Anfang Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Entfesselt vom Deutschen Reich, hatte er binnen sechs Jahren weltweit rund 60 Millionen Menschenleben gefordert. Die Redaktion des Augsburger Landboten und der Schwabmünchner Allgemeinen arbeiten zum Kriegsende vor 80 Jahren noch einmal die Erinnerungen der letzten Zeitzeugen auf. Lothar Wiedemann verbrachte seine Kindheit während des Zweiten Weltkriegs in Untermeitingen. Wegen der Nähe zum Fliegerhorst in Lagerlechfeld war er tagtäglich mit den Schrecken des Kriegs konfrontiert.
Der 94-Jährige erinnert sich an einen denkwürdigen Tag 1944. Es war Fliegeralarm. „Aber das juckte niemanden mehr, die meiste Zeit war Fliegeralarm. Ich begab mich in mein Zimmer im ersten Stock mit Blickrichtung Norden. Plötzlich schreckte mich ein helles Licht aus dem Schlaf. Ich bin raus aus dem Bett, stieß die Fensterläden auf und was sah ich? Über uns und Klosterlechfeld, über Lagerlechfeld und Graben hingen sogenannte Christbäume als Zielmarkierungen, die den feindlichen Fliegern die Ziele vorgaben. Mein Blick ging Richtung Graben und ich sah ein einziges Feuermeer. Für mich brannte Graben lichterloh.“

Der Bub rannte nach unten, trieb seine Eltern aus den Betten und sagte: „Jetzt bombardieren sie schon die Dörfer.“ Die Familie suchte im Keller Schutz, obwohl wir wussten, dass wir da nicht sicher sind. Als das Dröhnen und Krachen leiser wurde, trauten sie sich wieder ins Freie. Wiedemann: „Wir stellten fest, dass die feindlichen Flieger die Richtung verfehlt hatten. Der Fliegerhorst war das Ziel.“ Alle waren erleichtert. „Wir freuten uns. Man konnte den Kirchturm von Graben wieder sehen..“ Wiedemann bedauert: „Heute können sich nur wenige an die schlimme Zeit erinnern. Es gäbe noch viel mehr zu diesen Ereignissen zu berichten. Aber leider sterben die Zeitzeugen alle weg.“
Erinnerungen von Lothar Wiedemann
Kindheit im Krieg
„Wissen Sie, wie soll ich es denn sagen, es war zwar Krieg, aber wir haben keine Angst gehabt. Angst hatte man eigentlich nie.“
Warum?
„Weil wir Kinder waren.“
„1939 kam der Krieg. Das Erste, woran ich mich erinnern kann, war, dass im Lechfeld Geschützstellungen gebaut wurden, Vierlingsflaks. Die Unterkünfte waren in der Erde versenkt. Wir Kinder haben auf den Geschützen Karussell gespielt.“
„In der Schule war später die Luftbildstelle vom Fliegerhorst. 1941 flogen sie vom Lechfeld aus nach England. Haben England bombardiert. Wir Kinder haben das natürlich mitbekommen. Wir haben auch Krieg gespielt. Damals gab es keine Asphaltstraßen. Da war der Staub auf der Straße. Man hat den Staub in Taschentücher gefüllt und geworfen. Oberdorf gegen Unterdorf. Wir haben auch Krieg gespielt. Wir haben es praktisch vorgeführt bekommen. Und haben mitgemacht. Wir wurden ausgeschimpft, weil wir dreckig waren. Wegen der Kleidung. Es gab ja nicht so viel zu der Zeit. Da ging man barfuß in die Schule. Und von wegen Pausenbrot. Das gab es nichts. Es gab kein Kindergeld, keine Schulspeisung. Es hat sich niemand um die Kinder gekümmert.“
„Als Kinder hatten wir Spielzeug. Mäusefallen, Zündholzschachteln und Zigarettenschachteln. Da gab es damals Blechschachteln. Mit denen haben wir Ebenen gebaut und dann in die Luft gesprengt. Man hat es ja tagtäglich erlebt.“
„Der erste Bombenangriff, den wir erlebt haben, das muss 1942, 1943 gewesen sein. Bei Nacht haben sie die Stellung angegriffen. Haben Phosphorbomben und Klopapier abgeworfen. Also für uns war es Klopapier, für die waren es Reklamen. Bündelweise. Am nächsten Tag haben wir Kinder natürlich geschaut, was da ist. In die aufgeplatzten Phosphorbomben haben wir Stecken rein und haben gedreht, bis sie brennen.“
„Auf dem Lechfeld standen plötzlich Flugzeuge. Die Flugzeuge vom Fliegerhorst wurden alle auf die Wiese gestellt. Am Anfang waren die Besatzungen da, haben aufgepasst. Später haben sie nur noch einen Wall hingeschoben und die Flugzeuge standen allein. Dann haben sie angefangen, die Flugzeuge zu demontieren. Wir Kinder haben das beobachtet und mitgemacht. Wir haben auch Instrumente ausgebaut. Da war Quecksilber drin. Wir haben das Quecksilber in Dosen gesammelt und hatten die größte Freude, das herumzuschwenken. Wer hat mehr Quecksilber gesammelt, du oder ich? Wenn ich heute Quecksilber sage, dann geht die Welt unter. Kein Mensch hat sich interessiert, was wir damals gemacht haben.“
„Bei Kriegsende gab es die HJ und den Appell, trotz Krieg, Tieffliegern und allem. Am Abend gab es Appell und da musste man antreten. Dann sagt der Gruppenführer: „Wir wollen einen Fanfarenzug machen.“ Ich sagte: „Ich kann doch nicht singen.“ - „Ach, das macht nichts. Ein bisschen Trompete spielen kannst du schon.“ Wenige Tage vor dem Kriegsende kam der Bürgermeister und hat gesagt: „Du lernst du doch Trompete. Na dann komm mal mit.“ Er hat uns am Dorfende aufgestellt, wir sollten blasen und schreien: „Volksturm komm raus“, „Antreten“, „Sofort Antreten.“ Wir sollten Barrikaden bauen. Da kam ein Mann und hat gesagt: „Ja, Buben, was wollt ihr denn da?“ - „Ja, wir sollen rufen, der Volkssturm soll kommen. Barrikaden bauen.“ Er hat gesagt: „Packt euch zusammen, schaut, dass ihr heimkommt.“
Der Alltag im Krieg
„Ich glaube, 1942 kamen die Truppen, die in Griechenland waren, zurück. Sie wurden in der Gegend einquartiert. Zu der Zeit war schon viel Fliegeralarm. Die Soldaten haben gesagt: „Um Gotteswillen, lieber an der Front als bei euch.“ Jede Nacht war Fliegeralarm. Scheinwerfer und Flugzeuge haben abgesucht. Sie haben gesagt, lieber draußen als bei euch. Für uns Kinder war das interessant. Aber für die Soldaten war das deprimierend. Die konnten sich nicht daran gewöhnen. Dann, na ja, später, wurden sie nach Russland verlegt. “
„1943 waren die ersten Angriffe. Man hat nichts gehört. Nur den Fliegeralarm. Das müsste man vorführen können: Fliegeralarm, Luftalarm, akuter Alarm. Wir hatten ein Radio. Der Volksempfänger lief den ganzen Tag. Und wenn er Kuckuck gerufen hat, dann wurden sofort die Nachbarn verständigt: „Du, heute hat der Kuckuck neunmal gerufen, achtmal gerufen oder siebenmal gerufen.“ Wenn er achtmal gerufen hat, dann wussten wir, Lechfeld ist wieder dran. Dann dauerte es nicht lange, dann kam Fliegeralarm. Wenn es wirklich ernst wurde, kam akuter Fliegeralarm. Dann muss man schauen, dass man verschwindet.“
„Wenn der Kuckuck neunmal gerufen hat, haben wir gesagt: „Oh, jetzt kommen sie wieder. Jetzt fliegen sie nach München.“ Da kamen sie aus Südwesten. Wenn Sie hinaufgeschaut haben, haben Sie nur Flugzeuge gesehen. Nur Flugzeuge. Wir haben gezählt, ich glaube über 2000. Und in München … da hat man es natürlich scheppern gehört. Am Abend konnte man München sehen, von uns aus war der ganze Horizont feuerrot.“
„Wir haben immer zugeschaut und gehofft, die fliegen weiter. Und dann, eines Tages, rief der Kuckuck achtmal. Da kamen zuerst die Amerikaner und bei Nacht die Engländer und haben Augsburg bombardiert. Das, was noch übrig war, haben sie dann vernichtet. Aber das Erstaunliche war für uns immer, wenn der Flugplatz bombardiert worden ist, sind zwei Stunden später schon wieder Flugzeuge aufgestiegen.“
„Wir hatten die Fenster im Keller. Außer das Klofenster. Das war nicht sehr groß. Eines Tages ist es getroffen worden oder jedenfalls war es kaputt. Die Mutter sagt: „Das Fenster muss man wieder machen.“ In Klosterlechfeld war noch ein Glaser. Da hat sie mir das Fenster gegeben, ich sollte nach Klosterlechfeld gehen. Der Glaser hat das eingeglast, ich habe es abgeholt und gehe auf die Straße. Dann kommt ein Tiefflieger die Bahnhofstraße entlang und feuert. Ich bin schnell hinters Feuerwehrhaus. Der ist auf die Flakstellung geflogen,die haben ihn abgeschossen. Es waren lauter junge Leute, so 15, 16 Jahre. Er ist drauf geflogen und die haben gnadenlos draufgehalten. Und ich stand da mit der Glasscheibe und war froh, als ich wieder daheim war.“
Hitler im Fliegerhorst
„1943 im Herbst haben wir schon gewusst, dass die deutsche Luftwaffe Düsenjäger baut. Ein Bekannter hat mich gefragt: „Hast du gesehen, was sie da machen? Na, dann komm, dann geh‘ mal mit.“ Dann sind wir zum Fliegerhorst. Das müssen Sie sich so vorstellen: Die Südlagerstraße, die führt hinten geradeaus. Und an der Straße waren die OB-2, -3 und -4. Das waren Offiziersbaracken. Also früher im Ersten Weltkrieg. Dahinter war der Zaun. Da hat er gesagt, ich soll mal schauen, was man im Flugplatz sieht. So haben wir Ende 1943 schon gesehen, wie die Luftwaffe die Düsenjäger ausprobiert hat. Sie sind gestartet, gelandet, haben eine Bauchlandung gemacht, dann hat es wieder gebrannt. Erst später wurde im Radio die neue Entwicklung vorgestellt. Die Luftwaffe brauchte also Material und dafür haben sie Flugzeuge zerlegt.“
„Viel später habe ich erfahren, dass im Lechfeld die letzte Flugschau war. Der Hitler, Göring, Göbbels und ihre Offiziere waren im Lechfeld. Hitler wollte die Düsenjäger sehen. Und dann hat die Hannah Reitsch den Düsenjäger vorgeführt, also den Raketenjäger. Mein Vater musste die Abschussrampen für den Raketenjäger bauen. Und wir standen damals vis-a-vis in Untermeitingen. Das alte Lechufer ist ja hoch und da konnte man den ganzen Platz übersehen. Und da standen wir oben und haben zugeschaut. Dann kam der Raketenjäger hoch, ist ein paar Mal hin- und hergeflogen und wieder gelandet. Später, viel später, haben wir gelesen, ja, da war der Hitler im Lechfeld und hat das besichtigt. Wann war das? Schätzungsweise Ende 1943.“
Die Munitionsfabrik in Schwabstadl und die Zweigstelle der Raketenerprobungsstelle Rechlin
„Zu der Zeit, sagen wir mal, 14 Tage vor Kriegsende, kamen täglich drei Lightnings. Wahrscheinlich sind sie nach Fürstenfeldbruck geflogen. Dann kamen die wieder zurück. Hier war eine Munitionsanstalt, in Schwabstadel, mit vielen Bunkern. Und ein Güterzug mit Munition. Der stand in einem Wäldchen und den haben sie getroffen. Der Zug ist explodiert.“
Wie haben Sie das mitbekommen?
„Ich stand auf der Straße, als uns die Lightnings überflogen. Sie haben geschossen und müssen den Zug getroffen haben. Ich sehe das heute noch... Es war ganz still. Plötzlich kam aus der Richtung des Wäldchens eine riesige Feuersäule und eine Explosion. Wie man später die Atombomben gesehen hat. So hat es ausgesehen. Das Feuer kam oben raus. Und es gab einen fürchterlichen Schlag. Ich habe geschaut, dass ich schnell von der Straße komme, weil ich gewusst habe, wenn die Detonation kommt, dann kommt der Luftdruck.
Ich bin schnell ins Haus. Überall sind die Fensterscheiben geflogen. Zu der Zeit gab es keine Straßenbeleuchtung, kein Licht. Es war überall finster. Aber bei Tag hat man überall die Fensterläden zugemacht. Als ich am Abend heimkam, waren die Haustüren offen. Die Fensterläden hingen runter. Die Fenster waren kaputt, sofern man noch welche hatte. Die Explosion war so fürchterlich. Wenn Sie sich das vorstellen: Wenn heute ein Flieger die Schallmauer durchbricht, das ist dagegen harmlos. Später haben wir festgestellt, dass der Güterzug weg war. Der ganze Zug war verschwunden. Da waren nur noch Einzelstücke.“
„Ich habe ihnen ja erzählt, dass es die Raketenerprobungsstelle Rechlin gab. Und die Zweigstelle in Untermeitingen war in der neuen Werkstatt von meinem Chef. Ich hatte mich mit dem Leiter angefreundet. Und 1945, ein paar Tage vor Kriegsende, sagte er zu mir: „Mensch“ – er hatte ein Motorrad mit Beiwagen – „mein Beiwagen ist voll mit Filmmaterial. Wo soll ich das denn machen. Ich soll‘s vernichten.“ Ich sagte: „Ja, da müssen wir irgendwo hinfahren.“ Er sagte zu mir: „Aber es pressiert.“ Dann sind wir in Richtung Schwabmünchen gefahren, haben die Filmrollen – das waren große Rollen – ausgeladen und haben es dann angezündet. Es war ein Mordsfeuer.“
Wissen Sie, was da drauf war?
„Nein, ich weiß es nicht. Warscheinlich Ergebnisse aus der Forschung für Raketen.“
„Bei Kriegsende kamen die Amerikaner abends aus Richtung Schwabmünchen. Wir jungen Leute mussten natürlich sehen, wenn sie kommen. Wir haben noch nie so viele Fahrzeuge gesehen und Truppen oder Soldaten. Das war wahnsinnig. Wir hatten acht Tage zuvor schon den Kanonendonner aus Richtung Ulm gehört. Also einen Tag vor dem 28. [April], hieß es: „Die Amerikaner kommen. Weiße Fahnen raushängen.“ Da haben wir als weiße Fahne das Betttuch hinausgehängt. Dann hieß es: „Die Fahnen rein, die SS kommt und die erschießt euch alle.“ Also die Fahnen rein. In Schwabstadel die Munitionsfabrik. Dort ging dann ein Feuerwerk los. Die Deutschen haben die Bunker gesprengt. So ein Feuerwerk haben wir später nie mehr gesehen. Ich hab` ja Flammen schon oft gesehen. Aber solche...“
„Die Bunker hoch und die Raketen oben raus. Ein tolles Feuerwerk. Wir Kinder haben zugeschaut, natürlich! Wir sollten rein, aber wir haben immer die Nase draußen gehabt. Möglichst oben beim Fenster, wo man weit sieht. Das hat wochenlang geknallt. Wochenlang gingen die Bunker in die Luft.“
Der Tod im Lechfeld
„Zwischen Untermeitingen und Schwabmünchen war eine riesengroße Flakstellung. Sie haben aber nie geschossen. Sie durften nicht schießen, weil der Flugplatz sonst angegriffen worden wäre. Trotzdem wurde der Flugplatz dreimal bombardiert. Beim ersten Mal war Alarm waren wie immer neugierig, was passiert. Dann haben wir es gehört: Von hinten kamen die Flugzeuge. Über uns machten sie die Bombenklappen auf und die Bomben flogen. Die Bomben sind aber Richtung Flugplatz und Wasserturm in Lagerlechfeld geflogen. Weil es die Bomben verzogen hatte, stand der Wasserturm noch.“
„Beim dritten Angriff haben wir uns gewundert. Auf einmal war alles rot, ziegelrot. Die ganze Gegend. Alles war rot. Da haben sie den Flugplatz getroffen. Das war Anfang 1944. Da gab es das Südlager. Nach dem Südlager kam OB-4. Und zwischen OB-4 und dem Südlager, da waren Unterstände, wenn sie vom Flugplatz geflohen sind. Sie haben sich da versteckt oder untergestellt. Das haben sie getroffen. Bei dem Angriff gab es 36 Tote. Sie wurden dann in Untermeitingen am Friedhof beerdigt. Die Gräber wurden später aufgelassen. Scheinbar haben sie die überführt, ich weiß es nicht. Man ist ja nicht jeden Tag überall gewesen. Man hat es nur mitbekommen. Aber ich weiß, dass da 36 Tote waren. Und der Wasserturm war weg. Gegenüber Lagerlechfeld, bei der Kaserne, gibt es die Zivilbevölkerung. Die waren auch schwer getroffen.“
„Die Luftwaffe flog vom Lechfeld aus nach England. Als die Maschinen zurückkamen, haben wir gesehen, dass die arg zerschossen waren. Überall hingen die Fetzen runter. Sie mussten den Flugplatz anfliegen. Der damalige Kommandeur hat gesagt: Die Flieger sind nicht sauber und gut genug angeflogen, die müssen doch mal eine Platzrunde machen.“ In den Stauden sind sechs Maschinen abgestürzt. Später war die Trauerfeier am Bahnhof im Lagerlechfeld. Mit Ehrenkompanie und Salutschießen. Ich war auch dort, die Bevölkerung war zugelassen. Die Toten wurden in den Zug verladen. Mit dem ganzen Trara wurden sie verabschiedet. Ich weiß nicht, wo die überall her waren. Aber so bekannt war das gar nicht. Am Anfang des Krieges, wenn die ersten Gefallenen kamen oder bekannt wurden, musste man als Kind bei der Trauerfeier ein Gedicht sagen. Das war ganz normal. Da hat sich niemand aufgeregt, so wie heute.“
„Gegen Kriegsende kamen die Tiefflieger. Den ganzen Tag. Unterbrochen. Sie waren überall. Am 28. April abends sind die Truppen einmarschiert. Aber in der Früh um neun sind zwei Düsenjäger von Lechfeld aus gestartet. Ich hab’ sie gesehen, wie sie hochgekommen sind. Aber da war ein Tiefflieger und hat sie abgeschossen. Die zwei Maschinen lagen beim Lech am Försterhaus, links von der Straße im Gebüsch. Die kamen nicht weit, die kamen nur hoch.“
„Die Geschützstellungen waren nach dem Krieg noch da. Da hat er (ein Bekannter) gefragt: ,Warst du schon mal drin in der Geschützstellung?‘ Ja, früher schon, aber jetzt nicht. Dann sind wir dorthin. Die Munition, haben wir gesagt, ja, die Munition muss man entladen. Da sind wir hergegangen, haben die Granaten, die waren ja so lang.“
Lothar Wiedmann zeigt etwa 30 Zentimeter. Er demonstriert mit seinen Händen, wie er den Stab der Granate in ein Loch einführt und dann von oben nach unten bewegt.
„Runter, rauf, rum und num, haben die Spitze, den Zünder, herausgenommen. Dann kam hinten das Pulver raus. Das Pulver haben wir draußen in ein Deckungsloch reingefüllt. Wir haben im Takt die Flak-Munition entladen. Wer zuerst mehr entlädt. Das ging eine Zeit lang gut. Dann bin ich eines Tages nicht mitgegangen. Er ging allein hin und hat den Zünder fallen lassen. Das hat ihm den Arm weggerissen. Er ist von der Stellung bis nach Klosterlechfeld gelaufen und als er in Klosterlechfeld war, war er tot. Verblutet. Ja, das war eigentlich das Schlimmste, was passieren konnte.
Aber hinterher haben wir das Loch voll mit Pulver gehabt, einen Meter tief. „Was machen wir jetzt?“ - „Ach, das zünden wir an.“ In der Granate war hinten immer ein kleines Pulversäckchen drin. Das haben wir draufgelegt, dann haben wir eine Zündschnur gelegt, angezündet - das war eine Feuersäule. Das hat man überall gesehen. Da sind die Amerikaner gekommen, haben gemeint, der Werwolf (die Nazi-Widerstandsbewegung) ist wieder da. Sie haben die Leute gesucht, die das gemacht haben. Wir haben aber von nichts gewusst.“
Die Besatzung im Lechfeld
„Abends kamen die Amerikaner. Wir sitzen beim Abendessen und plötzlich scheppert es. Die Haustür flog auf, die Küchentüre flog auf. Da kamen drei amerikanische Offiziere und haben gesagt: „Das Haus ist beschlagnahmt, Sie müssen sofort raus.“ – „Ja, wohin?“ Sie haben keine Antwort gegeben. Sie sind wieder gegangen. Dann haben wir den Nachbarn gefragt: „Weißt du, wo wir hin sollen?“ – „Ja“, hat er gesagt. „Das eine Haus da hinten, das nicht beschlagnahmt ist, da soll die Bevölkerung hin.“ Die ganze Nachbarschaft war versammelt. Dann kam ein Ami und hat gefragt: „Haben Sie Waffen, haben Sie Eier, haben Sie Schnaps?“ Hat die Hausfrau gesagt: „Nein, Schnaps habe ich keinen, Waffen auch nicht, aber ich habe noch ein paar Eier.“ Sie hatte die Eier im Wasserglas. Das war so ein Topf. Der Ami hat gesagt, er nimmt die mit. Dann nimmt er den Topf, will die Treppen runtergehen, fällt hin und in die Eier rein. Und wir, wir standen alle drumherum. Wir haben so gelacht. Der war voller Dreck.“
Am nächsten Tag haben wir geschaut. Da ist kein Ami, da ist niemand. Dann sind wir ins Haus gegangen. Auf dem Küchentisch lag ein Berg Butter. Und beim Nachbarn lag ein Sack Mehl auf dem Tisch. „Ja, was machen wir jetzt?“– „Ja, wenn keiner da ist, dann machen wir Käsespatzen.“ Und wir haben natürlich sofort losgelegt. Die Mutter ging ins Schlafzimmer und machte einen Schrei. Die Amis waren mit den Stiefeln im Acker und sind mit den Stiefeln ins Bett. Aber bei meiner Mutter lag ein Bündel Geld auf dem Nachttisch. Die waren sehr nobel, das muss ich schon sagen. Die Kampftruppen waren sehr nobel.“
„Die Franzosen haben eine Truppenparade abgehalten. Wir wussten auch nicht, warum die Franzosen plötzlich da waren. Wir haben noch in unserem Haus gewohnt. Alle Viertelstunde, kam eine Kommission mit drei Mann: „Haben sie Waffen? Haben sie Eier? Haben sie Schnaps?“ Das waren die drei Fragen. Ich stand am Gartentor bei meinen Leuten, ich kam von der Arbeit. Wir haben als 13-Jährige gearbeitet, obwohl es Krieg war. Ich schaue - aha - da kommen wieder welche. Sie fragen: „Haben sie Waffen, haben sie Eier, haben sie Schnaps?“ Und ich stehe da, ich hatte eine Kombination an und als Halt, damit es nicht verrutscht, hatte ich den Gürtel von der HJ. Und da waren zwei SS-Zeichen obendrauf. Sie kommen, bleiben stehen: „Haben sie Waffen, haben sie Eier, haben sie Schnaps?“ Und auf einmal sagen sie: „Ah, du! Du Nazi!“ Pistole.“
Lothar Wiedemann formt mit den Händen eine Pistole und hält sie gegen seine Schläfe.
„Dann hat der Kollege von dem gesagt: „Langsam, langsam.“ Also im Gebärden habe ich es so verstanden. Ich bin ins Haus zu meinem Vater und er hat gesagt: „Da wärst du doch nicht stehen geblieben, wärst halt reingegangen.“ Das war alles, mehr nicht.“
„Tage später komme ich von der Arbeit und denke mir: „Was ist da?“ Am Eingang zu den Reihenhäusern steht ein Posten mit Gewehr. Ich bin vorbeigefahren, der hat nichts gesagt. Daheim, also auf der anderen Seite, steht auch ein Posten. „Aha“, hab’ ich mir gedacht. „Die wollen die Häuser beschlagnahmen.“ Dann sage ich zur Mutter und zum Vater: „Da stehen Posten und irgendwas stimmt nicht. Ich glaube, die wollen die Häuser beschlagnahmen.“
„Es kam eine Kommission. Sie sollte die Einrichtung begutachten. Zuvor hatte der Vater gesagt: „Da müssen wir ein bisschen schneller sein.“ Wir haben den Herd – der war noch gut – raus und einen alten hingestellt. Die Kommission kam und hat die Wohnung begutachtet. Ich höre heute noch den Offizier sagen: „Mit dem Herd haben sie gekocht?“ Wir haben die eigenen Möbel gestohlen! Wir hatten einen Anhänger draußen. Den haben wir beladen. Der Nachbar hat Obacht gegeben, dass die Posten nicht schauen und wir sind mit dem Hab und Gut über das Feld. Die Mutter hatte schon eine Wohnung organisiert. Da haben wir das untergestellt.“
Die Kommission hat dann gesagt, dass die Häuser sind beschlagnahmt sind. „Wie lange?“ - „Zwei Jahre oder so“, haben sie gesagt. „Und wo sollen wir hin?“ Wir haben dann über zwei Jahre im Schuppen gewohnt. Ein amerikanischer Offizier hat das Haus bezogen. Er hat uns täglich Essen gebracht. So gute Pfannkuchen hatte ich noch nie gegessen. Wir hatten Feldbetten. Was wir halt so aufgetrieben haben. Aber es ging uns trotzdem immer noch gut. Wahrscheinlich haben einige im Ort schlechter gelebt als wir.“
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