Startseite
Icon Pfeil nach unten
Sport
Icon Pfeil nach unten

25 Jahre nach Tour-Sieg: Nach dem Sieg der tiefste Fall: Die Qualen des Jan Ullrich

25 Jahre nach Tour-Sieg

Nach dem Sieg der tiefste Fall: Die Qualen des Jan Ullrich

    • |
    Jan Ullrich im Gelben Trikot: Tausende Fans jubeln dem Deutschen beim Anstieg zu Alpe d’Huez zu. Ullrich gewinnt 1997 als bislang einziger Deutscher die Tour de France.
    Jan Ullrich im Gelben Trikot: Tausende Fans jubeln dem Deutschen beim Anstieg zu Alpe d’Huez zu. Ullrich gewinnt 1997 als bislang einziger Deutscher die Tour de France. Foto: Witters/Presse Sports/JeanLouisFel/dpa (Archivbild)

    Er hat es vermasselt. Dabei hatte er alle Anlagen zu einem deutschen Sporthelden. So wie einst Boris Becker mit seinem Wimbledon-Sieg die Deutschen zur Tennisnation machte, hätte Jan Ullrich den Radsport auf den Gipfel führen können. Vor 25 Jahren entfachte Ulle mit seinem Triumph des ersten und bislang einzigen Deutschen bei der Tour de France eine neue Faszination für die Zweiradfahrer. Für den Kampf auf dem Rad gegen den Gegner und gegen sich selbst. Er fesselte die Nation der Tourenradler an heißen Juli-Nachmittagen hinter heruntergezogenen Jalousien vor dem Fernseher. Die Anstiege zu Alpe d’Huez oder den Mont Ventoux kannten die Deutschen besser als den Riedbergpass im Allgäu.

    Seit einer Woche fahren sie wieder auf der großen Schleife durch Frankreich. Die einstigen Stars stehen als Kommentatoren oder Gäste im Zielraum der 109. Tour de France. Werden gefeiert oder gewürdigt. Für Jan Ullrich ist vorgesehen: „Nichts“, wie die Organisatoren auf Anfrage der Deutschen Presse Agentur (dpa) mitteilten. Das vielleicht düsterste Kapitel der Radsportgeschichte wird einfach ausgeblendet. Zu tief der Sumpf aus Doping und Skandalen, aus dem sich Jan Ullrich bis heute nicht befreien konnte. Und nicht wollte.

    "Einer von uns": Auch Jan Ullrich kämpft gegen den Jojo-Effekt

    Stoff hat Ullrich genügend geliefert. Auch weil er einer von uns ist. Gerne mal ein Stück Kuchen mehr isst, ein Glas Rotwein nicht verweigert und jedes Jahr gegen den Jojo-Effekt ankämpfte. Sich den Winterspeck regelmäßig abtrainieren musste. Seine Duelle mit Lance Armstrong, der seine Dopingmanipulationen noch viel perfider als alle anderen betrieb, sind legendär.

    Ullrich und sein härtester Rivale Lance Armstrong.
    Ullrich und sein härtester Rivale Lance Armstrong. Foto: Gero Breloer, dpa (Archivbild)

    Das war jedoch erst nach dem ersten Triumph. Im Sommer 1997 steigt Jan Ullrich lediglich als Kronprinz von Bjarne Riis aufs Rad, um den Dänen zu seinem zweiten Tour-Triumph nach 1996 zu geleiten. In der Hitze von Andorra-Arcalis stürmt der Jungprofi die steilen Rampen unwiderstehlich hinauf. Der Chef im Team Telekom sieht ein, dass der Rostocker Junge mit den Sommersprossen und den rotblonden Haaren mehr Körner in den Beinen hat. Der Däne gibt dem jungen Deutschen das „Go“ und Ullrich ist bis zur Triumphfahrt auf den Pariser Champs Elysees nicht mehr aufzuhalten.

    Qualen aber auch schöne Momente gehören zu Ullrichs Radsport-Karriere

    Als der neue Teamkapitän auf der 18. Etappe in den Vogesen schwächelt, feuert ihn sein Helfer Udo Bölts unbarmherzig an: „Quäl dich, du Sau!“ Der Satz zählt zum Repertoire eines jeden Hobbyradlers. Auf der Internetseite „quaeldich.de“ können die Touren und Torturen auf zwei Rädern ausgekundschaftet werden.

    „Das waren die schönsten Momente in meinem Leben als Sportlicher Leiter“, sagt sein einstiger Mentor Rudy Pevenage der dpa rückblickend. „Du kommst in ein anderes Leben zurück. Er war überall gefragt. Das hat das Leben von Jan verändert. Die Ruhe war weg. Es war unglaublich.“ Vermutlich waren es auch die schönsten Momente im Leben von Jan Ullrich, so er denn in der Öffentlichkeit sprechen würde.

    Nach Ullrichs Tour-de-France-Sieg steigen Deutsche wieder aufs Rad

    Plötzlich bricht in Deutschland die Radsport-Euphorie aus. Angerostete Rennräder werden aus der Garage geholt, neues Material angeschafft. Der Popstar des neuen deutschen Bike-Kultes ist Jan Ullrich. Jede Regung in seinem Gesicht fangen die Kameras ein, wenn es die Bergriesen der Alpen oder Pyrenäen zu bezwingen gilt. Wenn sich Ullrich quält, ist er ein begnadeter Radfahrer, begeistert die Nation. Ullrich wird Olympiasieger, Weltmeister, deutscher Meister. Aber die Tour gewinnt er nicht noch einmal, obwohl ihm die Experten wie Eddy Merckx fünf oder mehr Siege prophezeien. Lance Armstrong steht ihm im Weg. Der Amerikaner ist ein Perfektionist auf dem Rad und instrumentalisiert mit seinen Dopingmethoden auch die Kollegen.

    Als der Texaner 2006 vom Rad steigt, will es der Deutsche noch einmal wissen und nach dem zweiten Tour-Sieg greifen. Es kommt nicht dazu. In Spanien wird der Radstar bei der groß angelegten Operacion Puerto als Kunde des Dopingarztes Eufemiano Fuentes enttarnt. Ullrich wird noch vor der Tour aus dem Starterfeld genommen, sein T-Mobile-Team zieht einen schnellen Schlussstrich. Der tragische Wendepunkt in Ullrichs Leben.

    Mit Drogen, Alkohol und Auseinandersetzungen mit der Polizei macht Ullrich Schlagzeilen

    Anschließend ermittelt die Staatsanwaltschaft in Bonn. Ullrich rauscht sportlich und privat ins Tal und wird nie wieder als Profifahrer aufs Rad steigen. Das Verfahren vor dem Sportgerichtshof Cas zieht sich in die Länge. Erst 2012 wird er gesperrt. Während andere Sünder wie Armstrong, Erik Zabel oder Riis ihre Dopingvergehen meist unter Tränen eingestehen, bleibt das Schuldeingeständnis von Ullrich bis heute aus. Er habe „niemanden betrogen“. Will heißen: Weil die anderen ebenfalls gespritzt und geschluckt haben, waren die Bedingungen für alle gleich. Eine schmutzige Sache wird jedoch nicht besser, wenn alle mitmachen.

    In den Folgejahren schreibt der gefallene Radstar nur noch mit peinlichen Eskapaden Schlagzeilen. 2014 rammt er mit 1,8 Promille im Blut und deutlich erhöhter Geschwindigkeit zwei Autos. Ullrich kommt mit einer Bewährungsstrafe davon.

    Ein Bild aus glücklichen Tagen: Jan Ullrich mit seiner Frau Sara Steinhauser, die sich inzwischen von ihm getrennt hat.
    Ein Bild aus glücklichen Tagen: Jan Ullrich mit seiner Frau Sara Steinhauser, die sich inzwischen von ihm getrennt hat. Foto: Felix Heyder (Archivfoto)

    Mit seiner Frau Sara Steinhauser und den Kindern zieht Jan Ullrich nach Mallorca, doch nach 13 Jahren zerbricht die Ehe mit der Allgäuerin. Frau und Kinder gehen, der Radstar bleibt alleine auf vieles nur noch um Drogen und Alkohol zu drehen scheint. Zurück in Deutschland kommt es zum nächsten Skandal. Nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einer Dame vom Begleitservice wird Jan Ullrich in die Psychiatrie eingewiesen.

    Radsport-Kollege Lance Armstrong ist schockiert von Jan Ullrichs Fall

    Ullrich ist ganz unten angekommen. Als ihn sein einstiger Rivale besucht, ist Lance Armstrong schockiert: „Das war unheimlich für mich. Ich sah einen Mann an einem Ort wie noch kein menschliches Wesen zuvor. In so einem Zustand hatte ich noch keinen gesehen“, sagte der Texaner. Ullrich erholt sich wieder und berichtet später in Armstrongs Podcast: „Ich war auf dem Weg von Marco Pantani. Fast tot.“ Der „Pirat“ Pantani, bis heute ein Idol der Radsportverrückten Italiener, war im Februar 2004 mit einer Überdosis Kokain tot in einem Hotelzimmer aufgefunden worden. Dort hatte er sich isoliert von Freunden und Familie die letzten Tage seines Lebens aufgehalten.

    Inzwischen lebt Ullrich wieder in der Abgeschiedenheit von Merdingen, in der Nähe zu seinen vier Kindern. Es gibt Pläne für ein Bike-Zentrum, unter anderem mit seinem Freund und Geschäftspartner Mike Baldinger. Womöglich ein neues Standbein für den Toursieger von 1997, der öffentliche Auftritte meidet.

    Er hat sich gequält, aber ganz anders als es sein einstiger Helfer Bölts gefordert hatte.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden