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Behindertensport: Wenn der nächste Zusammenprall den Tod bedeuten kann

Behindertensport

Wenn der nächste Zusammenprall den Tod bedeuten kann

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    Seit seinem fünften Lebensjahr sitzt Thomas Paa im Rollstuhl. Im Sport hat er seine Berufung gefunden, er trainiert die Basketballer des SV Reha.
    Seit seinem fünften Lebensjahr sitzt Thomas Paa im Rollstuhl. Im Sport hat er seine Berufung gefunden, er trainiert die Basketballer des SV Reha. Foto: Siegfried Kerpf

    Thomas Paa strahlt Lebensfreude aus. Wirkt ausgeglichen. Scheint in sich zu ruhen. Selbstverständlich ist das nicht. Paa ist querschnittgelähmt auf die Welt gekommen, mit zurückgebildeten Beinen. Er kann nur seinen Oberkörper bewegen, sitzt seit seinem fünften Lebensjahr im Rollstuhl. Nüchtern erzählt er, Ärzte hätten ihm als Kleinkind keine langen Überlebenschancen eingeräumt. Deshalb mit seinem Schicksal zu hadern, kommt dem 46-Jährigen nicht in den Sinn. „Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein“, gesteht er ein, „aber ich versuche, das Bestmögliche aus meiner Situation zu machen.“

    Das Bestmögliche hat viel mit Sport zu tun. Dieser treibt ihn an, gestaltet alles erträglicher. Trotz seiner Behinderung hat sich Paa stets bewegt, als Kind schwamm er viel, probierte sich beim Bogenschießen, Tischtennis und Rollstuhltennis. Seine Berufung fand er im Rollstuhlbasketball. Als 16-Jähriger fing er damit an, brachte es mit dem SV Reha bis zum Bundesligaspieler. Diese glorreichen Zeiten sind vergangen, inzwischen werfen die Augsburger in der Oberliga auf Körbe – trainiert von Spielertrainer Paa.

    Athleten als Vorbilder

    Mit großem Interesse verfolgt der 46-Jährige dieser Tage die Paralympischen Spiele in Rio. Ihn faszinieren die Menschen, die trotz Behinderung Höchstleistungen vollbringen. Die ihrem großen Ziel, bei Paralympics dabei zu sein und eine Medaille zu gewinnen, alles unterordnen. Paa dienen sie als Vorbild. „Auch mir hat der Sport immer sehr viel gegeben.“ Es sei ein Beweis, dass man trotz Beeinträchtigung etwas leisten könne.

    Paa begrüßt die jüngste Entwicklung, zeigt sich begeistert von den Übertragungen von ARD und ZDF, die einer breiten Masse den Behindertensport näherbringen. Hinzu kommt die Begeisterung in Brasilien, die die Olympischen Spiele teils in den Schatten stellt. Für die Wahrnehmung in der Gesellschaft seien Paralympics wichtig, meint Paa. Er lebt mit seiner Frau in einem ebenerdigen Haus in Bobingen, führt ein selbstständiges, mobiles Leben. Aufgewachsen ist er in Mering. Paa beobachtet allgemein ein Umdenken.

    Nicht nur bauliche Barrieren werden eingerissen, auch die in den Köpfen der „Fußgänger“, so nennt Paa normale Menschen. Er erinnert sich an seine Schulzeit. Als niemand Inklusion kennt. Ein Schulrektor verbietet ihm die Teilnahme am Regelunterricht. „Die Gesellschaft war damals noch nicht so weit wie heute“, betont Paa. In Königsbrunn findet er eine Schule, die ihn aufnimmt. Man lässt einen Aufzug einbauen, gestaltet die Toilette um. Paa wechselt später aufs Gymnasium, macht sein Abitur, führt ein normales Leben. Es folgt eine Lehre zum Bankkaufmann, ehe im Herbst 1991 sich alles einschneidend ändert.

    Paa beginnt zu zweifeln

    Bei einem Urlaub auf Gran Canaria erkrankt Paa an einer Lungenentzündung. Für seinen Körper eine Belastung, die er nicht ohne Folgen verarbeitet, innere Organe sind betroffen. Paa fehlt von Geburt an eine Niere, diese ist jetzt nicht mehr in der Lage, sein Blut zu reinigen. Eine Dialyse wird notwendig.

    Für Paa ein Tiefpunkt. Erstmals in seinem Leben beginnt er zu zweifeln. Ein Jahr lang verbietet sich Sport, weil er zu schwach ist. Was ihm hilft, ist die Aussicht, wieder Basketball zu spielen. „Ganz damit aufhören wollte ich nicht. Das wäre zu arg gewesen“, betont er.

    Vier Jahre lang hält Paa durch, arbeitet in einer Zweigstelle einer Bank. Dann wird ihm das zu viel. Der Körper braucht Ruhephasen, die stundenlange Dialyse, drei- bis viermal in der Woche mehrere Stunden, fordert ihren Tribut. Seitdem lebt Paa von seiner Erwerbsunfähigkeitsrente und Pflegegeld.

    Mit dem Sport aufhören? Keine Option

    Geblieben ist ihm der Sport. Auch wenn das Risiko einer lebensbedrohlichen Verletzung ihn stets begleitet. In Paas linkem Unterarm wölbt sich unter der Haut eine dicke Ader, der sogenannte „Shunt“. Er ermöglicht, eine größere Menge Blut in kurzer Zeit aus dem Körper heraus- und wieder hineinzupumpen. Als Paa den Ärzten erzählt, er wolle dennoch weiterhin Basketball spielen, schütteln sie nur den Kopf. Paa räumt ein, ein blöder Zusammenstoß oder ein unglücklicher Sturz könnten lebensbedrohlich sein. Er klopft auf den Tisch, sagt dann: „Bisher ist alles gut gegangen.“

    Rollstuhlbasketball aufzugeben, kommt nicht infrage. Hätte er den Sport nicht, ginge es ihm noch schlechter, mutmaßt er. Als Paa hochklassig in Augsburg und Ulm spielte, stählte er seine Muskeln im Kraftraum. Auch jetzt wirkt Paas Oberkörper, vor allem die Arme, trainiert. Doch das ständige Anschieben hat Folgen, in der Schulter schmerzt eine Gelenkarthrose. „Eine klassische Verletzung von Rollstuhlfahrern“, erklärt Paa.

    Womöglich kommt der Tag, an dem der 46-Jährige einsehen muss, es geht nicht mehr. Bis dahin will er Sport treiben. Weil er für ihn weit mehr bedeutet als Bewegung.

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