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Scherstetten: "Schlimmste Zeit unseres Lebens": Niklas' Eltern wussten nicht, ob er überlebt

Scherstetten

"Schlimmste Zeit unseres Lebens": Niklas' Eltern wussten nicht, ob er überlebt

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    Der sieben Jahre alte Niklas stürzte im Sommer von diesem Fahrrad und zog sich eine schwere und sehr seltene Verletzung zu. Die Eltern bangten um sein Leben.
    Der sieben Jahre alte Niklas stürzte im Sommer von diesem Fahrrad und zog sich eine schwere und sehr seltene Verletzung zu. Die Eltern bangten um sein Leben. Foto: Carmen Janzen
    Niklas und seine Eltern Sabrina und Wolfgang Mähler bei den schottischen Langhorn-Rindern. Niklas liebt die Tiere sehr.
    Niklas und seine Eltern Sabrina und Wolfgang Mähler bei den schottischen Langhorn-Rindern. Niklas liebt die Tiere sehr. Foto: Carmen Janzen

    Familie Mähler aus dem kleinen Scherstetter Weiler Hilpoldsberg feiert heuer ein ganz besonderes Weihnachtsfest. Ein besonders glückliches. Denn vor knapp einem halben Jahr liegt Sohn Niklas im Krankenhaus und die Eltern wissen nicht, ob der sieben Jahre alte Bub die Verletzungen eines Fahrradunfalls überlebt und dieses Weihnachtsfest noch erlebt. Doch was ist passiert?

    Am 20. Juli, kurz vor den Sommerferien, fährt Niklas mit seinem knallgrünen Kindermountainbike zur Schulbushaltestelle, wie so oft. Doch diesmal stürzt er vom Rad. Ein Handgriff des Lenkers drückt sich in seinen Bauch. In den ersten Augenblicken nach dem Sturz bleibt Mutter Sabrina (33) noch recht gelassen. Niklas ist schließlich nicht das erste Kind der Welt, das vom Rad stürzt. Doch wenig später muss sich der Bub übergeben. „Also bin ich sofort mit ihm zum Arzt“, sagt sie. Immer noch in der Hoffnung, dass schon nichts Schlimmes passiert ist. 

    Nach einem Fahrradunfall verschlechtert sich der Zustand des Buben plötzlich

    Am Ultraschall fällt dem Hausarzt „etwas Komisches“ auf, er kann es aber nicht näher definieren, erzählt die Mutter. Der Arzt schickt Niklas zur Abklärung ins Krankenhaus nach Bobingen. Die Ärzte dort können zunächst nichts feststellen, wollen ihn aber zur 24-Stunden-Überwachung mit dem Sanka in die Kinderklinik nach Augsburg bringen lassen. Zur Sicherheit. Doch bereits auf dem Weg zum Krankenwagen in

    Niklas erster Weg nach seinem Krankenhausaufenthalt führte ihn zu Pferd Lilly.
    Niklas erster Weg nach seinem Krankenhausaufenthalt führte ihn zu Pferd Lilly. Foto: Sabrina Mähler

    Das passiert extrem selten. „Dass die Bauspeicheldrüse mal angerissen ist, kommt häufiger vor. Ein kompletter Durchriss mit Kanal ist wohl die Ausnahme“, erzählt Sabrina Mähler. Direkt nach der Diagnose überbringen die Ärzte den Eltern die Schocknachricht. „Sie sagten: ,Wir wissen nicht, wo die Reise hingeht. Es gibt nur sehr wenige Fälle wie diesen.‘ Sie bereiteten uns darauf vor, dass unser Kind jederzeit sterben kann.“ Das Problem an der Verletzung ist in erster Linie nicht die gerissene Drüse, sondern der kaputte Kanal, aus dem unkontrolliert ein Enzym in den Körper des Jungen läuft, das normalerweise im Magen landen soll. „Das Enzym hätte ihn innerlich zerfressen können“, erklärt Vater Wolfgang (31). 

    Niklas aus Scherstetten hat eine schwere und seltene Verletzung

    Die Ärzte aus Augsburg sprechen sich mit Fachkollegen aus ganz Deutschland ab, um die beste Behandlung für den Buben zu finden. Die Zeit drängt. Drei Wochen lang bangen die Eltern um das Leben ihres einzigen Kindes. Das Enzym hat bereits die Muskulatur an Niklas' Hüfte angegriffen. Er bekommt schließlich über einen Venenkatheder ein Medikament, das die Arbeit der Bauchspeicheldrüse hemmt. Es folgen bis Ende September insgesamt drei Operationen. „Auch danach war es stets ein Auf und Ab, kaum ging es ihm etwas besser, kam wieder ein Rückschlag. Das war die schlimmste Zeit unseres Lebens“, sagt Mutter Sabrina. „Man versucht einfach, nur noch zu funktionieren“, ergänzt Vater Wolfgang. "Erst seit Mitte Oktober können wir wieder etwas durchatmen", erinnert sich die Mutter. 

    Denn dann passiert das Wunder, wie es Sabrina Mähler und die Ärzte nennen. Der Kanal hat sich innerhalb weniger Monate selbst repariert und sich wieder einen Weg in den Magen gebahnt, wie eine Untersuchung bestätigt. Das Enzym läuft wieder dorthin, wo es soll. „Selbst die Ärzte waren überrascht, zu welchen Leistungen ein Kinderkörper fähig ist. Ein Erwachsener wäre vermutlich gestorben", sagt Sabrina Mähler. Die größte Gefahr ist nun gebannt für Niklas.

    Die Mählers halten Rinder, Hasen, Katzen, Hunde, Fische und ein Pferd namens Lilly in Hilpoldsberg. Nach seinem ersten langen Krankenhausaufenthalt daheim angekommen, führt Niklas' erster Weg zu Lilly ins Freigehege – im Rollstuhl, denn noch ist er zu schwach zum Laufen. Er streichelt sein Lieblingstier. Seine Mutter hält diesen Moment mit der Handykamera fest. Seitdem hat sich Niklas recht gut erholt. Obwohl die Bauchspeicheldrüse nach wie vor komplett durchtrennt ist und noch einige Abschlussuntersuchungen anstehen, ist der Bub wohlauf. „Er ist zwar noch nicht 100-prozentig wieder der Alte, aber es wird. Er ist halt noch nicht so fit wie früher“, sagt sie. 

    Niklas und seine Eltern Sabrina und Wolfgang Mähler bei Pferd Lilly. Es ist Niklas' Lieblingstier.
    Niklas und seine Eltern Sabrina und Wolfgang Mähler bei Pferd Lilly. Es ist Niklas' Lieblingstier. Foto: Carmen Janzen

    Niklas protestiert. Beim Besuch unserer Reporterin im Dezember sitzt der Bub in grüngestreiften Socken, Jeans und blau-kariertem Hemd auf der Eckbank vor dem Adventskranz mit drei brennenden Kerzen und sagt mit fester Stimme „Mir geht’s gut! Und Fahrrad fahre ich auch schon wieder. Irgendwas muss ich bei dem Schnee doch tun.“ Mutter Sabrina schaut etwas verlegen und sagt: "Mir ist zwar nicht wohl dabei, aber verbieten kann ich es ihm ja wohl nicht." Wenn Niklas von seinem Krankenhausaufenthalt spricht, klingt das Erlebte gar nicht mehr so dramatisch: "Es war eigentlich ganz cool. Ich durfte sogar im Bett essen, den ganzen Tag chillen und am Kiosk einkaufen. Für meine Eltern war's wohl schlimmer als für mich." Die Eltern nicken gleichzeitig und Vater Wolfgang erklärt: "Niklas hat die erste Zeit im Krankenhaus gar nicht bewusst miterlebt. Er bekam viele Opiate."

    Viele Nachbarn in Hilpoldsberg haben der Familie ihre Hilfe angeboten

    Die schwere Zeit hat der Familie aber auch gezeigt, dass sie sich auf viele Menschen in ihrem Umfeld verlassen kann. Obwohl die drei damals erst ein halbes Jahr in Hilpoldsberg wohnen, ist die Hilfsbereitschaft der elf Dorfbewohner enorm. "Die Nachbarn haben für uns gekocht und angeboten, zum Einkaufen zu gehen. Wir erhielten ganz viel Zuspruch. Uns war gar nicht bewusst, dass wir so viele tolle Leute um uns haben, auf die wir uns verlassen können. Auch mein Schwager und eine Bekannte, die nun zu einer guten Freundin geworden ist, waren immer für uns da", erzählt Sabrina Mähler. 

    Und mit genau diesen "unbandig tollen Menschen" wollen die Mählers heuer Weihnachten feiern. Alle sollen mal besucht werden, bei Plätzchen oder Kuchen, ohne großen Aufwand.

    Und was wünscht sich Niklas zu Weihnachten? "Dass es unseren Tieren immer gut geht", sagt er, überlegt und spricht weiter: "Und eine Nintendo Switch darf das Christkind ruhig auch noch vorbeibringen." 

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