Noch einen letzten kleinen Triumph im seit Wochen schwelenden Kampf um die Deutungshoheit gönnte sich Thomas Tuchel zum Abschied von seinen ehemaligen Vorgesetzten bei Borussia Dortmund. Unmittelbar vor der seit Wochen angekündigten Saisonanalyse, die von Kennern schon lange als Entlassungsgespräch bezeichnet wird, hatte der 43-Jährige einen Twitter-Account eingerichtet. Über diesen Kanal gab er noch vor seinem ehemaligen Arbeitgeber den eigenen Rauswurf bekannt: „Ich bin dankbar für zwei schöne, ereignisreiche und aufregende Jahre. Schade, dass es nicht weitergeht“, twitterte der Trainer.
Schon vorher hatte er einigen Reportern vor dem Hotel „L’Arrivée“ im Vorbeigehen zugeraunt, dass seine Zeit beim BVB zu Ende sei. Ein letztes Mal hechelten die Dortmunder hinterher im Versuch, die Dynamik der Nachrichten rund um den Konflikt mit diesem eigensinnigen Trainer zu kontrollieren.
Natürlich war der unschuldige Unterton in Tuchels Tweet ebenso wenig Zufall, wie die Einrichtung des Accounts. Der Trainer präsentiert sich seit Wochen in der Rolle eines Spielballs mächtiger Funktionärsinteressen, und dieses Bild von sich wird er weiter pflegen. Die Gegenseite reagierte prompt. In einem „offenen Brief an alle BVB-Fans“ erklärte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, er und Sportdirektor Michael Zorc hätten sich bei allem Erfolg „in der Zusammenarbeit mit dem Trainerteam auch aufgerieben“. Daher habe er „leider keine Grundlage mehr für eine auf Vertrauen ausgelegte und perspektivisch erfolgreiche Zusammenarbeit gesehen“. Diese Trennung mit Sachargumenten zu begründen, ist unmöglich. Der gebürtige Krumbacher Tuchel ist mit einem Punkteschnitt von 2,11 pro Spiel der erfolgreichste BVB-Trainer aller Zeiten, er hat alle Saisonziele erreicht, viele Spieler sind unter dem Schwaben deutlich besser geworden, und am vorigen Wochenende gewann die Mannschaft mit dem DFB-Pokal den ersten Titel seit fünf Jahren.
Gerüchte halfen den Verantwortlichen, Tuchel zu entlassen
Um glaubwürdig zu bleiben, verstärken die Dortmunder daher seit Wochen den Eindruck, Tuchel habe menschlich nicht gepasst, der Arbeitsalltag mit diesem Mann sei nur schwer zu ertragen. Öffentlich bekannt wurden Konflikte mit BVB-Urgestein Nuri Sahin, mit Watzke und dem mittlerweile zum Direktor Profifußball beförderten Chefscout Sven Mislintat. Überdies wurden Gerüchte über eine große Skepsis in Teilen der Mannschaft gegenüber Tuchel lanciert.
Normalerweise werden solche Indiskretionen als vereinsschädigend wahrgenommen, in diesem Fall haben sie den Verantwortlichen geholfen, ihren Trainerwechsel zu begründen. „Das Wohl des Vereins Borussia Dortmund wird grundsätzlich immer wichtiger sein als Einzelpersonen und mögliche Differenzen zwischen diesen“, teilten die Dortmunder am Dienstag noch einmal explizit mit.
Das Gespräch mit Thomas Tuchel dauert gerade einmal 20 Minuten
Das finale Gespräch genau in dem Hotel, an dem der Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus stattgefunden hatte, hatte gerade mal 20 Minuten gedauert. Auf der einen Seite des Tisches saß Watzke mit BVB-Sportdirektor Michael Zorc und auf der anderen Seite verhandelten Tuchel und sein Berater Olaf Meinking. Die angekündigte Analyse der Saison hat nicht mehr stattgefunden, es ging alleine um die Modalitäten der Trennung.
Die Dortmunder arbeiten nun offenbar intensiv daran, Lucien Favre, den ehemaligen Trainer von Borussia Mönchengladbach, ins Revier zu locken. Gerüchten zu Folge soll der Erfolgstrainer, der im Moment bei OSG Nizza angestellt ist, sehr interessiert sein, was fehlt ist die Freigabe seines französischen Arbeitgebers. Das lässt sich allerdings mit Geld regeln, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der schweizerische Defensivspezialist, der an all seinen Stationen Erfolg hatte, in den kommenden Tagen beim BVB präsentiert wird.
Und Tuchel, der von 1988 bis 1992 für die Junioren des FC Augsburg spielte, anschließend in der Regionalliga für die Stuttgarter Kickers und den SSV Ulm 1846, und später als U19-Trainer nach Augsburg zurückgekehrt ist, hat möglicherweise Kontakt zu Bayer Leverkusen. Dort war es in den zehn Tagen seit der Trennung von Tayfun Korkut erstaunlich still. Als habe man nur auf die Trainerentlassung beim BVB gewartet. Die WAZ will erfahren haben, dass der Werksklub vom Rhein zu Tuchels Berater Kontakt aufgenommen hat.