Start-ups, die bundesweit Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Mittelständische Unternehmen, die weltweit einen Namen haben. Neue Verfahren, die Produktionen rund um den Globus effizienter machen. Bayerisch-Schwaben hat in Sachen Innovationskraft einiges zu bieten – doch hält man sich noch immer bescheiden zurück und spricht nicht darüber.
Das muss geändert werden. Auf Initiative der Augsburger Allgemeinen, Rocketeer und B4B SCHWABEN kamen Macher:innen aus der Region im Rahmen der Themenwoche Zukunft & Innovation zum ROUND TABLE auf dem Augsburger Gaswerksareal zusammen. Im Fokus der Diskussionen standen viele Fragen rund um den Innovationsstandort, die unter der Moderation von Lisa Zöls vom regionalen Wirtschaftsportal B4B SCHWABEN eine Antwort fanden.
Doch was macht die Teilnehmer zum Rocketeer? So einfach die Frage, so vielfältig die Antworten. Es beginnt schon bei der Begriffsklärung: „Rocketeers sind Menschen, die etwas bewegen, innovative Ideen umsetzen und die Zukunft aktiv gestalten wollen. Und davon brauchen wir mehr: in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“, sagt Daniel Kempf, Geschäftsführer von pd digital (Mediengruppe Pressedruck) und Mitinitiator von Rocketeer. Volle Zustimmung bekommt er von Uwe Beikirch, Vorstand der baramundi software AG, der diese Definition um einen weiteren Aspekt erweitert: Ein Rocketeer müsse den Mut aufbringen, neue Wege zu gehen, etwas auszuprobieren. Sein Unternehmen etwa wagte den Schritt in die USA und versucht sich obendrein auf einem neuen Geschäftsfeld: Lösungen für digitale Produktionsanlagen. „Wir haben den logischen Schritt getan und unsere IT-Management-Lösung für den Einsatz in der OT-Infrastruktur weiterentwickelt.“ Womit klar wäre, dass es nicht immer eine Revolution braucht, um Innovationskraft zu beweisen. Manchmal reicht schon eine Evolution, um bereits Bestehendes voranzutreiben und damit grundlegend zu verbessern. Denn der Satz „Das haben wir immer schon so gemacht“ hat in seiner Kernaussage schließlich auch seine Berechtigung. „Alt“ muss nicht gleich schlecht sein.
Dr. Michael Hofmann, Andreas Schmid Lab
Ein Unternehmen, das bereits ein Rocketeer war, bevor es den Begriff überhaupt gab, sind die Lechwerke. „Wir haben bereits vor 120 Jahren in Gersthofen den Grundstein für die Elektrizität in Bayerisch-Schwaben gelegt,“ sagt André Laggner, Leiter der Unternehmensentwicklung des Energieversorgers. „Heute stehen wir vor einer neuen Herausforderung: Bis 2040 will Bayern klimaneutral sein. Unser Ziel ist es deshalb, die Energiewende zu rocken und die Digitalisierung in der Region voranzutreiben.“ Was für ihn unbedingt zum Fortschritt dazu gehört: Starre Strukturen hinter sich zu lassen. „Wir versuchen uns jeden Tag neu zu erfinden.“
Doch wie innovativ kann eine Dienstleistung oder ein Produkt sein, wenn das Unternehmen in einer eher traditionellen Branche angesiedelt ist? Dr. Michael Hofmann kann diese Frage aus eigener Erfahrung beantworten. Er ist Geschäftsführer des Andreas Schmid Lab, der Innovationseinheit innerhalb der Andreas Schmid Group. Die Idee dahinter: Frischen Wind in ein klassisch aufgebautes Logistikunternehmen zu bringen. Wie sie das schaffen? „Wir befassen uns im AS Lab mit neuen, digitalen Trends und Technologien“, sagt Hofmann. „Diese Digitalisierung bestehender Prozesse bringt unser Unternehmen einen wichtigen Schritt nach vorne. Denn die Logistik ist eine hart umkämpfte Branche. Das Rennen gewinnt der mit der größten Effizienz.“ Zudem weht durch das AS Lab auch ein externer Wind. Etwa 900 Startups werden jedes Jahr gescoutet, davon erhalten etwa 2 bis 3 Unterstützung. Beim sogenannten Venture Clienting werdenaußerdem ihre Technologien in der Gruppe eingesetzt. „Es ist diese Symbiose, das ‚Voneinander-Lernen‘, das es für uns ausmacht. Und das uns und die Start-ups voranbringt.“
Dr. Marc Lucassen, IHK Schwaben
Ähnlicher Meinung wie Hofmann ist Dr. Marc Lucassen, Hauptgeschäftsführer der IHK Schwaben. „Aus Sicht eines Start-ups kann man uns wohl eher als sturmerprobtes Schlachtschiff bezeichnen. Traditionsreich, fest in der Region etabliert, leistungsstark. Es gibt uns seit 178 Jahren. Wir sind zudem die zehntgrößte Kammer Deutschlands. Diese Erfahrung und die Reichweite, die wir durch unser großes Einzugsgebiet haben, nutzen wir zur Unterstützung unserer Mitgliedsunternehmen. Als Bildungskammer stellen wir Innovations- und Technologieexperten zur Verfügung, die in den direkten Austausch mit den Unternehmen treten. Die IHK Schwaben tritt dabei als Partner auf, der den Prozess des Wandels begleitet.“ Auf die Frage, wie er das Potenzial und die Dynamik in Augsburg einschätze, antwortet er sehr positiv. Früher habe man auf größere Städte wie München geschielt. Heute lege die Stadt zurecht mehr Selbstbewusstsein an den Tag. Nun gehe es darum, die Auszubildenden und Studierenden in der Region zu halten – dank der positiven Gründungszahlen kein unmögliches Ziel, ist sich Lucassen sicher. Auch der etablierte Mittelstand müsse seiner Meinung nach noch mehr miteinander und vor allem mit den jungen Unternehmen verknüpft werden. „Die Region muss zukünftig noch enger zusammenrücken“.
Ein Stichwort, das Stefan Schimpfle gerne aufgreift. Er ist als Vertreter des Digitalen Zentrum Schwaben (DZ.S) vor Ort, das Veranstaltungen wie Augsburg gründet! ins Leben gerufen hat. Und auch er ist der Überzeugung, Netzwerken sei das A und O, um aus dem eigenen Bewegungsradius auszubrechen. Solche Veranstaltungsformate, wie auch das Rocketeer Festival, ermöglichen den Austausch. Außerdem bieten sie laut Schimpfle einen weiteren Vorteil: „Früher wurden Gründer:innen nicht ernst genommen. Heute sieht das glücklicherweise anders aus. Es wird sich mehr ausgetauscht. Dennoch befinden wir uns immer noch in einem Lernprozess, der beide Seiten einschließt – etablierte Unternehmen und junge Start-ups.“ Gerade von Ersteren wünsche er sich mehr Mut, mit Start-ups zusammenzuarbeiten.
Die wichtigste Komponente in diesem Lernprozess: die Menschen, die Mitarbeiter:innen. Denn, darüber sind sich die Teilnehmer:innen einig: Die müssen abgeholt werden, damit ein Unternehmen wirklich innovativ sein kann. Wirtschaftsreferent der Stadt Augsburg, Dr. Wolfgang Hübschle, bringt es auf den Punkt: „Innovation ist People Business. Der Mensch steht nie still – lässt man ihn vorwärts kommen, können wir alle nur davon profitieren.“ Was er damit meint: Unternehmen, Institutionen und die Stadt Augsburg selbst müssen Räume schaffen, in denen man Ideen ausprobieren kann, die Fehler zulassen und in denen verschiedene Akteure aufeinandertreffen. Das mache seiner Meinung nach einen echten Innovationsstandort aus.
Der Vorteil: Der Nachwuchs, also Studierende und Auszubildende, werden bereits während ihrer Ausbildungszeit an diese Themen herangeführt. „Wir geben ihnen das nötige Handwerkszeug und Wissen, etwa über digitale Geschäftsmodelle, an die Hand“, erklärt Prof. Dr. Thorsten Feix von der Hochschule Augsburg. „Unsere Aufgabe als revolutionäre Hochschule ist es außerdem, einen Blick in die Zukunft zu werfen: Was braucht beispielsweise ein Ingenieur in fünf, zehn oder 20 Jahren? Danach richten wir unsere Lehrinhalte aus.“
Uwe Beikirch, baramundi
Auf die Frage, ob es für dieses Weiterkommen eines Unternehmen zwangsweise immer neue, jüngere Mitarbeiter:innen brauche, reagierten die meisten der Teilnehmer:innen aber mit Ablehnung. Uwe Beikirch bringt es auf den Punkt: „Ich bin gar nicht begeistert davon, dass die älteren Mitarbeiter:innen häufig als weniger innovativ dargestellt werden. Vielmehr ist es eine Frage der Unternehmenskultur: Gebe ich meinen Mitarbeiter:innen die Möglichkeit, sich einzubringen? Oder möchte ich am liebsten alle Entscheidungen selbst treffen? Das macht am Ende einen großen Unterschied und hebt eine zukunftsträchtige Kultur von der bisher weit verbreiteten ab, in der die Ideen nur vom Chef kommen durften.“ Peter Wagner von wagner design spinnt diesen Gedanken weiter: „Diese Kultur muss sich so weit durch ein Unternehmen ziehen, bis die Mitarbeiter:innen von selbst fragen, was es Neues gibt. Dann hat man sie wirklich abgeholt.“
Dass man auch eingefahrene Strukturen für neue Wege öffnen kann, ist bei der Digitalisierung der Buchhaltung zu beobachten, wie Ulrich Derlien von SONNTAG Smart Tax weiß. Selbst alteingesessene Buchhalter kann man für digitale Abläufe begeistern, wenn man die sich hieraus ergebenden Chancen erklärt und den Prozess begleitet. Da sind dann Enabler gefragt: Überzeugen durch das Aufzeigen von Vorteilen. Diesen Weg müssten immer mehr Dienstleister gehen, um erfolgreich am Markt zu agieren: Innensicht verlassen und in den Kunden hineinversetzen – etwas überstülpen ließe sich schon lange keiner mehr.
Und nicht nur das Alter, auch die Geschlechterrolle spielt in den Augen der Teilnehmer:innen in Sachen Innovation zunehmend eine untergeordnete Rolle. Christian Smetana von M-net etwa betonte, dass sein Unternehmen alle Positionen nach Leistung und Können, nicht nach Geschlecht besetze. So habe sich eine Art Sogwirkung ergeben: Frauen sehen, dass es geht und werden mutiger, was das Bewerben auf hochrangige Positionen angeht. Eine solche Vorbildfunktion brauche es laut Stefan Schimpfle vom DZ.S auch dringend, weshalb er es sehr befürwortet, dass immer mehr Gründer:innen in die Öffentlichkeit treten.
Vorbild in Sachen New Work ist die fly-tech aus Friedberg. Geschäftsführer Tobias Wirth weiß, wie man seine Mitarbeiter:innen motiviert: Die Offices sind so konzipiert, dass Mensch, Raum und Technik im Einklang stehen. „Ich als Chef muss darüber hinaus meine Kolleg:innen aber auch aktiv miteinbeziehen und ihnen zeigen, wohin wir wollen. Sie sollen das Gefühl bekommen, an der Innovation auch wirklich beteiligt zu sein. Moderne Tools und Cloud-Services motivieren dabei aber zusätzlich.“ Ein Thema, das während der Corona-Pandemie zu einer großen Herausforderung wurde. So verlagerte sich die Kommunikation und Interaktion in den virtuellen Raum, was laut Sven Blanck von MAI Carbon trotz der neuen Umstände seitdem größtenteils gut funktioniert. Der Cluster Organisation gehören 120 Mitgliedsunternehmen an, 60 davon aus dem Mittelstand. Der wichtigste Punkt innerhalb eines Unternehmens und darüber hinaus: Vertrauen. „Und das bildet sich in Präsenz einfacher als über den Bildschirm.“
Als im März 2020 der erste Lockdown kam, war schnell klar: Die Firmen müssen handeln. Prozesse und Abläufe wurden digitalisiert, die es vorher nicht waren. Ob die Pandemie die Digitalisierung aber tatsächlich um 15 Jahre nach vorne katapultiert hat, wie gerne behauptet wird, darüber ist sich Ulrich Huggenberger, Geschäftsführer des Digitalisierungspartners XITASO, nicht sicher. Er vertritt vielmehr die Auffassung, dass ein guter Anfang gemacht wurde: Digitales Zusammenarbeiten trat mehr in den Fokus, als das bisher der Fall war. Für Unternehmen und vor allem den Mittelstand gelte es nun, die dazugewonnenen Tools und Methoden auch weiterhin richtig anzuwenden und kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Daneben war es die allgemeine Auffassung, dass der Arbeitsplatz von morgen in den letzten Monaten neu definiert wurde. „Ich bin ein sehr digitalaffiner Mensch – beruflich wie privat“, sagt Kathrin Lampe, Geschäftsführerin der Werbeagentur creationell. „Die vergangenen Monate habe ich den Spagat zwischen der Kreativität des direkten Austauschs und der Innovation des digitalen Arbeitens gelebt. So konnten wir trotz Homeoffice und Videokonferenzen effizient Lösungen für unsere Kunden erstellen, die dann wiederum deren Kommunikation digitalisieren. Dies ist für die Zukunft ausschlaggebend. Hybride Kommunikationsmodelle werden sich durchsetzen.“ Ähnlicher Meinung ist Robert Sauter von robatherm. Das mittelständische Unternehmen blickt bereits auf 170 Jahre Firmengeschichte zurück. „Wichtig ist die Unternehmenskultur, die bei traditionsreichen Unternehmen anders verankert ist als bei Start-ups. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Homeoffice zwar funktioniert, aber unsere Mitarbeiter:innen die Präsenz im Unternehmen ebenfalls zu schätzen wissen. Letztere fördert den informellen Austausch, aber auch die Identifikation und den Teamgeist. Uns ist daher die Flexibilität im Alltag wichtiger.“
Wie es nach der Pandemie in den Innenstädten weitergeht, ist eine Frage, mit der sich Raimund Seibold intensiv auseinandersetzt. Der Co-Founder und CEO von Boxbote Logistics blickt ein bisschen mit Sorge auf die Entwicklung in den Innenstädten – denn so mancher Einzelhändler werde wohl auch jetzt nach den Lockerungen langfristig nicht auf dem Markt bleiben. Um die Menschen wieder in die Innenstädte zu locken und so das Sterben der kleinen Läden zu verhindern, sieht er in seiner Vision ein „kleines Disneyland“, das geschaffen werden müsse. Es geht nicht mehr darum, mal schnell was einkaufen zu gehen, sondern das Drumherum in der Innenstadt zu genießen. Dazu brauche es dringend Erlebnisgastronomie, Kunst und Kultur sowie innovative beziehungsweise digitale Händler.
Dass etwas Großes entstehen kann, wenn sich Kleine zusammentun, zeigt die Genossenschaft Herzstück. Anja Dördelmann hat diesen Verbund ins Leben gerufen. Die Idee dahinter: Kleine Bauern, Landwirte und regionale Läden bekommen eine gemeinsame Plattform, auf der sie ihre Produkte anbieten können. Herzstück ist noch jung und sieht sich im Einzelhandel einer mächtigen Konkurrenz gegenüber. Doch mit Mut und vor allem einem großen Netzwerk, das Dördelmann nun schon unter den Teilnehmer:innen aufgebaut hat, wird auch Herzstück seinen Weg gehen.
Bilder zum Round Table auf dem Gaswerkareal finden Sie auf b4bschwaben.de.