Der Biss, natürlich. Mike Tyson war möglicherweise der begnadetste Schwergewichtsboxer aller Zeiten, was aber bleibt: der Biss. Sommer 1997, Tyson gegen Evander Holyfield, MGM-Hotel in Las Vegas, zum ersten Mal seit Ali stellen sich auch in Deutschland wieder massenweise Interessierte den Wecker. Nicht zwingend interessiert am Boxen. Die wenigsten können Führhand, Rechts- oder Linksausleger unterscheiden. Tyson aber ist nicht nur Boxer, vor allem ist er Popstar. Mit 30 Jahren befindet er sich im besten Alter für einen Hochleistungssportler.
Vor Tysons Biss ins Ohr wagte Holyfield einen Kopfstoß
Dummerweise aber ist Tyson kein Hochleistungssportler. Er wankt durch ein Leben, auf das er den Zugriff verloren hat. Eine Gefängnisstrafe wegen Vergewaltigung liegt bereits hinter ihm, ein weiterer Aufenthalt soll noch folgen. Prostituierte, Koks, Alkohol, Tyson lässt nichts aus – außer einer professionellen Vorbereitung auf den Kampf.
Holyfield ist vom ersten Gongschlag an besser. In der zweiten Runde verursacht er bei Tyson mit einem Kopfstoß einen Cut. Die Aktion bleibt ungeahndet, Tysons Furor wächst. 40 Sekunden vor Ende der dritten Runde schließlich beißt Tyson seinem Kontrahenten ein drei Zentimeter großes Stück des rechten Ohres ab.
In der Nachbetrachtung wirkt es dezent eigentümlich, dass der Kampf anschließend fortgesetzt wird. Erst als Tyson sich auch am linken Ohr versucht, disqualifiziert ihn der Ringrichter.
Boxer Mike Tyson biss auch Lennox Lewis
Seine Karriere endete freilich noch nicht mit diesem Desaster. Es folgte sogar noch ein WM-Kampf gegen Lennox Lewis (den er während einer Pressekonferenz in den Oberschenkel biss). Den Höhepunkt seiner Laufbahn aber hatte Tyson in einem Alter erfahren, als er ihn nicht würdigen konnte. Er war in den 80er und zu Beginn der 90er Jahre Iron Mike oder auch Kid Dynamite. Er verdrosch, wer ihm vor die Fäuste lief. Tyson schlug härter als seine Gegner, war technisch überlegen und beweglich. Er hätte mindestens eine Dekade prägen sollen. Er tat es. Auf seine Weise.
Von den 300 Millionen Dollar, die er während seiner Laufbahn kassierte, blieb ihm nichts. In den vergangenen Jahren präsentierte er sich als geläuterter Mann. Er fing wieder an, Tauben zu züchten. Ein Hobby, dem er bereits als schüchterner Junge in Brooklyn nachging. Vor elf Jahren verlor Tyson seine vierjährige Tochter Exodus, die beim Spielen vom Kabel eines Laufbandes stranguliert wurde. Tyson spielte sich selbst in zwei Teilen der Kinokomödie „Hangover“. Vor zwei Jahren tingelte er durch Europa, um in Hotels von seinem Leben zu berichten. Kostenpunkt: 450 Euro pro Person. Ein Angebot ohne große Nachfrage.
Die Börse für den Kampf gegen Holyfield lag bei 30 Millionen Dollar. Die Nachfrage war da.
Dieser Artikel ist Teil der Serie "Schwarze Schafe des Sports". Sie erscheint hier in loser Abfolge.
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