Hilal geht gern in die Schule. Eines ihrer Lieblingsfächer ist, wie bei so vielen anderen Zehnjährigen, Sport. In Hilals Fall verblüfft das. Denn sie sitzt im Rollstuhl. Im Sportunterricht spiele die Klasse aber oft Spiele, bei denen sie auch mitmachen könne, sagt sie. "Und wenn die anderen was machen, was ich nicht kann, mach ich einfach was anderes", sagt sie ganz pragmatisch. Damit die Zehnährige ihre Schule, die Augsburger Mächdchenrealschule St. Ursula, besuchen kann, bekommt sie Hilfe von Schulbegleiterinnen. Gäbe es diese Hilfe nicht, müsste Hilal, ein aufgewecktes Mädchen mit glänzenden dunkelbraunen Haaren, an eine Sonderschule, die extra für Kinder mit Handicap eingerichtet ist. So ist während des Unterrichts immer eine Schulbegleiterin dabei, die Hilal bei allem unterstützt, was alleine nicht klappt. Die Begleiterin holt ihr zum Beispiel etwas aus dem Klassenschrank, kommt mit zur Toilette oder hilft ihr ins Stehpult. Etwa eine Stunde am Tag arbeitet Hilal an diesem Tisch, in dem sie halb angelehnt und halb angegurtet steht. So sitzt sie nicht die ganze Zeit, was besser für ihren Kreislauf ist. Eine von Hilals Schulbegleiterinnen ist Anja Eggemann. Sie wurde vom Fritz-Felsenstein-Haus, eine Organisation, die sich um die Bildung behinderter Kinder kümmert, an Hilals Eltern vermittelt. Das Haus ist einer von mehreren sozialen Trägern im Raum Augsburg, die Schulbegleiter anstellen und an Eltern vermitteln. Die Träger wiederum stellen die Rechnung nicht an die Familien, sondern bekommen das Geld für die Schulbegleiter vom zuständigen Bezirk, der für die Finanzierung verantwortlich ist.
Kinder sollen lernen selbstständig zu handeln
Für Eggemann, gelernte Krankenschwester und Mutter, ist der Job auch wegen der Arbeitszeiten ideal, denn die decken sich mit den Unterrichtszeiten ihres Sohnes. Sie erklärt, das Grundprinzip ihrer Arbeit sei es, dem betreffenden Schüler die größtmögliche Selbstständigkeit zu ermöglichen. Das ist auch eine Herausforderung. "Man muss sich einfach in Geduld üben und nicht sofort hochspringen, sobald das Kind Hilfe brauchen könnte." Im September vergangenen Jahres ist Hilal von der Grundschule an die St. Ursula Mädchenrealschule gewechselt. Und mit ihr Anja Eggemann, die dem Mädchen schon länger im Schulalltag hilft. Dass Hilal fast immer eine Begleiterin dabei hat, war für ihre neue Klasse zu Beginn ungewohnt. Doch das habe sich schnell gegeben, sagt Hilals Freundin Hannah. Die Schulbegleiterin wiederum ist beeindruckt, wie gut und schnell die Schule sich auf Hilal und die besonderen Anforderungen, die so eine Behinderung mit sich bringt, eingestellt hat. Außer am Sportunterricht kann das Mädchen an fast allem ohne Einschränkungen teilnehmen. Auch an den Wahlfächern am Nachmittag. Im ersten Halbjahr stand Kochen auf dem Stundenplan. Im Bläserensemble der Schule spielt Hilal Klarinette. Damit Hilal keinen Unterricht verpasst, wenn Eggemann krank ist oder aus anderen Gründen ausfällt, hat sie eine zweite Schulbegleiterin. Die beiden teilen sich die Stelle. Montag und Dienstag ist Eggemann da, Donnerstag und Freitag ihre Kollegin. Am Mittwoch wechseln sich die beiden ab. Sollte eine ausfallen, springt die andere ein.
Schulleiterin Doris Mayer: So funktioniert Inklusion
Schulleiterin Doris Mayer ist davon überzeugt, dass ihre Schülerinnen viel aus dem Umgang mit Kindern wie Hilal lernen. An der Mädchenrealschule St. Ursula wurden in der Vergangenheit schon häufiger Schülerinnen mit Einschränkungen unterrichtet. An der Schule haben Mädchen ihren Abschluss gemacht, die fast blind sind, taub, autistisch oder die, wie Hilal, nicht gehen können, erzählt die Schulleiterin. Hilal ist jedoch die Erste, die von Schulbegleitern unterstützt wird. Rektorin Mayer findet das System gut. Denn trotz allem Bemühen um Inklusion gebe es Hilfestellungen, die die Lehrkräfte im Alltag nicht leisten können, ohne dass der Unterricht für alle darunter leidet. An Hilals Rollstuhl und die Einschränkungen, die das mit sich bringt, haben sich ihre Mitschülerinnen inzwischen gewöhnt. Hilals Freundinnen versuchen, der Sache auch etwas Positives abzugewinnen. Manchmal dürfen die Mädchen zum Beispiel im Aufzug mitfahren. Sie haben auch gelernt zu akzeptieren, dass Manches einfach nicht möglich ist. "Wir haben viele Treppen zu Hause. Hilal kann mich also nicht besuchen", erzählt Hannah. Andere Probleme versuchen die Mädchen zu lösen. Sie wollen die Lehrer fragen, ob sie die Tische im kommenden Schuljahr umstellen dürfen. Bisher sind die in Vierecken angeordnet. "Durch Reihen würde Hilal mit dem Rollstuhl besser durchkommen", erklärt Klassenkameradin Ellen.