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Ein bunter Baum

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Ein bunter Baum

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    Ein bunter Baum
    Ein bunter Baum Foto: Sylvia Ehrenreich

    , Mitbegründer der Kültürtage, erklärt mir beim Interview mit einem außergewöhnlichen Beispiel seine Perspektive auf die Welt: „Stell dir einen Baum vor, auf den du kletterst. In seiner Krone finden sich ganz unterschiedliche Früchte. Pflaumen, Trauben, Äpfel. So bunt und vielfältig wie dieser Baum ist auch unsere Gesellschaft.“

    Eine schöne Sicht, auf das, was um ihn herum passiert. Eine, die Schwarz-Weiß-Denken aus den Köpfen verbannt. Schließlich sollen die verschiedensten Kulturen nebeneinander bestehen und im besten Fall sogar aufeinander Einfluss nehmen. Plattform dafür sind seit acht Jahren die Kültürtage. Im Herbst 2010 das erste Mal veranstaltet, sind sie heute nicht mehr aus der Augsburger Kulturszene wegzudenken.

    So wie Fikret Yakaboylu. Er ist das pulsierende Herz hinter allem. 1980 floh er nach einem Militärputsch aus der Türkei und kam nach einigen Zwischenstationen nach Augsburg. Der Literat erkannte schnell die bunte Vielfalt der Brechtstadt und wollte einen Raum schaffen, in dem sich Künstler ihrer Passion widmen können. Aus diesem Gedanken entstand das Kulturcafé Neruda in der Alten Gasse 7 hinter dem Hofgarten und Dom. „Hier ist unsere Homebase. Hier passiert alles im Vorfeld zu den Kültürtagen“, sagt Sylvia Brecheler, die von Anfang an mit dabei ist und sich um alle organisatorischen Belange kümmert.

    Die Kültürtage leben von einem vielseitigen Programm mit Lesungen, Konzerten, Zeitzeugenberichten, Theater- und Filmaufführungen, Kabarett und Improcomedy. Künstler mit und ohne Migrationshintergrund stehen gemeinsam auf der Bühne. Jedes Jahr aufs Neue legt das Team gemeinsam das Motto der Kültürtage fest. Von Februar bis zur Veranstaltungsreihe im Oktober und November kümmern sich rund 20 Personen um die Organisation.

    Die Macht der Worte

    Das Motto darf dabei gerne politisch motiviert sein, schließlich sieht sich der Kültürverein nicht als reiner Heimatverein. Sie wollen mit ihrer Veranstaltung ein Statement setzen. So drehte sich im vergangenen Jahr alles um das Thema „Macht“. Auf ganz unterschiedliche Weise rückten die rund 70 Künstler das Thema in den Mittelpunkt.

    Mal durch eine szenische Lesung, mal durch einen Trommel-Workshop. Macht wurde auf unterschiedliche Weise interpretiert und künstlerisch umgesetzt. Wer den Trommel-Workshop besuchte, tauchte in die Welt des Rhythmus ein und lernte dessen Macht kennen.

    Bei der szenischen Lesung setzte man sich mit der Macht der Religionen auseinander. Wie beeinflusst auch heute im aufgeklärten Europa des 21. Jahrhunderts die Religion das Leben vieler Menschen? Bei einem Instawalk durch das Domviertel und die Altstadt bewegte man sich auf den Spuren der Macht. Wo ist diese sichtbar? Und wie haben sich die Mächtigen der Vergangenheit gekonnt in Szene gesetzt?

    Der Einfluss von politischer Macht wurde in Podiumsdiskussionen besprochen. Und auch die Kleinsten der Gesellschaft führte man spielerisch an das Motto heran: Mit einem Kinderparlament im Neruda Kulturcafé lernten Kinder „Macht“ und deren Einfluss auf das Leben kennen. Bei einer Mitmachgeschichte nahm man sie auf eine Reise in ein kleines, verwunschenes Dorf mit. Dort entschieden sie über das gemeinsame Leben. Sie durften ihre Wünsche und Erwartungen einbringen, aber auch als Machtträger entscheiden. Begleitet wurden sie dabei unter anderem von Yakaboylu.

    Die Idee hinter den Kültürtagen ist schlicht und doch entscheidend. Man wollte einen neuen Ort für Kultur und Kunst schaffen, dabei aber den gewohnten Raum verlassen. „Wir wollen das fördern, was eigentlich Alltag sein sollte. Ein Miteinander geprägt von gegenseitigem Respekt, Anerkennung und Freundschaft“, sagt Yakaboylu.

    Ein weiteres wichtiges Anliegen war von Anfang an die Möglichkeit zur kulturellen Teilhabe. Die Veranstaltungen der Kültürtage sollen für die Besucher kostenlos sein. Jedem soll unabhängig von Bildung, Herkunft und sozialer Stellung Zugang zu Kultur ermöglicht werden.

    Auftritt ohne Gage

    Schnell wurde allen Beteiligten bewusst, dass man ein Kulturfestival in dieser Größe nicht als Privatpersonen stemmen kann. Aus diesem Grund wurde der Kültürverein gegründet. Durch ihn können Entscheidungen getragen und umgesetzt werden. Sponsoren unterstützen ihn bei der Realisierung der Kültürtage. „Alle Künstler treten bei uns ohne Gage auf“, sagt Brecheler. „Am Ende eines Abends steht unsere Spendenbox bereit. Wir freuen uns über jeden Euro. Denn als gemeinnütziger Verein sind wir auf Spenden angewiesen.“ Nur so kann der Kültürverein mit seinen Veranstaltungen überhaupt bestehen.

    Die Welt verschönern – das ist für Brecheler und Yakaboylu mit ihrem Team die treibende Kraft. Und meistens fängt Veränderung bei einem selbst an. Mit der Initiative „Exil im Neruda“ bleiben sie ihrem Weg treu. Flüchtlinge lernen dort kostenlos Deutsch und können sich auf verschiedene Weise in das kulturelle Leben einbringen. Mit Kunst und Kultur integrieren – darum geht es bei dem Projekt.

    Überhaupt ist das Kulturcafé Neruda das Herzstück. Ohne diesen Ort und seinen Besitzer Yakaboylu gäbe es weder die Kültürtage noch den Verein. Nur wer sich und seinen Gedanken treu bleibt, kann etwas in der Welt verändern.

    Der Kültürverein tut das dieses Jahr bereits zum neunten Mal. Auch, wenn aktuell das Motto der diesjährigen Kültürtage noch nicht steht. Eines ist sicher: Das Organisationsteam diskutiert intensiv mögliche Mottos und lässt dabei die aktuelle Weltlage nicht aus dem Blick.

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