Augsburg/Tübingen Es ist zu Beginn eines jeden Schuljahres dasselbe: Ein neues Klassenzimmer bedeutet eine neue Sitzordnung. Manche Schüler bevorzugen die hinterste Reihe, um möglichst nicht im Blickfeld des Lehrers zu sitzen. Andere Kinder favorisieren die vorderste Reihe, sodass sie dem Unterricht besser folgen können. Doch lernen Schüler, die vorne sitzen, wirklich besser? Ein Experiment der Universität Tübingen gibt die Antwort.
Friederike Blume ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität. Laut ihr gibt es in der Wissenschaft bislang keinen Beleg dafür, dass Kinder, die vorne sitzen, tatsächlich besser lernen. Deshalb hatte Blume zusammen mit weiteren Wissenschaftlern des Forschungsnetzwerks LEAD an der Universität Tübingen Fünft- und Sechstklässler eines Gymnasiums in ein virtuelles Klassenzimmer gesetzt. Mithilfe einer elektronischen VR-Brille sahen die Schüler einen virtuellen Lehrer an der Tafel und animierte Klassenkameraden, die sich möglichst realistisch verhielten – sich umdrehten, den Unterricht störten oder aufpassten. Die Studie fand Blume zufolge in einem animierten Klassenzimmer statt, da die Umsetzung so leichter sei, als Schüler über einen langen Zeitraum im Unterricht zu beobachten.
„Die Testpersonen wurden zufällig in die hinterste oder in die vorderste Reihe gesetzt“, sagt Blume. Der Lehrer erklärte eine Rechenaufgabe, die nicht im normalen Lehrplan enthalten war. Für die Schüler erforderte die Übung logisches Denkvermögen. Sie sollten anschließend eine Rechnung lösen. Dabei stellten die Forscher fest, dass die Kinder, die vorne gesessen waren, das Gelernte besser umgesetzt hatten als diejenigen, die in die hinterste Reihe gelost worden waren. „Wir spekulieren, dass sie sich nicht so leicht ablenken ließen von ihren Mitschülern, da sie nur den Lehrer im Blickfeld hatten“, sagt die Wissenschaftlerin. Allerdings treffe dieses Ergebnis nur auf Kinder zu, die keine ausgeprägte Selbstkontrolle hätten. „Um das herauszufinden, haben wir die Eltern der Schüler im Vorfeld der Studie befragt.“ Auf Kinder mit einer guten Selbstbeherrschung habe der Sitzplatz im Klassenzimmer keine Auswirkung.
„Daraus lässt sich nicht ableiten, dass jetzt alle Kinder vorne sitzen sollen“, erklärt Blume. Mit dem Experiment wolle sie Lehrkräfte bestärken, nicht nur an der Tafel zu stehen, sondern zwischen den Reihen hindurchzulaufen, damit jeder Schüler im Laufe des Unterrichts mindestens einmal dicht am Lehrer sei. Im virtuellen Klassenzimmer stand der Lehrer lediglich vor der Tafel. „Das Ergebnis der Studie ist nicht bahnbrechend. Wir haben vermutet, dass die Kinder vorne einen Vorteil haben, und wollten das aufzeigen“, sagt Blume.
Und an welche Sitzordnung sollten sich die Schulen offiziell halten? Vorgaben des bayerischen Kultusministeriums gibt es keine. „Das entscheidet der jeweilige Klassenlehrer“, sagt Sprecher Sven Otto. Ziel sei es lediglich, einen optimalen Lernerfolg zu erzielen. Und der richte sich danach, wie der Lehrer seine Schüler einschätze.
Friederike Blume empfiehlt nach Erkenntnissen der Studie, dass die Kinder rotieren sollten. So sitze jeder Schüler irgendwann in der ersten Reihe. Allerdings gebe es in den meisten Klassenzimmern ohnehin die Tendenz zu einer hufeisenförmigen Sitzordnung. „Da ist der Lehrer relativ schnell bei den Schülern“, sagt Blume. Sei die Sitzordnung in Reihen, dann habe er überhaupt keine Möglichkeit, auf die Schüler in der Mitte zuzugreifen und ein Problem zu lösen. Gruppentische seien geeignet, damit die Schüler untereinander agieren.