Heike Heubach ist die erste gehörlose Politikerin im deutschen Bundestag. Seit März 2024 ist sie dort Abgeordnete für die SPD. „Im Bundestag wird Inklusion gelebt, im Alltag bleibt noch viel zu tun“, sagte die Bundestagsabgeordnete Heike Heubach am Montagabend in der Königsbrunner Brunnenschule. Dort nahm sie an einer Podiumsdiskussion teil, die von der Inklusionsbeauftragten des Königsbrunner Stadtrats Andrea Collisi organisiert worden war und moderiert wurde. Wie Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung im Alter selbstbestimmt leben können, wurde diskutiert.
Stadtbergerin ist erste Gehörlose im Bundestag
Heubach wohnt in Stadtbergen, ihr Wahlkreis ist Augsburg-Land und Aichach-Friedberg. Sie ist gehörlos und hat am 10. Oktober die erste Rede in Gebärdensprache in der Geschichte des Bundestages gehalten, bei der sie über nachhaltiges Bauen sprach. Im Bundestag hat sie stets Gebärdendolmetschende zur Seite. Als Mitglied des Bundestagsausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen ist sie die richtige Ansprechpartnerin für die Anliegen aus dem Publikum und von Gregor Beck, Vorstandsvorsitzendem des Fritz-Felsenstein-Hauses (FFH) sowie Vorstandsvorsitzendem der Lebenshilfe, Peter Goldammer. Das FFH bietet Bildung, Hilfestellung und Wohnungen für körperbehinderte Kinder und Erwachsene in der Region an. Die Lebenshilfe ist Trägerin der Brunnenschule, in der 320 Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung unterrichtet werden, der benachbarten Heilpädagogischen Tagesstätte und von Wohnungen für erwachsene Behinderte.
Plätze in Wohnheimen sind rar
Plätze in Mehrgenerationenhäusern, Wohnheimen, Wohn-Pflege-Gemeinschaften oder geeigneten Wohnungen seien momentan für Menschen mit Behinderung praktisch nicht zu bekommen, berichtete Beck. „Die Lage ist katastrophal“, sagte er. Beck forderte die Förderung von kommunalem, gemeinnützigem Wohnungsbau, insbesondere für barrierefreie Wohnungen, die von der Grundsicherung bezahlt werden können. Außerdem eine Quote für rollstuhlgerechte Wohnungen. Laut Bayerischer Bauordnung muss ein bestimmter Teil der Wohnungen in Mehrfamilienhäusern barrierefrei sein. Für rollstuhlgerechte Wohnungen gibt es bisher keine Vorschriften.
Goldammer sah einen Verbesserungsbedarf bei der Pflegegesetzgebung. Momentan müssen Behinderte, deren altersbedingter Pflegebedarf höher bewertet wird als der Bedarf aufgrund einer Behinderung, in ein Altenpflegeheim umziehen. Doch diese Einrichtungen seien nicht auf Behindertenhilfe vorbereitet. „Adäquate Einrichtungen gibt es nicht“, so Goldammer. Ein weiteres Problemfeld sei der Fachkräftemangel. Er könne zu einem großen Teil durch Migration behoben werden. Doch brauchen die ausländischen Pflegekräfte Wohnungen, was zum Wohnungsthema zurückführe. Er plädierte für staatliche Unterstützung beim Bau von Betriebswohnungen von gemeinnützigen Trägern wie dem Fritz-Felsenstein-Haus.
Aus dem Publikum kamen Schilderungen von Missständen im barrierefreien Wohnen: Es gebe in einem neu errichteten Gebäude im Königsbrunner Zentrum mit hohen Mietpreisen mehrere schwere Brandschutztüren, die Menschen mit Rollwagen oder im Rollstuhl nicht öffnen können. In diesem Gebäude gebe es sechs barrierefreie Wohnungen sowie eine Praxis für Physiotherapie, aber an einem elektrischen Türantrieb wurde und werde immer noch, trotz Beschwerden, gespart.
Bayern wollte bis 2023 barrierefrei sein
Im Publikum saß Volkmar Thumser, Beauftragter für Menschen mit Behinderung und Inklusion des Bezirks Schwaben. Er sah eine Ursache für den Mangel an behindertengerechten Wohnungen in den hoch geschraubten gesetzlichen Anforderungen. Die Folge sei, dass Erwachsene im Elternhaus blieben, das oftmals nicht behindertengerecht ausgestattet sei. Simone Strohmayr, Mitglied des Bayerischen Landtags, dort Sprecherin für schulische Inklusion, stimmte dem zu. Sie wisse von Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt, die abgerissen wurden, weil sie den aktuellen Anforderungen nicht mehr entsprachen. Sie erinnerte daran, dass Bayern bis 2023 im öffentlichen Raum barrierefrei sein wollte. Das habe nicht geklappt, Inklusion bleibe eine Daueraufgabe.
Heubach sah spontan mögliche Lösungsansätze: „Es gibt Fördermittel für altersgerechtes Bauen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass behindertengerechtes Bauen in die Förderrichtlinie aufgenommen wird.“ Zudem wolle sie einen Weg zur Verankerung von behindertengerechtem Wohnen in der Architektenausbildung suchen und sich um die Förderung von Betriebswohnungen kümmern. Sie berichtete, dass Ende des Jahres eine Novelle des Baugesetzbuches verabschiedet werde, um den Wohnungsbau generell zu beschleunigen und günstiger zu machen. Darin werde unter anderem das Vorkaufsrecht der Kommunen gestärkt und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen erschwert. Sie betone immer wieder, dass die Menschenrechte auch für Behinderte gälten und daher Inklusion ein Menschenrecht sei. In Artikel 3 des Grundgesetzes stehe: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Doch gerade bei Bildung und Wohnen warte dieser Satz noch auf seine Verwirklichung.
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