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Multimedia-Reportage: Dialekt-Serie: Wer Mundart spricht, trainiert das Hirn

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Multimedia-Reportage

Dialekt-Serie: Wer Mundart spricht, trainiert das Hirn

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    Dialekte sterben aus. Das ist wohl einer der häufigsten Sätze, die aufkommen, sobald es um das Thema Mundart geht. "D´Kinna un au d´oigene Enkel, die schwätza alle koi Schwäbisch mehr", haben auch viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Serie mit einem Hauch Wehmut erzählt. "Unsre Enkelin hat uns häufig net verschtande, wenn se als Kind zu Bsuch war", sagt Anton Zott, Dorfchronist und Heimatforscher in Untermeitingen

    Seine Frau kam schließlich auf die Idee, gemeinsam mit der Enkelin ein paar schwäbische Wörter mit der hochdeutschen Übersetzung festzuhalten. "Omas komischer Dialekt" schrieb das Mädchen damals auf die erste Seite des kleinen Wörterbuchs. Ist es heutzutage wirklich so, dass junge Menschen gar kein Dialekt mehr sprechen und sie die Mundart nur als komische Sprache von Oma und Opa abtun?

    Der Untermeitinger Anton Zott und seine Frau haben mit ihrer Enkelin ein kleines Dialekt-Wörterbuch geführt.
    Der Untermeitinger Anton Zott und seine Frau haben mit ihrer Enkelin ein kleines Dialekt-Wörterbuch geführt. Foto: Paula Binz

    Videos: So schwätzen die Menschen im Augsburger Land

    Für unsere Serie haben wir mit verschiedenen Bürgerinnen und Bürgern über das Thema Dialekt gesprochen. Die Videos können Sie sich über einen Klick auf die kleinen Symbole auf der Karte des Augsburger Lands anschauen.

    Der gebürtige Gräbinger und Sprachwissenschaftler Werner König hat die bayerisch-schwäbische Mundart jahrzehntelang erforscht. Um einen Eindruck zu gewinnen, wie viele Kinder heute noch Dialekt sprechen, führte er in den Jahren 2016 und 2017 an insgesamt 173 Kindergärten in Bayerisch-Schwaben eine Studie durch. Unterstützt wurde König dabei von zwei Mitarbeitern der Universität Augsburg. Die Erzieherinnen und Erzieher bekamen von den Forschern je einen Fragebogen pro Kind, auf dem sie ankreuzen sollten, ob das Kind Hochdeutsch, Dialekt oder "etwas dazwischen" spreche. 

    "Omas komischer Dialekt" schrieb Anton Zotts Enkelin auf die erste Seite des kleinen Wörterbuchs.
    "Omas komischer Dialekt" schrieb Anton Zotts Enkelin auf die erste Seite des kleinen Wörterbuchs. Foto: Paula Binz

    Studie in Kindergärten: Im Allgäu ist der Dialekt etablierter

    Während im ländlichen Raum des Ober- und Ostallgäus noch etwa 37 Prozent der Kinder als Dialektsprecher eingestuft wurden, waren es im Augsburger Land 21,3 Prozent. Ein ganz anderes Bild ergibt sich aber in den städtischen Kindergärten: In Augsburg lag die Zahl der dialektsprechenden Kinder bei nur 6,5 Prozent. Und auch im Allgäu waren es in den Städten deutlich weniger als zehn Prozent. 

    "Durch diese Zahlen zeichnet sich aber nur ein sehr vages Stimmungsbild ab", betont Werner König. Besonders aus einem Grund seien die Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen: "Es kann gut sein, dass Erzieherinnen und Erzieher einige Kinder als Dialektsprecher eingestuft haben, obwohl sie nur eine regionale Umgangssprache gesprochen haben." Den Sprachwissenschaftler stimmen die Ergebnisse aus der Studie alles andere als optimistisch. Der Aufsatz über die Studie beginnt daher auch mit dem symbolträchtigen Satz: "Unsere Dialekte schwinden wie die Gletscher im Gebirge."

    Diese Entwicklung kann Margit Ludl bestätigen. Sie ist Konrektorin der Thierhaupter Grundschule und weiß: "Mittlerweile gibt es bei uns nur noch vereinzelt Kinder, die in der Schule Dialekt sprechen." Die Tendenz dazu sei nicht neu, sagt Ludl. "Wenn man sich unsere

    Kinder, die stark Dialekt sprechen, gibt es an Schulen nicht mehr häufig. In Thierhaupten erzählen vier Mädchen von ihren Erfahrungen mit dem Dialekt.
    Kinder, die stark Dialekt sprechen, gibt es an Schulen nicht mehr häufig. In Thierhaupten erzählen vier Mädchen von ihren Erfahrungen mit dem Dialekt. Foto: Moritz Maier

    Quiz: Wie gut kennen Sie den Augsburger Dialekt?

    Es gibt aber auch Hoffnung für das Überleben des Dialekts – so zum Beispiel in Mittelneufnach. "Mir ham den Dialekt von da Familie her, wenn ma halt von Ofoang oa so gredet hat", sagt der 12-jährige Niklas Götz über sich und seinen Freund Dominik Fendt. Besonders dann, wenn die beiden Siebtklässler untereinander sind, sprechen sie gerne einen ausgeprägten Dialekt. Damit sind sie in

    Dominik und Niklas hatten in der Schule keine Probleme durch den Dialekt

    Und wie reagieren die Klassenkameraden, die nur Hochdeutsch sprechen? "Es hat manchmal scho so Vorfälle gebe, dass, wenn mir irgendwas gsagt ham, dass halt andre glacht ham, weil die halt nix verstehn oder den Dialekt halt luschtig finden. Aber des hat uns jetzt ned beeinflusst, dass mir da irgendwie nimma Dialekt sprechen oder so." Für Dominik und Niklas war es auch überhaupt kein Problem, in der Grundschule Hochdeutsch schreiben zu lernen. "Die Lehrer ham au nix gsagt, wenn mir im Unterricht Dialekt gredet ham", sagt Dominik. 

    Niklas Götz (links) und Dominik Fendt aus Mittelneufnach helfen gerne in der Landwirtschaft mit.
    Niklas Götz (links) und Dominik Fendt aus Mittelneufnach helfen gerne in der Landwirtschaft mit. Foto: Diana Fendt

    Die positiven Erfahrungen, die die beiden Mittelneufnacher gemacht haben, sind nicht selbstverständlich. In unserer Serie So schwätzet mir haben einige Teilnehmende davon berichtet, wie sie als Kinder dazu angehalten wurden, im Klassenzimmer ausschließlich Hochdeutsch zu sprechen. Alfred Wildfeuer, Sprachwissenschaftler an der Universität Augsburg, weiß, woran das gelegen hat: "In den 1960er und 1970er-Jahren dominierte die Vorstellung, dass Dialekte eine Sprachbarriere darstellen und den Lernprozess der Kinder beeinträchtigen." 

    Kinder, die mit Dialekt aufwachsen, wachsen mehrsprachig auf

    Mittlerweile wurden diese Theorien nicht nur widerlegt, es wurde sogar das Gegenteil bewiesen, berichtet Wildfeuer. Heutzutage werden Dialekte in der Sprachwissenschaft schlichtweg als eine zusätzliche Sprache zum Standarddeutschen betrachtet. "Wenn Kinder etwa zu Hause Dialekt sprechen und in anderen Kreisen Hochdeutsch, dann wachsen sie im Prinzip mehrsprachig auf", sagt Wildfeuer. Wichtig ist dem Sprachwissenschaftler, dass beide Sprachen gleichwertig sind: "So etwas wie ein richtiges oder besseres Deutsch gibt es nicht."

    Symbolfotos Dialektserie /  Symbolfotos Dialektserie / Dialekt
    Symbolfotos Dialektserie / Symbolfotos Dialektserie / Dialekt Foto: Marcus Merk

    Kinder, die Dialekt sprechen, hätten sogar einige durch Studien belegte Vorteile: "Mehrsprachige weisen eine allgemein höhere sprachliche Kompetenz auf, lernen leichter weitere Sprachen und sind tendenziell kreativer." Wer regelmäßig zwischen mehreren Sprachen wechselt – auch zwischen Dialekt und Hochdeutsch – betreibe ein wertvolles "Gehirnjogging", also kognitives Training. Für Wildfeuer wird die Wirkung anhand der Pisa-Studien, in denen schulischen Leistungen verglichen werden, deutlich: "Es ist wohl kein Zufall, dass genau die Bundesländer, in denen Dialekte am ausgeprägtesten sind, seit Jahren am besten abschneiden. Und zwar Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen." 

    Im Bildungssystem hat ein Umdenken stattgefunden

    Auch im fortgeschrittenen Alter bringt das Dialektsprechen Vorteile mit sich, sagt Wildfeuer: "Demenzkranke, die ihr Leben lang Dialekt gesprochen haben, können ihre kognitiven Leistungen länger aufrechterhalten. Damit lassen sich etwa zwei bis drei Jahre kompensieren." Diese Erkenntnisse hätten auch schon zu einem Umdenken im Bildungssystem geführt: Im Freistaat veröffentlichte das Kultusministerium im Jahr 2006 die umfangreiche Handreichung "Dialekte in Bayern", mit der alle Schularten das Thema im Unterricht behandeln sollen. 2015 folgte eine aktualisierte Version mit knapp 400 Seiten.

    "Es ist natürlich lobenswert, dass das Thema Dialekt nun offiziell in den Lehrplänen verankert wird, aber ich befürchte, dass es in der Praxis noch oft hinten runterfällt", gibt Wildfeuer zu bedenken. Trotz allem blickt der Sprachwissenschaftler optimistisch in die Zukunft: "Dass Dialekte komplett aussterben werden, glaube ich nicht. Sie sind nur sehr im Wandel." Zuversichtlich sind auch Dominik und Niklas aus Mittelneufnach: "Mir ham net des Gefühl, dass da Dialekt hier verlore geht. In da Städte isses vermutlich anders, aber aufm Land wird sichs bestimmt halde."

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