Zur Person: Tim Pröse war früher Lokaljournalist und ist heute Spiegel-Bestseller-Autor. Über zwei Jahre traf er die Söhne und Töchter der Widerstandskämpfer um Claus Schenk Graf zu Stauffenberg. Am 20. Juli 1944 scheiterte das Attentat der Gruppe auf Adolf Hitler mit einem in das Führerhauptquartier in Ostpreußen geschleusten Sprengkörper. Viele der Widerstandskämpfer wurden ermordet, die Kinder teilweise in Kinderheime verschleppt. 80 Jahre später lässt Tim Pröse sich die Söhne und Töchter der Widerstandskämpfer erinnern und präsentiert sein Buch in einer szenischen Lesung in der Stadtbücherei Königsbrunn am Mittwoch, 6. November, um 19 Uhr. Karten gibt es in der Stadtbücherei oder unter www.reservix.de.
Herr Pröse, wie haben Sie die Kinder des 20. Juli ausfindig gemacht?
TIM PRÖSE: Meine früheren Bücher über Widerständige hatten mir vielleicht dabei geholfen. In meinen „Jahrhundertzeugen“ etwa begleite ich Inge Scholl, die Schwester von Sophie und Hans.
Ich begegne Menschen mit aufrichtigem Interesse und durchaus auch mit Begeisterung. Das spüren feinfühlige Gesprächspartner. Deswegen luden mich ein paar der „Kinder des 20. Juli“ ganz am Anfang meiner Recherchen ein, zum Todestag ihrer Väter mitzukommen in die Gedenkstätte Plötzensee in Berlin. Dort gedenken sie ihren erhängten Vätern, beten für sie und singen. Mit dieser Szene beginnt mein Buch. Auf sie baut sich dann alles Weitere auf.
Schon ihr erstes Buch „Jahrhundertzeugen“ handelt vom Widerstand im Nationalsozialismus. Warum haben Sie ein so großes Interesse an dem Thema?
PRÖSE: Weil wir auch heute Widerstand leisten müssen gegen die Feinde unserer Freiheit und Demokratie. Viele kommen von rechts, einige leider neuerdings auch von links. Ich denke nur an den linken Antisemitismus. Und an jene, die meinen, die Ukrainer sollten sich lieber ergeben, statt sich und die Freiheit zu verteidigen.
Warum haben Sie angefangen Bücher zu schreiben?
PRÖSE: Weil ich einigen Menschen Denkmäler aus Zeilen setzen wollte. Etwa der Weißen Rose. Georg Elser. Dietrich Bonhoeffer. Graf Stauffenberg und den vielen seiner Verbündeten. Und weil ich vom Schreiben weiter leben wollte. Und für das Schreiben.
Wie ist das Gefühl, Spiegel-Bestseller-Autor zu sein?
PRÖSE: Nachdem ich im festangestellten Journalismus in der Medienkrise gekündigt wurde, ein genugtuendes und fröhliches. Das Gefühl steht in meinen Büchern an erster Stelle. Ihm hab ich meinen Erfolg zu danken. Wir Journalisten dürfen das Gefühl, auch das große, nicht verlieren. Wir dürfen es beschreiben.
Das Attentat vom 20. Juli 1944 scheiterte. Heute driftet die Welt weiter nach rechts. Wie gehen die Erben damit um, dafür ihre Väter verloren zu haben?
PRÖSE: Es ging damals schon nicht nur ums Siegen, sondern ums Tun. So wie es heute Konstantin Wecker singt. Die Attentäter waren sich im Klaren darüber, dass sie wahrscheinlich nicht triumphieren werden. Aber sie wollten ein Zeichen setzen. Das wollen und müssen wir heute auch wieder. Zur Not auch gegen jede Vergeblichkeit.
Die Gruppe um Stauffenberg wird historisch auch kritisch gesehen. Antisemitismus sei nicht das Motiv für das Attentat gewesen. Regimegegner sind nicht automatisch Demokraten. Welche Partei würde Stauffenberg Ihrer Meinung nach heute wählen?
PRÖSE: Antisemitismus nicht, aber sehr wohl war der Judenmord eines der Motive. Viele ranghohe Offiziere hatten seltene Einblicke, erlebten die Massenerschießungen hinter der Front.
Dass wir Demokraten von heute uns mitunter erheben über die angeblich undemokratischen Widerständigen, ist nicht besonders mutig, denn niemand von uns schwebt heute in Lebensgefahr, wenn er sich als Demokrat bekennt. Die Menschen vor 80 Jahren schon. Zu mutmaßen, was Stauffenberg wählen würde, wäre eine Anmaßung von mir. Er war ein Freigeist und handelte allein aus seinem Gewissen heraus. Er war konservativ, aber überparteilich. Er wollte einen Sozialdemokraten zum Reichskanzler oder mindestens zum Innenminister eines befreiten Deutschlands machen: Julius Leber. Weil er wusste, dass eine neue Regierung von allen Teilen der Gesellschaft getragen werden muss. Seine mehr als 200 Mitstreiter kamen zudem ebenfalls aus allen Richtungen des Volkes, von links bis rechts. Das wird gern unterschlagen. Die AfD würde den Grafen heute gern vereinnahmen für sich, aber das wäre ihm zuwider gewesen. Er gab sein Leben für ein Land, in dem wieder die „Herrschaft des Rechts“ regieren würde. Wir Demokraten von heute sollten ihm und den anderen Ermordeten dankbar sein, dass sie bereit waren, uns vom Menschenfeind Hitler zu befreien.
Sie lesen auch an Schulen aus ihrem Buch. Was können die mittlerweile alten Kinder des 20. Juli den Jungen von heute mitgeben?
PRÖSE: Ich war an bisher etwa 250 Schulen, um die Flamme dieser Menschen weiterzutragen. Das spüren die jungen Leute. Sie sehnen sich nach dem Feuer, das diese Widerstandskämpfer und ihre Kinder mit sich führten. Die meisten Schülerinnen und Schüler lassen sich von diesem Licht und dieser Wärme anstecken.
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