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Der Stoff, aus dem die Trachten sind

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Der Stoff, aus dem die Trachten sind

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    Der Stoff, aus dem die Trachten sind
    Der Stoff, aus dem die Trachten sind Foto: Stefan Großmann

    In den Regalen stapeln sich alte und neue Bücher. In der Mitte des Raumes: ein runder Tisch mit Häkeldecke. Teekanne, Tassen und Gebäck stehen bereit.

    „Ich hab mich heute extra schick angezogen“, sagt Hoede, bevor sie sich setzt. Sie trägt ein grünes Dirndl mit goldenen Stickereien. Selbstgeschneidert natürlich. In der Welt der Volkskundlerin dreht sich alles um historische Gewänder aus Bayerisch-Schwaben. Seit 1999 berät sie Museen, Vereine und Privatpersonen bei der Auswahl von Stoffen, Borten, Bändern und Knöpfen, pflegt das Kleidungsarchiv und gibt Handarbeitskurse.

    Ihre Leidenschaft für historische Gewänder entdeckte die Mittfünfzigerin bereits in der Jugend. In den 1970ern war sie Mitglied in einer Volkstanzgruppe in Hessen. Dort ist sie aufgewachsen. „Eine Näherin hat mir das Schneidern beigebracht. In ihrem Dorf trugen damals noch viele Frauen täglich Tracht“, erklärt Hoede. Später habe sie ihr Studium der Europäischen Ethnologie in Würzburg mit Nadel und Faden finanziert: „Drei Tage nähen, vier Tage studieren – so war das in den 1980ern“, sagt sie und nippt an ihrem Tee.

    Im Negligé aufs Volksfest

    Wer die Volkskundlerin nach dem Ursprung von Lederhose und Dirndl fragt, bekommt eine klare Antwort: „Trachten waren die Alltags- und Festtagskleidung unserer Vorfahren – nicht mehr und nicht weniger.“ Verlässliche Bildquellen, aus denen sie ihre Schnittmuster gewinnt, gibt es erst ab etwa 1800. Wichtig ist Hoede, klar zu unterscheiden zwischen Dirndl und Biedermeiertracht. So bestand die historische Kluft aus mehreren Einzelstücken, darunter Mieder, Unterrock, Oberrock und Schürze. „Erst ab dem frühen 20. Jahrhundert wurden Rock und Mieder zu einem Teil vernäht. Streng genommen ist das Dirndl in der geknöpften Variante die Unterkleidung von früher“, erklärt die Fachfrau. Von der Biedermeiertracht unterscheidet sich das Dirndl in mehrerlei Hinsicht: Die Miederhaken sind heute nur noch Zierde, statt dem Jackenausschnitt ist der Ausschnitt des ärmellosen Dirndls berüscht und das Oberteil ist mit figurfreundlichen Abnähern versehen.

    Ein lautes Klingeln reißt Hoede aus ihren Erzählungen. Rasch nimmt sie den Telefonhörer in die Hand und kümmert sich um ihre Kundschaft. Arbeit hat das dreiköpfige Team, das von der Schneiderin Sandra-Janine Müller komplettiert wird, genug. Bei Laien, Hobbykünstler und Profis sind die Handwerkskurse der Experten beliebt. Von historischen Näh- und Schnitttechniken über nostalgische Druckverfahren bis zum Knopfmacherhandwerk kann man hier alles lernen. Zudem kümmert sich das Team um die 2000 Bücher der Präsenzbibliothek. Auch Publikationen, Ausstellungen und Vorträge gehören zu den Aufgaben der Beratungsstelle.

    Allen äußerlichen Unterschieden zum Trotz ist die soziale Funktion von Kleidung über die Jahrhunderte doch gleich geblieben. „Damals wie heute bringen sie das Bedürfnis zum Ausdruck, sich in eine Gemeinschaft einzufügen. Kaum jemand trägt zum Beispiel Neonfarben – weder im Bierzelt, noch auf der Straße“, weiß die Expertin. Im Umkehrschluss dient Kleidung seit jeher dazu, sich von anderen sozialen Gruppen abzugrenzen. „Wohlhabende Bevölkerungsschichten leisteten sich rascher modische Neuheiten, trugen prächtigere Modelle und edlere Materialien“, weiß Hoede.

    Schwäbisches Mädle-G’wand

    Im Archiv des Landauer-Hauses lagern viele Schätze: Von Hüten über Kropfbändern bis zu Röcken und Lederhosen stapeln sich etliche Originale der bayerisch-schwäbischen Trachtenkultur. Auch der Fundus an historischen Abbildungen ist groß. Die Darstellung eines Bauernpaars, die Hoede nun hervorzieht, ist ein typisches Beispiel für den ländlichen Kleidungsstil im Augsburger Umland um 1830. „Herren trugen schwarze Schnallenschuhe, weiße Strümpfe über der Lederhose sowie ein langes Hemd, das auch als Schlafhemd diente. Die Westen waren mit Silberknöpfen versehen, die Jacken lang. Halsflor, Dreispitzhut und Schmalzkappe rundeten das Erscheinungsbild ab“, sagt Hoede. Strümpfe mit Strumpfband, ein langes Hemd, mehrere Unterröcke, ein Überrock und eine Schürze kleideten die Damen im frühen 19. Jahrhundert. Die Mieder seien mit dicht sitzenden Haken geschnürt gewesen, das Dekolleté von einem Goller – einem hochgeschlossenen Schulterkragen – bedeckt. Ohne Haube und Jacke aus dem Haus zu gehen, war verpönt.

    Längst haben Modeketten und Discounter das lukrative Geschäft mit der Tracht für sich entdeckt. Schrille Partydirndl und kitschige Lederhosen verkaufen sich gut. Um diesem Trend entgegenzutreten, entwickelte Hoede ein modisches Dirndl, das die wichtigsten Merkmale der bayerisch-schwäbischen Tracht erhält. „Beim schwäbischen Mädle-G’wand habe ich die Schnürung, die Stickereien und den Verlauf der Steppkanäle beibehalten. Rüschen habe ich weggelassen“, erklärt sie. Traditionsbewusste Männer tragen Silberknöpfe und einen schwarzen Halsflor.

    Zwei Tassen Tee, ein Glas Wasser und drei Kekse später begleitet Hoede ihren Gast zur Tür. Vorbei an Schneiderpuppen in Mustertracht, Nähutensilien und Glasvitrinen geht es zurück in diesen stürmischen Tag. Die Holztür selbst wirkt wie das Portal in eine andere Welt – die wunderbare Trachtenwelt von Monika Hoede.

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