Frau Zerbini, Sie sprechen beim Königsbrunner Campus über die Zusammenhänge zwischen Schlaf, Schulanfangszeiten und Schulleistungen. Wie genau sehen diese aus?
GIULIA ZERBINI: Das Problem ist, dass die Schulen zu früh anfangen für die Jugendlichen, weil ihre Schlafzeiten sich während der Jugend nach hinten verschieben und mit den frühen Anfangszeiten kollidieren. Das hat natürlich Konsequenzen für Gesundheit und Schulleistung. Das zweite ist, dass jeder Mensch unterschiedliche Schlafzeiten hat. Die sogenannten Eulen sind besonders von diesem Problem betroffen und bekommen zum Beispiel schlechtere Noten als Lerchen. Der Fachbegriff dafür ist Chronotyp.
Was bestimmt denn, ob jemand Eule oder Lerche ist?
ZERBINI: Die genetischen Faktoren sind noch nicht so bekannt. Als biologische Faktoren sind Alter und Geschlecht auf jeden Fall wichtig. Männer sind zum Beispiel spätere Chronotypen als Frauen. Und eben im Alter gibt es Verschiebungen – interessanterweise kann man das auch im Tierreich beobachten. Natürlich kommen auch soziale, verhaltensbedingte und umweltbedingte Faktoren hinzu. Wie und wann wir uns dem natürlichen und künstlichen Licht aussetzen spielt zum Beispiel eine sehr wichtige Rolle. Manche Menschen sind auch sensibler gegenüber Licht als andere. Aber es ist kompliziert – es gibt nicht nur einen Faktor.
Ist diese Verschiebung etwas, das erst nach dem Kindesalter beginnt?
ZERBINI: Ja, normalerweise sind Kinder frühe Chronotypen und brauchen auch mehr Schlaf. Ab zwölf ungefähr gibt es eine deutliche Verschiebung. Mit 19 bis 21 erreicht man den Höhepunkt und danach wird man wieder ein früherer Chronotyp.
Was für Lösungen gibt es dafür?
ZERBINI: Eine Lösung könnte sein, dass die Schulen später anfangen. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel flexible Arbeitszeiten. Ein Gymnasium in Alsdorf bei Aachen hat das versucht. Die Ergebnisse werde ich in meinem Vortrag vorstellen. In manchen Ländern gibt es auch Schulschichten, bei denen Schüler auch nachmittags oder abends in die Schule gehen. Bei solchen Modellen scheint die Eule bessere Leistungen erbringen zu können. Aber insgesamt haben wir noch zu wenig Beispiele, um zu sagen, das ist die Lösung. Und es gibt eben viele Organisationsprobleme und politische Probleme, warum die Schulen nicht später anfangen können.
Gibt es etwas, dass Eltern und Jugendliche machen können, um auszugleichen?
ZERBINI: Der Chronotyp ist genetisch und biologisch bedingt – wenn man eine extreme Eule ist, wird man nie eine extreme Lerche. Aber es gibt Dinge, die getan werden können, um den Chronotyp zu verschieben, wie die Schlafenszeit nach vorne zu verschieben und am Verhalten zu arbeiten. Das Wichtigste ist, wie wir uns dem Licht aussetzen. Dieses reguliert nämlich unsere innere Uhr, die wiederum unsere Schlafenszeiten reguliert und beeinflusst so, wann wir schlafen. Viel Licht abends, besonders blaues Licht von iPad und Handys, ist dabei nicht gut für unsere innere Uhr und für den Schlaf.Schädlich: Leben gegen die innere Uhr kann krank machenNobelpreis
Aber ist das frühe Aufstehen nicht auch eine Gewohnheitssache? Früher sind die Menschen doch auch bei Tagesanbruch aufgestanden?
ZERBINI: Stimmt, aber seitdem hat sich viel geändert. Wir sind immer drinnen und kaum draußen. Unsere innere Uhr hat daher mehr Schwierigkeiten, sich nach dem natürlichen Licht zu richten.
Apropos innere Uhr: Bald ist ja Zeitumstellung, bei der die Uhren im März eine Stunde vorgestellt werden und wir früher aufstehen müssen. Hat diese auch Auswirkungen auf die "Eulen" und "Lerchen"?
ZERBINI: Die gibt es definitiv - sowohl kurzfristig, indem man eine Stunde Schlaf in der Nacht der Zeitumstellung verliert, als auch langfristig, weil man sich an die neue Uhrzeit anpassen muss. Diese Anpassung ist besonders schwierig für die "Eulen" und kann monatelang dauern, mit negativen Konsequenzen für ihre Gesundheit und Leistung. Unsere wissenschaftliche Community empfehlt darum die Abschaffung der Zeitumstellung und die ganzjährige Wahl der Normalzeit, also der Winterzeit.
Zur Person
Dr. Giulia Zerbini arbeitet an der Universität Augsburg in der medizinischen Fakultät am Lehrstuhl für Medizinische Psychologie und Soziologie. Hier beschäftigt sie sich viel mit dem Thema Schlaf und Schmerz. Ihr Vortrag beim Königsbrunner Campus beginnt am Mittwoch, 22. März, um 19 Uhr im Infopavillon 955. Der Eintritt ist frei.