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Behindertensport: Leichtathletik-EM: Festgezurrt in einem "Mörderstuhl" nimmt Birgit Kober bei der EM teil

Behindertensport: Leichtathletik-EM

Festgezurrt in einem "Mörderstuhl" nimmt Birgit Kober bei der EM teil

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    Birgit Kober ist beim Kugelstoßen auf einem Stuhl festgeschnallt - das sei schmerzhaft, sagt sie.
    Birgit Kober ist beim Kugelstoßen auf einem Stuhl festgeschnallt - das sei schmerzhaft, sagt sie. Foto: Daniel Karmann, dpa (Archivfoto)

    Ihr Triumph bei den Paralympics in London, als Sie in Speerwurf und Kugelstoßen Gold gewannen, ist zwei Jahre her. Jetzt kehren Sie auf die britische Insel zur EM zurück. Zwischen den Veranstaltungen damals und jetzt lagen aber vermutlich Welten.

    Kober: Das kannst du gar nicht vergleichen. Bei meinem Speerwurf-Gold 2012 war ich spätabends noch die einzige Athletin im Olympiastadion, und wenn ich dran denke, wie die 80.000 Zuschauer gejubelt haben, kriege ich jetzt noch Gänsehaut. Jetzt in Swansea sind wir auf dem Uni-Campus, in das Stadion gehen gut 1000 Leute rein. Ich freu mich trotzdem riesig, auch wenn die Anreise strapaziös war. Montagfrüh um halb drei war ich erst im Bett. Und am Vormittag war dann gleich die Wurfstuhlbegutachtung.

    Bitte was? Wurfstuhlbegutachtung?

    Kober: Na ja, das liegt alles am neuen Reglement. Bisher war es so, dass wir beim Abwurf vom Stuhl haben aufstehen dürfen. Da hast du die Hüfte noch einsetzen können, dem Wurf oder Stoß mehr Schwung geben können. In unserer Klassifizierungsgruppe hat ja keiner was primär an den Beinen, bei uns hat ja jeder nur einen Schaden im Kopf. Jetzt aber hat der Internationale Paralympics-Verband gemeint, es braucht gleiche Bedingungen für alle. Und darum machen sie uns jetzt quasi zu Querschnitten.

    Das heißt, Sie dürfen nicht mehr aufstehen, sondern müssen sitzenbleiben?

    Kober: Ganz genau. Wir sind jetzt festgezurrt. Dadurch hast du null Dynamik mehr. Und wenn du nur ein bisschen versuchst, hochzugehen, dann tut das saumäßig brutal weh, das glauben Sie gar nicht. Der Gurt zerrt dich am Bauch zurück, verdammt schmerzhaft ist das. Da machst du nur noch verkrüppelte Würfe.

    Und den Stuhl müssen Sie immer selbst mitbringen?

    Kober: Den schleppe ich in einer Mountainbike-Transporttasche durch die Gegend, eins zehn hoch und eins fünfzig breit. Ich habe viel nachgedacht in den letzten Wochen und werde jetzt dementsprechend die Konsequenzen ziehen.

    Die da wären?

    Kober: Die EM wird sicher mein letzter sitzender Wettkampf. So mache ich nicht weiter. Zurück aus Swansea habe ich bis Jahresende Zeit, zu entscheiden, in welche Schadensgruppe ich dann wechseln möchte. Hauptsache, ich kann dann im Stehen starten und muss nicht mehr sitzen. Im Stuhl ist das nur noch eine quälende Schinderei.

    Fürchten Sie denn im Sitzen einen Nachteil gegenüber der Konkurrenz?

    Kober: Darum geht’s mir gar nicht. Wenn ich Silber gewinne und mal nicht Gold, das bringt mich nicht um. Es geht mir einfach nur um die Freude am Sport. Und der Spaß vergeht dir in dem Mörderstuhl, wenn du überall aufgeschürft bist und blaue Flecken hast von den Gurten.

    Für wenig Begeisterung sorgte zuletzt auch die Diskussion um den Prothesen-Springer Markus Rehm, der deutscher Meister der Nichtbehinderten im Weitsprung wurde, dem ein EM-Start aber versagt wurde, weil ihm die Prothese möglicherweise einen Vorteil verschafft. Auch er startet in Swansea. Wie haben Sie die Debatte verfolgt?

    Kober: Sehr emotional. Markus und ich starten beide für Bayer Leverkusen, darum kennen wir uns sehr gut. Ich hätte ihm Zürich gegönnt, mir hat das sehr leidgetan für ihn. Ich kann die Entscheidung nicht nachvollziehen. Dann hätten sie mit den Untersuchungen eben früher anfangen müssen oder ihn von Haus aus gar nicht zur deutschen Meisterschaft zulassen sollen. Aber ihn erst den Titel holen lassen und dann rausschmeißen, ist kein guter Stil.

    Was hätten Sie vorgeschlagen?

    Kober: Ihn starten lassen. Und wenn die laufenden Untersuchungen zum Schluss gekommen wären, dass ihm die Prothese wirklich mehr Weite bringt, ihn dann wieder rausnehmen aus der Wertung.

    Also wie bei einem positiven Dopingtest, bei dem das Ergebnis nachträglich korrigiert wird?

    Kober: Ganz genau. Das wäre die sauberste Lösung gewesen. Abgesehen davon hat das auch uns ziemlich genervt. Es ging nur noch um den Fall Rehm, das warf einen großen Schatten auf alle. Nach den anderen, vielen jungen Behindertensportlern, die sich jetzt intensiv auf ihre erste große Veranstaltung vorbereitet haben, hat keiner mehr gefragt.

    Dann die Frage an Sie, Frau Kober. Wie ist Ihre körperliche Entwicklung seit 2012, hat sich da etwas verbessert, sind Sie mobiler als zuvor?

    Kober: Ja, es ist ein klein wenig besser geworden. 2012 im Trainingslager vor London, wenn ich da ein paar Schritte gegangen bin, hat mein Trainer immer die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gesagt: „Hock dich gefälligst wieder hin, sonst haut’s dich noch hin.“ Das Gehen ist nicht mehr ganz so staksig, aber es strengt immer noch mächtig an und kostet extrem Kraft.

    Sie äußerten vor zwei Jahren noch die Hoffnung, jemals wieder ganz gesund zu werden.

    Kober: Ja, aber das wird nichts mehr. Ich dachte lange Zeit, dass irgendwann der Durchbruch kommt und ich wieder ganz normal durch die Welt latsche. Jetzt habe ich realisieren müssen, dass es so weit nicht kommen wird.

    Und wie ist es beruflich? 2012 waren Sie nicht nur zweifache Paralympics-Siegerin, sondern auch Hartz-IV-Empfängerin.

    Kober: Bin ich immer noch. Aus Hartz IV werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr herauskommen. Es gab viel Unterstützung, Hilfe durch Bayerns Ex-SPD-Chef Franz Maget, durch Innenminister Joachim Herrmann, da ging es aber um Jobs, die für mich nicht realisierbar waren. Nach der Europameisterschaft werde ich Münchens dritte Bürgermeisterin Christine Strobl treffen. Mal schauen, es wäre wunderbar, wenn sich da bei der Stadt etwas ergeben könnte.

    Richtig viel gebracht hat der Paralympics-Triumph demnach nicht?

    Kober: Doch, schon. Mein Leben hat sich nicht komplett verändert, aber ein wenig schon. Die Erfahrung war einzigartig, auch die Ehrungen danach sind unvergessen. Und dass mich manchmal die Leute auf der Straße ansprechen und sagen: „Grüßgott, Sie sind doch die Frau Kober“, das freut mich gewaltig.

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