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Themenwoche Zukunft: Gender Pay Gap: "Junge Leute glauben, dass sie das gar nicht mehr beträfe"

Themenwoche Zukunft

Gender Pay Gap: "Junge Leute glauben, dass sie das gar nicht mehr beträfe"

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    Noch immer erhalten Frauen im Job durchschnittlich weniger Geld als Männer. Wie viel, das zeigt der Gender Pay Gap.
    Noch immer erhalten Frauen im Job durchschnittlich weniger Geld als Männer. Wie viel, das zeigt der Gender Pay Gap. Foto: Andrea Warnecke, dpa (Symbolfoto)

    Frauen verdienen in Deutschland derzeit im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer. Sind sie selber schuld, weil sie sich zum Beispiel schlechter bezahlte Berufe aussuchen, Frau Klammer?
    UTE KLAMMER: Ja und Nein. Einerseits ist die Berufswahl bei uns relativ frei. Ich denke schon, dass es im Durchschnitt unterschiedliche Vorlieben gibt. Aber die Frage ist, warum müssen wir zum Beispiel soziale Dienstleistungsberufe so schlecht bezahlen, also im Vergleich mit der Industrie. Warum ist uns das so wenig wert? Das kann man sich ja auch mal fragen.

    Diese Lohnlücke wird auch Gender Pay Gap genannt. Wie würden Sie diesen Begriff erklären?
    KLAMMER: Der Gender Pay Gap, das ist erst einmal wichtig zu betonen, ist immer auf Stundenlohn-Basis gerechnet. Er vergleicht die unterschiedlichen Stundenlöhne der Bezugsgrößen, in diesem Fall von Männern und Frauen.

    Sind Branchen, in denen viele Frauen arbeiten, eher schlecht bezahlt?
    KLAMMER: Da gibt es einen ganz klaren Zusammenhang, der ist auch in der Literatur bekannt. Dort wird erklärt, dass Frauenarbeit als geringer wertig angesehen und dementsprechend schlechter bezahlt wird. Das hat damit zu tun, dass vor allem in Westdeutschland das Gehalt der Frau lange nur als Zubrot gesehen wurde. Deswegen werden in solchen Branchen oft immer noch keine Ernährer-Löhne gezahlt. Bei der Bewertung von Arbeit fließen oft viele Dinge nicht mit ein. Ein typisches Beispiel: Die Verantwortung, die man für Maschinen hat, wird klassischerweise hoch bewertet und besser bezahlt. Berufe, in denen man Verantwortung für andere Menschen übernimmt, sind oft weniger angesehen und werden schlechter bezahlt.

    Viele Frauen arbeiten in Teilzeit, sobald ein Kind da ist. Dafür entscheiden sie sich selbst.
    KLAMMER: Ja und Nein. Wir haben in Deutschland ein Modell, das vorsieht, dass alle Menschen im erwerbsfähigen Alter auf dem Arbeitsmarkt aktiv sein sollen. Da stellt sich aber die Frage: Wer passt auf die Kinder auf oder kümmert sich um ältere Menschen? Wir haben nicht genug Kitas, wir haben nicht genug Betreuungsplätze. Das heißt, dieses Modell ist blind gegenüber anderen Bedürfnissen der Gesellschaft. Der Sozialstaat unterstützt dabei massiv eine ungleiche Arbeitsteilung zulasten der Frauen.

    Was meinen Sie damit?
    KLAMMER: Dinge wie Ehegattensplitting, beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung und Mini-Jobs: der Staat unterstützt damit massiv eine Art Anderthalb-Verdiener-Modell. Und das stellt sich ganz schnell nach der Geburt des ersten Kindes ein. Junge Leute glauben oft, dass sie das gar nicht mehr beträfe. Aber dann kommt das Kind und es ist dann oft so, dass die Frau erst einmal aus dem Berufsleben aussteigt. Häufig scheint das auf den ersten Blick ökonomisch sinnvoller, weil sie weniger verdient. Nach einiger Zeit versuchen diese Frauen dann, in den Beruf zurückzukehren. Aber das zweite Einkommen wird stark besteuert und es ist kein Kitaplatz da. So verfestigt sich dann einfach die Situation der Frau, während der Mann Karriere macht. Karrieren entwickeln sich auseinander. Damit trägt der sozialstaatliche Rahmen sehr viel dazu bei, dass sich Teilzeit-Tätigkeiten am Ende zulasten der Frauen auswirken.

    Bis jetzt haben wir vor allem über Probleme gesprochen. Aber was wären denn mögliche Lösungen, damit sich die Situation ändert?
    KLAMMER: Auf jeden Fall helfen Tarifverträge. Sie lösen das Problem ungleicher Bezahlung nicht völlig, aber sie mildern es ab. In nicht-tarifgebundenen Bereichen ist die Kluft beim Gehalt größer. Das ist auch ein ganz klares Ergebnis unserer Studie. Allerdings war der Effekt auch in Branchen mit Tarifverträgen nicht völlig verschwunden. Die gute Nachricht ist also: In solchen Branchen sieht es auf jeden Fall besser aus. Die weniger gute Nachricht: Ganz problemfrei ist es da auch nicht. Die müsste man auch mit ins Visier nehmen. Sozialpolitisch ist es sehr ärgerlich, dass man die Mini-Job-Grenze angehoben hat. Für Studierende oder Rentner mag das gut sein, aber nicht für Frauen im Erwerbsalter. Die werden zum Beispiel im Einzelhandel in Minijobs richtig festgehalten. Und auch die beitragsfreie Mitversicherung. Warum sollen denn Personen mitversichert sein, die keinen Grund haben, nicht selbst auf dem Arbeitsmarkt tätig zu sein. Das sind seit Jahren Regelungen, bei denen ich hoffe, dass sich das ändert.

    Wie würde sich die Gesellschaft verändern, wenn gleichwertige Arbeit gleich bezahlt werden würde?
    KLAMMER: Der Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche und gleichwertige Arbeit ist europäisch verankert und durch den Europäischen Gerichtshof bekräftigt worden. Er entspricht auch grundsätzlich dem Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen. Es ist aber wichtig, dass klar wird, was eigentlich „Gleichwertigkeit“ bedeutet. Wenn hiermit einhergeht, dass der Gender Pay Gap sinkt, könnte das auch bedeuten, dass sich die Aufgabenteilung in Familien verändert. Oft ist die ungleichmäßige Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit ja das Ergebnis von gemeinsamen Entscheidungen. Diese werden auch davon beeinflusst, dass Männer heute auf dem Arbeitsmarkt zumeist ein höheres Erwerbseinkommen erwirtschaften können als ihre Partnerinnen.

    Ist es überhaupt realistisch, dass es die Lohnlücke in Deutschland irgendwann nicht mehr gibt?
    KLAMMER: Einen gewissen Gender Pay Gap – im Sinne von unterschiedlichen Erwerbseinkommen pro Stunde - wird es weiter geben, solange sich die Erwerbsbiografien von Männern und Frauen unterscheiden. Frauen unterbrechen etwa häufiger ihr Arbeitsleben, um sich um ihre Kinder zu kümmern und besetzen weniger Führungspositionen. Das wäre auch noch kein Verstoß gegen das Prinzip "gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit". Aber der Blick in andere Länder zeigt: Der Gender Pay Gap kann auch sehr viel geringer ausfallen.

    Dieser Artikel ist Teil der Themenwoche Zukunft unserer Volontäre. Alle Themen und Texte zum Schwerpunkt finden sich hier in unserer Übersicht.

    Zur Person

    Ute Klammer ist Professorin für Sozialpolitik an der Universität Duisburg-Essen und Direktorin des Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) und des Deutschen Instituts für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (DIFIS). In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit Fragen der sozialen Sicherung von Frauen und Armuts- und Einkommensverteilung.

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