatte in diesem Moment einfach keinen „Killerinstinkt“.

    Joshua signalisierte Bereitschaft für einen Rückkampf

    Die Klitschko-Brüder

    Sie sind das bekannteste und erfolgreichste Geschwister-Paar im Boxsport: Vitali und Wladimir Klitschko.

    Vitali, der ältere der beiden, wurde am 19. Juli 1971 in Belovodsk (Kirgistan) geboren. "Dr. Ironfist" ist Doktor der Sportwissenschaft, seinen Masterabschluss hat er in "Managing Social Development". Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Kiew.

    Wladimir alias "Dr. Steelhammer" erblickte am 25. März 1976 in Semipalatinsk (Kasachstan) das Licht der Welt. Wie sein Bruder ist er Doktor der Sportwissenschaft. Wladimir ist ledig und wohnt ebenfalls in Kiew.

    Die beiden Boxer schafften etwas, was es nie zuvor gegeben hat. Vitali und Wladimir waren das erste Bruderpaar, das gleichzeitig Weltmeister im Schwergewicht ist. Außerdem vereinten sie erstmals alle bedeutenden Schwergewichtstitel in einer Familie.

    Wladimir gewann 1996 bei den olympischen Spielen in Atlanta die Goldmedaille. Er war amtierender Champion der Verbände WBA, IBF, WBO und IBO und damit die unumstrittene Nummer eins des Schwergewichts. Am 28. November 2015 verlor er seine Titel an Tyson Fury - kündigte aber eine Revanche an.

    Beide Brüder engagieren sich auch sozial. 1996 gründeten sie in der Ukraine eine Stiftung zur Förderung unterprivilegierter Kinder, außerdem organisierten sie Hilfsprogramme in Rumänien und Brasilien. Seit 2002 sind sie für das UNESCO-Programm "Bildung für Kinder in Not" tätig. Dafür wurden sie von der UNESCO 2006 als "Champion des Sports" ausgezeichnet.

    2011 kam die Dokumentation "Klitschko" in die Kinos. Regisseur Sebastian Dehnhardt begleitete die Brüder über einen Zeitraum von zwei Jahren in die ganze Welt.

    Wladimir Klitschko, der selbst in der fünften Runde einen schweren Niederschlag nach einer überfallartigen Attacke „weggesteckt“ hatte, begnügte sich vielmehr damit, den Kampf mit dem linken Jab zu dominieren. Bis in der elften Runde ein fürchterlicher rechter Aufwärtshaken wie ein Blitz an seinem Kinn einschlug und ihn niederstreckte. Die Punktwertungen nach der zehnten Runde: zweimal 96:93 für Joshua, 95:93 für Klitschko. „Es ist bitter“, sagte Klitschko zerknirscht.

    Edelmütig erkannte er die Leistung seines Bezwingers an: „Anthony hat Talent, ist jung, ambitioniert und stark. Er zeigte all seine Qualitäten. Ich respektiere seinen Sieg.“ Joshua, der auch seinen 19. Profikampf vorzeitig gewann, genoss euphorisch eine Stunde lang im Ring seine Nacht. Der Olympiasieger von 2012 hatte den gewaltigen Sprung aus der zweiten Klasse seiner bisherigen Gegner in die Champions League gewagt und gewonnen. Er rühmte seinen „Freund“ seit den gemeinsamen Trainingstagen im Tiroler Camp als Vorbild. „Auf einen Gegner wie Wladimir habe ich gewartet. Die Erfahrung, die ich heute gemacht habe, ist wichtiger als die Gürtel. Ich habe gelernt, dass ich jeden k. o. schlagen kann.“

    Es existiert im 15-Millionen-Pfund-Vertrag für beide eine Rückkampfklausel. Joshua signalisierte sofort Bereitschaft. Der Besiegte aber will sich Zeit lassen mit der Entscheidung, ob er mit einer Niederlage nach einem derart historischen Kampf zurücktreten soll (was unser Redakteur Andreas Kornes im Kommentar nicht erwartet). Mit der Londoner Leistung als 41-Jähriger hat Wladimir Klitschko allemal Geschichte geschrieben.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden