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Interview: Dr. Heichele in Königsbrunn: Sind Querdenker automatisch Verschwörungstheoretiker?

Interview

Dr. Heichele in Königsbrunn: Sind Querdenker automatisch Verschwörungstheoretiker?

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    Dr. Thomas Heichele, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Augsburg, hält beim Königsbrunner Campus einen Vortrag über philosophische Aspekte von Verschwörungstheorien.
    Dr. Thomas Heichele, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Augsburg, hält beim Königsbrunner Campus einen Vortrag über philosophische Aspekte von Verschwörungstheorien. Foto: Grahame Bell Fotografie

    Herr Dr. Heichele, neben Ihrer Forschung am Lehrstuhl Philosophie der Universität Augsburg sind Sie auch auf Instagram sehr aktiv. Unter dem Namen "Einstieg in die Philosophie" haben Sie bereits um die 900 Beiträge gepostet. In einigen bezeichnen Sie Corona-Leugner offen als "Covidioten". Wurden Sie dafür schon einmal angefeindet?
    DR. THOMAS HEICHELE: Manchmal sind unter meinen Beiträgen, egal zu welchem Thema, beleidigende Kommentare. Wenn sie in argumentativen Kontexten auftauchen, in denen auch ich stärkere Worte verwende, ist das in Ordnung. Wenn aber die Kommentare keinen anderen Inhalt als die Beleidigung transportieren oder rechtlich kritisch sind, dann lösche ich sie.

    Während der Pandemie erlebte der Begriff "Verschwörungstheorie" einen Boom. Was verbirgt sich dahinter?
    HEICHELE: Dafür ist zuerst der Begriff "Verschwörung" zu klären. Eine erste Definition lautet: Eine Gruppe von Menschen schließt sich im Geheimen für ein Ziel zusammen. Dann würde es sich aber bei Eltern, die geheim einen Kindergeburtstag planen, auch um eine Verschwörung handeln. Daher mein Zusatz: Der Zusammenschluss zielt auf einen eigenen Vorteil und auf einen Nachteil anderer ab. Eine Verschwörungstheorie ist grundsätzlich die Summe an theoretischen Aussagen über diesen Zusammenschluss. Diese Aussagen müssen nicht per se falsch sein. Es gibt auch wahre Verschwörungstheorien. Etwa das Attentat von 9/11: Terroristen haben sich für ein Ziel verdeckt zusammengeschlossen.

    Wenn von den Corona-Demonstrationen gesprochen wird, taucht auch häufig die Bezeichnung "Querdenker" auf. Ist ein Querdenker automatisch ein Verschwörungstheoretiker?
    HEICHELE: Nein, die Begriffe sind nicht gleichzusetzen. Im Kontext der Pandemie glaubt ein Verschwörungstheoretiker, dass sich die Eliten zusammengeschlossen haben, um die Bürger immer stärker zu überwachen und einzuschränken. Dabei spielt auch die Wissenschaftsleugnung eine große Rolle: So seien auch die Wissenschaftler Teil dieser Verschwörung und das Coronavirus nur eine Erfindung. Unter der Querdenken-Bewegung sammeln sich aber auch radikale Freiheitskämpfer, die nicht zwingend an eine Verschwörung glauben.

    Und welche Rolle spielt nun die Philosophie dabei?
    HEICHELE: Der Begriff "Verschwörungstheorie" wurde von dem Philosophen Karl Popper zum Ende des Zweiten Weltkriegs eingeführt, er stammt also aus der Philosophie. Innerhalb dieser Disziplin ist die Wissenschaftstheorie angesiedelt. Philosophen können dabei prüfen, ob die Argumentationen von Verschwörungstheoretikern wissenschaftlich und logisch sind. Außerdem liefern Verschwörungstheorien oft Erklärungen, wie die Welt geschaffen ist. Was ist Wirklichkeit? Was ist Wahrheit? Das sind ganz klar Themen der Philosophie.

    Kann die Philosophie auch erklären, warum jemand an Verschwörungstheorien glaubt?
    HEICHELE: Nur zu einem gewissen Teil. Verschwörungstheorien haben unter anderem eine sinnstiftende Funktion: Sie verleihen dem Menschen Halt und Orientierung. Die Frage nach dem Sinn gehört wohl zum Kerngebiet der Philosophie. Ein starkes Bedürfnis nach Halt und Orientierung wird häufig ausgelöst durch die Erfahrung oder die Befürchtung marginalisiert, also an den "Rand der Gesellschaft" gedrängt zu werden. Bei diesem Aspekt befindet man sich aber bereits auf dem Feld der Soziologie und Psychologie.

    "Zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur gehört die Tatsache, dass es so viel Bullshit gibt." Dieses Zitat des Philosophen Harry Frankfurt haben Sie auf Instagram geteilt. Sind Verschwörungstheorien also besonders bezeichnend für moderne
    HEICHELE: An sich ist das ein uraltes Phänomen. In der Moderne hat sich aber der Charakter verändert. Früher waren Verschwörungstheorien häufig Teil einer Staatsideologie, kamen also "von oben". Wenn vor dem digitalen Zeitalter irgendein Dorftrottel einen Mythos in die Welt gesetzt hat, ist er damit nicht weit gekommen. Durch Social Media ist das nun anders. Jetzt hat im Prinzip jeder ein Sprachrohr, um Tausende Menschen zu erreichen. Verschwörungstheorien kommen also immer mehr "von unten".

    Beim Königsbrunner Campus am Mittwoch, 21. September, 19 Uhr, spricht Dr. Heichele über die philosophischen Aspekte von Verschwörungstheorien. Eine Voranmeldung im Kulturbüro ist erforderlich. Die Veranstaltung findet im Informationspavillon 955 im Alten Postweg 1 statt.

    Zur Person

    Dr. Thomas Heichele ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Philosophie der Universität Augsburg mit Schwerpunkt analytische Philosophie und Wissenschaftstheorie. Momentan schreibt er seine Habilitation über den Zusammenhang von Verschwörungstheorien und Wissenschaft.

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