Murat Yaris und seine Frau Semra haben über eine Kleinanzeige im Internet eine Küche gekauft. Sie stammt aus einer Wohnungsauflösung in Augsburg. 400 Euro kostete sie. Dass sich das 30-fache darin verbarg, fiel erst spät auf. Die Umschläge mit dem Geld hinter Tellern und Pfannen habe er nach dem Abholen beim Aufbau in seiner Wohnung in Königsbrunn bemerkt, sagt Yaris. Schnell war klar, dass jemand mit größter Sorgfalt vorgegangen war. Zehn Hundert-Euro-Scheine im ersten Umschlag, zehn im zweiten. Die weiteren Umschläge, die ebenfalls hinter dem Geschirr versteckt waren, traute sich Yaris gar nicht mehr aufzumachen. Später stellte sich heraus: "Es waren zwölf Briefumschläge mit jeweils 1000 Euro." Für die Königsbrunner war nach dem kuriosen Fund in einem Schrank der Holzoptik-Küche mit den silbernen Griffen schnell klar, was sie mit dem Geld machen.
Im ersten Moment habe er sich gefreut, sagt Yaris. Beim Küchenkauf Ende Februar waren der 39-jährige Mathelehrer und die 33-jährige Sozialkundelehrerin frisch eingezogen. Seit knapp zwei Jahren leben sie in Deutschland. Das Geld hätten sie gut gebrauchen können, erklärt Sadettin Akpolat, der Yaris zur Polizei begleitete, um zu übersetzen. Auch beim Treffen mit der Redaktion half er als Übersetzer. Dass sie das Geld bei der Polizei abgeben müssen, habe nach einer kurzen Besprechung mit seiner Frau schnell festgestanden, sagt Yaris. "Das Geld gehört uns nicht, wir können es nicht einfach nehmen."
Wegen politischer Probleme kam das Ehepaar nach Königsbrunn
Aus dem türkischen Bodrum seien sie wegen politischer Probleme nach Deutschland gekommen, sagt Semra Yaris. Als ihr Mann darüber spricht, weicht das Lächeln aus seinem Gesicht, er wirkt kurz traurig. Ihre Lehrer-Lizenz sei ihnen vor Jahren entzogen worden, sie hätten nur noch Privatunterricht geben können. Die Schulen, an denen sie unterrichteten, seien Teil der Gülen-Bewegung gewesen - und deshalb 2016 geschlossen worden. Präsident Recep Tayyip Erdoğan macht den muslimischen Prediger Fethullah Gülen für den gescheiterten Militärputsch verantwortlich. Dessen Anhängerinnen und Anhänger werden deshalb diskriminiert und verfolgt.
In Deutschland wollen Murat und Semra Yaris zunächst die Sprache lernen - und irgendwann wieder im Lehrberuf arbeiten. Mit wenigen Wörtern können beide sich schon jetzt ziemlich präzise ausdrücken. Sie seien dankbar, hier in der Gesellschaft gut aufgenommen worden zu sein, sagt Murat Yaris. Das sei ein Grund, weshalb für ihn und seine Frau schnell klar war, dass sie das Geld nicht behalten. Als gottesfürchtiger Mensch denke er bei solchen Entscheidungen außerdem an das Jenseits.
Bruder der Verstorbenen freut sich über Ehrlichkeit der Königsbrunner
Weil die Küche aus der Wohnungsauflösung einer Verstorbenen stammt, hatte das Ehepaar keine Kontaktdaten der Hinterbliebenen. Also ging Murat Yaris mit Sadettin Akpolat zur Polizei. Akpolat sagt: "Als Herr Yaris die ganzen Briefumschläge auf den Tisch gelegt hat - das war schon lustig." Die Polizei übergab das Geld an Robert Kölnberger, den Bruder der Verstorbenen. Wie hat er reagiert? Überrascht. "Ich habe mir gedacht: Ist denn schon wieder Weihnachten", sagt der ehemalige Berufssoldat am Telefon. "Und: Das gibt's ja nicht, dass es so einen ehrlichen Finder gibt."
Bei der Pressestelle des Polizeipräsidiums Schwaben Nord, wo die Fäden der einzelnen Inspektionen zusammenlaufen, ist der Fall bislang nicht bekannt. Generell komme es nicht häufig vor, dass jemand mit solchen Summen bei der Polizei auftauche, sagt Pressesprecherin Marion Liebhardt. "Fälle, in denen solche hohen Geldbeträge bei uns abgegeben werden, sind absolute Ausnahmen."
Sadettin Akpolat, der Murat und Semra Yaris kennt, weil er Geschäftsführer des Frohsinn-Bildungszentrums ist, bei dem beide einen Integrationskurs machen, sagt über die kuriose Geschichte, in der er plötzlich landete: "Das war für mich rührend, dass eine Familie aus der Türkei herkommt, mit null anfängt - und so aufrichtig handelt."
Kölnberger bedankte sich bei dem Ehepaar mit einem Blumenstrauß und einem Finderlohn. "Wir stehen in Kontakt, wir haben Osterwünsche ausgetauscht", sagt er. Und eine Einladung wartet noch darauf, eingelöst zu werden. Das Ehepaar Yaris hat Kölnberger zum gemeinsamen Iftar eingeladen, also zu dem Mahl, das Muslime im Fastenmonat Ramadan nach Sonnenuntergang einnehmen. Für Semra und Murat Yaris steht fest: Ihre Ehrlichkeit haben sie bisher nicht bereut.