War das noch die Alexandra Popp, die so lauthals gejubelt hatte? Die ihre Freude herausbrüllte, weil sie erfolgreich mit all ihrer Entschlossenheit voranging? Als die Torjägerin sich neben Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg aufs Podium zur Pressekonferenz im Rectangular Stadium von Melbourne setzte, war ihr Haar noch nass. Als sei die 32-Jährige kurz noch in dem direkt daneben gebauten Swimmingpool gesprungen. Dazu trug sie eine schwarze Brille und legte eine fast nachdenkliche Miene auf. Sei sie vielleicht gerade sentimental? „Jein!“
Es brauchte mehr als eine Nachfrage, um der Anführerin zu entlocken, warum sie an diesem eigentlich unbeschwerten Auftaktabend beim 6:0-Kantersieg gegen Marokko offenbar emotional angefasst war. Wie bei der WM vor vier Jahren wiederholte sie jene Geste, mit der sie ihre Tore im letzten Gruppenspiel in Montpellier gegen Südafrika (4:0) und im Achtelfinale in Grenoble gegen Nigeria (3:0) zelebriert hatte: einen Telefonhörer formen und den Zeigefinger zum Himmel führen. Wie die Filmfigur E.T. nach hause telefonieren.
DFB-Kapitänin Popp: "Derjenige, der abgenommen hat, ist mein Vater"
„Derjenige, der abgenommen hat, ist mein Vater“, verriet sie nun. Und wie in dem Steven-Spielberg-Klassiker die außerirdische Hauptfigur eine Verbindung aufbaute, ahmte Popp es auch in Down Under nach, denn: „Damit möchte ich nicht nur die Menschen an den Bildschirmen erreichen. Sondern vor allem die Menschen, die nicht mehr unter uns sein können und die mir sehr wichtig sind oder waren. Ich möchte einfach zeigen, dass ich an sie denke.“ Gemeint hat die 32-Jährige ihren verstorbenen Papa.
Weil niemand besser ihre persönlichen Befindlichkeiten kennt, als die ihr seit Jugendzeiten verbundene Voss-Tecklenburg, gab es demonstrativ einen Klaps von der Trainerin für ihre Anführerin. Die öffentliche Symbolik: Kopf hoch, Mädchen! Auch da kommen wir zusammen durch! Was das Überwinden von Widerständen angeht, sind die beiden Schwestern im Geiste. Ein Doppelpack mit den Länderspieltoren 63 und 64 im 129. DFB-Einsatz diente offenbar als Teil eines persönlichen Verarbeitungsprozesses, der in ihrer bald veröffentlichen Biografie sicher auch zur Sprache kommt.
Alexandra Popp will ins WM-Finale kommen
In diesem Licht strahlte auch die Belobigung der Bundestrainerin, dass Popp nicht nur eine Leaderin sei, sondern „eine Spielführerin, wie man sie sich nicht besser wünschen kann. Aber sie ist gleichzeitig ein Teamplayer.“ Wer so vorbildlich vorangeht, imponiert der 55-Jährigen besonders. Popps vierte und wohl letzte WM soll – anders als die Heimturnier 2011 in Deutschland, 2015 in Kanada und 2019 in Frankreich – nicht wieder in einer Enttäuschung enden. Dennoch hat sich die Bundesliga-Torschützenkönigin für dieses Turnier partout keine Zahl vorgenommen – sechs Treffer waren es bei der EM im vergangenen Jahr, ehe sich vor dem Endspiel gegen England verletzte. Und jetzt? „Ich will ins Finale kommen, das bestmöglich spielen und gewinnen.“ Und dafür wirft sich die „fliegende Legende“, wie das Fachmagazin Kicker sie nennt, in jeden hohen Ball.
Wie sie beim 2:0 in einer Rückwärtsbewegung die Kugel mit dem Hinterkopf überhaupt aufs Tor brachte, genügte höchsten Ansprüchen. Das 1:0 war dagegen ja fast ein Kinderspiel, als sie ins leere Tor köpfelte, aber auch eben wieder perfekt in der Luft stand. Colin Bell, Trainer vom dritten Gruppengegner Südkorea, nennt sie die weltbeste Kopfballspielerin. Mit einem Augenzwinkern kommentierte die noch leicht angeschlagene Vereinskollegin vom VfL Wolfsburg, Lena Oberdorf, den Tatendrang der Teamkapitänin: „Das war eine solide Leistung von der Frau Popp“, witzelte die 21-Jährige. Dann ging’s gemeinsam mit dem Bus ins Fifa-Hotel in den Docklands an der Waterfront von Melbourne, wo Alexandra Popp vielleicht leichter ein Wirrwarr der Gefühle entknoten konnte.