Der eine engagiert sich seit über 50 Jahren in der Politik, der andere ist erst seit kurzem dabei. Eines haben Karl-Heinz Wagner aus Gersthofen und Joachim Sommer aus Augsburg aber gemeinsam: Alles begann mit einem Parteibeitritt. Den beiden war klar, dass man in den Parteien viel bewegen kann. Schließlich sind sie es, die Ideen aus der Gesellschaft aufgreifen oder selbst entwickeln und sie in die Parlamente und die Regierungspolitik einbringen. Doch wie ist es um die Zukunft der Parteien bestellt? Welche Bedeutung werden Volksparteien künftig noch haben?
Karl-Heinz Wagner ist seit 58 Jahren CSU-Mitglied
Als Karl-Heinz Wagner 1964 in die CSU eintrat, sah die politische Landschaft noch ganz anders aus. Mit Union, SPD und FDP saßen nur drei Fraktionen im Deutschen Bundestag, heute sind es sechs. Wagner war erst 18 Jahre alt, als er beitrat – sein Weg zu den Christsozialen war dabei schon vorgezeichnet. Sein Vater war Mitbegründer der Gersthofer CSU. Nach inzwischen 58 Jahren Mitgliedschaft und Kommunalpolitik ist die Ämterbilanz von Wagner beeindruckend lang: Schatzmeister, Ortsvorsitzender, jahrzehntelang Stadt-, Kreis- und Bezirksrat, dreißig Jahre Zweiter Bürgermeister seiner Heimatstadt Gersthofen. Vor elf Jahren ging der 76-Jährige in den Ruhestand, ist aber noch in der Partei aktiv.
Vom Ruhestand ist Joachim Sommer dagegen noch weit entfernt. Er ist seit rund zwei Jahren Mitglied der Grünen, 2021 wurde der 35-Jährige zum Sprecher der Partei in Augsburg gewählt. Sommer und Wagner verbindet, dass sie in ihre Parteien eintraten, weil sie aktiv Kommunalpolitik machen wollten. Oder wie Sommer es beschreibt: "Es ist immer leicht, über die Politik zu schimpfen – ich wollte es aus erster Hand miterleben, gemeinsam Lösungen erarbeiten, regional mitgestalten."
Die Mitgliederzahlen von SPD und CDU haben sich seit 1990 halbiert
Für Wagner und Sommer ist klar: Parteien spielen eine wichtige Rolle für die Demokratie – auch in der Zukunft. "Die Parteien haben bekanntlich ja einen Verfassungsauftrag zu erfüllen", so Wagner. Sie müssten die Interessen des Volkes vertreten, Einfluss auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung nehmen und die Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger am öffentlichen Leben fördern.
Doch die Mitgliederzahlen der Volksparteien sind in den vergangenen Jahrzehnten geschrumpft. 1990 hatten SPD und CDU rund 950.000 beziehungsweise 800.000 Mitglieder. Bis ins Jahr 2021 haben sie sich mehr als halbiert auf jeweils unter 400.000 Mitglieder. Die CSU rutschte im gleichen Zeitraum von 186.000 auf 130.000 Mitglieder ab. Trotz der sinkenden Mitgliederzahlen könnten Volksparteien auch künftig eine wichtige Rolle spielen, sagt der Politikwissenschaftler und Zukunftsforscher Daniel Dettling, der das Institut für Zukunftspolitik in Berlin gegründet hat. "Die Deutschen sind sehr stabilitäts- und sicherheitsorientiert", erklärt er. Volksparteien hätten deshalb, anders als etwa in Frankreich oder Italien, hierzulande auch künftig die Chance, gute Wahlergebnisse einzufahren.
Daniel Dettling: "Der Wechselwähler wird zum Standard der Zukunft"
Dennoch hat sich die Lage für Parteien geändert. "Die politische Mitte ist breiter als die soziale Mitte", erklärt Dettling. "Diese strukturelle Mehrheit ist kulturell liberal, mental grün, ökonomisch markt- und leistungsorientiert sowie sozialdemokratisch im Sinne eines fairen Ausgleichs eingestellt." Neue Lebensstile würden deshalb die alten ideologischen Lager ersetzen. Die Folge sei, dass Wählerinnen und Wähler nicht mehr ein Leben lang eine Partei wählten. "Der Stammwähler wird nicht mehr so mächtig sein. Der Wechselwähler wird zum Standard in der Zukunft." Die demografische Entwicklung sorge zudem dafür, dass Union und SPD bei jeder Wahl hunderttausende Stammwählerinnen und Stammwähler verlören.
Welche Schlüsse ziehen die Parteien aus dieser Entwicklung? Dettling beobachtet, dass sich die Parteien weniger auf ideologisch-inhaltliche Wahlkämpfe konzentrieren. Die Volksparteien versuchten zunehmend, Bewegungen von außen aufzunehmen. In Zukunft müssten sie sich zudem unternehmerischer zeigen, auf Mitgestaltung setzen und Mitglieder auch jenseits der Ortsvereine an Projekten beteiligen, so der Politikwissenschaftler. Wollen die Parteien auch künftig hohe Wahlergebnisse einfahren, müssten sie an die nächste Generation denken, an die großen Fragen. Etwa die Bekämpfung der Klimakrise oder die Sicherheit Europas. "Das sind Zukunftsfragen – darauf wollen die Leute auch Zukunftsantworten."
Experte: Volksparteien versuchen, Bewegungen von außen aufzunehmen
Karl-Heinz Wagner macht sich um die Zukunft der Parteien keine Sorgen. Dennoch findet er: "Politik muss wieder mehr von unten nach oben transportiert werden. Politik muss verständnisvoll erklärt werden. Die Politik soll an ihrem bemängelten Image arbeiten, damit sie für viele Menschen interessant ist und auch zur Mitarbeit animiert."
Auch Joachim Sommer hat Wünsche an die Parteien der Zukunft. Sie sollten sich verjüngen, digitaler werden und ihre Parteimitglieder aktiver mit einbinden. Jüngere und neue Mitglieder sollten etwa die Chance haben, sich direkt in Projekte einzubringen. Sorgen bereiten Sommer dagegen populistische Tendenzen. "Diejenigen, die am lautesten sind, sind nicht unbedingt die Mehrheit", sagt er. Wie die Mehrheiten in den kommenden Jahren aussehen werden, das haben neben den Wählerinnen und Wählern nicht zuletzt auch die Parteien in der Hand.
Dieser Artikel ist Teil der Themenwoche Zukunft unserer Volontäre. Alle Themen und Texte zum Schwerpunkt finden sich hier in unserer Übersicht.