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Interview: So geht Pfarrer Ratzinger gegen sexualisierte Gewalt in der Kirche vor

Interview

So geht Pfarrer Ratzinger gegen sexualisierte Gewalt in der Kirche vor

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    Die dunklen Wolken über der katholischen Kirche werden dichter. Missbrauchsfälle der Vergangenheit machten Schlagzeilen. Die Pfarreiengemeinschaft Großaitingen ist nicht betroffen, will nun aber ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche erarbeiten.
    Die dunklen Wolken über der katholischen Kirche werden dichter. Missbrauchsfälle der Vergangenheit machten Schlagzeilen. Die Pfarreiengemeinschaft Großaitingen ist nicht betroffen, will nun aber ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche erarbeiten. Foto: Friso Gentsch, dpa (Symbolbild)

    Herr Ratzinger, Sie wollen etwas tun gegen sexuelle Übergriffe in der katholischen Kirche und sind bereits aktiv geworden. Worum geht es?
    HUBERT RATZINGER: Als Antwort auf Missbrauchsfälle der vergangenen Jahre in der katholischen Kirche hat die Deutsche Bischofskonferenz einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, mit dessen Hilfe künftig solche Übergriffe verhindert werden sollen. Ein Teil davon ist das Institutionelle Schutzkonzept, das an der Basis erarbeitet werden soll. Die Pfarreiengemeinschaft Großaitingen ist meines Wissens nach die erste im Dekanat, die das Thema nun angeht. In zahlreichen Gesprächen und auch im Pastoral- und Pfarrgemeinderat habe ich stets ein positives Echo erhalten, sodass wir nicht mehr warten wollten, sondern mit dem Pilotprojekt loslegen möchten.

    Hubert Ratzinger
    Hubert Ratzinger Foto: Elmar Knöchel

    Können sie den Inhalt des Schutzkonzepts einfach erklären? Was wird erörtert?
    HUBERT RATZINGER: Ziel des Konzeptes ist es, dass sich der Umgang in sämtlichen Gruppen so gestaltet, dass sich jeder wohlfühlt. Achtsamkeit ist hier das Schlüsselwort. Die persönlichen Grenzen eines jeden müssen respektiert werden, auch wenn es andere als die eigenen sind. Dafür soll es Leitlinien geben. Sollten allerdings Grenzen überschritten werden und sich jemand unwohl fühlen, soll das Konzept auch den Beschwerdeweg aufzeigen. An wen kann man sich wenden? Wo gibt es Hilfe? Und wie kommt meine Beschwerde an die richtige Stelle? Dafür müssen natürlich auch zahlreiche Personen geschult werden. Aktuell laufen Umfragen bei Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen, die aufzeigen sollen, ob es Umgangsformen gibt, die möglicherweise übergriffig sind. Oder, ob dunkle Räume in den Pfarrheimen existieren, die unangenehm sein könnten.

    Welche Fragen stellen sich an der Basis konkret?
    HUBERT RATZINGER: Ich will Ihnen zwei konkrete Beispiele nennen. In der Kinder- und Jugendarbeit stellt sich die Frage: Welche Spiele gehen noch - und welche nicht mehr? Ein Schoßsitzkreis-Spiel war früher gang und gäbe, heutzutage aber undenkbar. Bei den kleinen Ministranten, die zum Teil beim Umziehen noch Hilfe brauchen, stellt sich wiederum die Frage, ob dieses Kind mit einem Jugendlichen oder Erwachsenen beim Umziehen allein im Raum sein darf oder ob mehrere Personen zum Schutz anwesend sein müssen..

    Wo ziehen Sie moralische Grenzen?
    HUBERT RATZINGER: Genau das soll in dem Konzept erörtert werden. Das ist oft eine schwierige Abwägung. Da scheiden sich bereits in Alltagssituationen außerhalb der Kirche die Geister. Ist es in Ordnung, wenn die Mutter ihrem 16-jährigen Sohn zum Abschied vor dem einwöchigen Skilager vor dem bereitstehenden Bus ein Bussi auf den Mund gibt? Die einen sagen, das ist völlig normal, die anderen sagen, das geht gar nicht. Mein Ziel ist es, dass jeder eine sensible Grundhaltung einnimmt und die Grenzen des anderen respektiert. Da geht es nicht nur um den Bereich sexualisierte Gewalt, es reichen einfach schon Situationen, in denen sich jemand unwohl fühlen könnte. Das wollen wir vermeiden.

    Wann soll das Konzept fertig sein?
    HUBERT RATZINGER: Es gibt aktuell keinen festen Termin, aber wir peilen den Herbst an.

    Was passiert dann mit dem Konzept? Landet es in der Schublade?
    HUBERT RATZINGER: Nein. Mir geht es nicht darum, Papier zu füllen, sondern ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. Diese Missbrauchsfälle sind ein schreckliches Phänomen, und dagegen müssen wir arbeiten. Das Konzept wird, wenn es fertig ist, vorgestellt und soll dann immer wieder aufgegriffen werden, in Gesprächen und in Pfarrbriefen. Es soll auch als Standard für jede Gruppe gelten und muss immer wieder thematisiert werden, damit es alle verinnerlichen können.

    Zur Person

    In der Pfarreiengemeinschaft (PG) Großaitingen (zu der auch die Pfarreien Kleinaitingen, Oberottmarshausen, Reinhartshofen und Wehringen gehören) wird derzeit ein Institutionelles Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt erarbeitet. Darin geht es auch darum, übergriffiges Verhalten im Umgang mit Anvertrauten von vornherein abzustellen. Die Arbeitsgruppe besteht aus sechs Frauen und sechs Männern aus den Pfarreien. Begleitet wird die Gruppe von zwei Präventionsbeauftragten der Diözese Augsburg. Aktuell hat das Gremium verschiedene Fragebögen erarbeitet, die sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene in der Pfarrgemeindearbeit richten und bis Ende Mai ausgefüllt werden sollen.

    Die PG Großaitingen ist momentan die einzige im Dekanat, die ein solches Konzept bereits erarbeitet. Ab dem kommenden Jahr soll es für die Pfarreien allerdings zur Pflicht werden.

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