Die Menschen in Mickhausen sind fassungslos. Hat wirklich der Anführer einer Neonazi-Terrorgruppe mitten unter ihnen gewohnt? Ein Mann, der mit einem Dutzend Kumpane verheerende Anschläge auf Politiker, Flüchtlinge und Muslime geplant hat? Eigentlich unvorstellbar in einer Gemeinde mit gerade einmal 1400 Einwohnern, die bisher überregional höchstens mit dem Mickhauser Bergrennen Schlagzeilen gemacht hat und in der praktisch jeder jeden kennt.
Doch der 53-jährige Werner S., der seit etwa zehn Jahren in dem kleinen Ort im Landkreis Augsburg wohnt, hatte offenbar keinen Kontakt zu anderen Einwohnern. Am Gemeindeleben hat der mutmaßliche Kopf der Terrorgruppe, die sich offenbar "Der harte Kern" nannte, nie teilgenommen. "Er ist einem eigentlich nur begegnet, wenn er mit den Hunden unterwegs war", sagt ein Mickhauser, der seinen Namen nicht in einem Artikel lesen will. Häufig sei dies auch in der Nacht geschehen. Und dabei sei Werner S. auch immer wieder an einem frei stehenden Feldstadel vorbeigekommen, der nach Informationen des Mannes am Freitagmorgen ebenfalls durchsucht worden ist.
Stellvertretender Bürgermeister Lämmermeyer: "Die Menschen beschäftigt das natürlich"
Auch Mickhausens stellvertretender Bürgermeister Walter Lämmermeyer ist geschockt. Er kommt auf dem Weg zur Arbeit täglich zweimal an dem Haus von Werner S. vorbei. Es ist ein hübsch sanierter, grau gestrichener Bauernhof, bei dem sämtliche Fenster im Erdgeschoss vergittert sind. "Es ist schon erschreckend, wenn so etwas nicht in irgendeiner Großstadt, sondern in unserem beschaulichen Staudendorf passiert", sagt Lämmermeyer. Mickhausen habe zwar kein eigenes Wirtshaus, aber ein lebendiges Vereinsleben. Und in den Vereinen werde das Thema natürlich intensiv diskutiert. "Wir haben auch im Schützenverein darüber gesprochen", sagt der stellvertretende Bürgermeister, "die Menschen beschäftigt das natürlich, aber es ist auch nicht so, dass jetzt alle total verunsichert sind."
Neonazis sollen Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime ins Auge gefasst haben
Dabei hätten sie doch einigen Grund dazu. Denn die rechte Terrorzelle scheint brandgefährlich gewesen zu sein. Die mutmaßlichen Neonazis sollen Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime ins Auge gefasst haben, um Chaos auszulösen und so die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik ins Wanken zu bringen. Nach Informationen der Bild plante die Truppe verheerende Anschläge. Ein V-Mann soll den Ermittlungsbehörden brisante Informationen übermittelt haben. Demnach planten die Täter möglicherweise ein Attentat auf eine Moschee, ähnlich dem Anschlag im neuseeländischen Christchurch im März 2019. Ein Rechtsterrorist hatte damals 51 Menschen erschossen und 50 teils schwer verletzt.
Anführer der rechten Terrorzelle soll Werner S. aus Mickhausen gewesen sein
Und der Anführer dieser Terrorzelle soll Werner S. aus Mickhausen gewesen sein. In seiner Wohnung fanden die Ermittler bei der Razzia nach Informationen unserer Redaktion mindestens eine scharfe Pistole vom russischen Fabrikat Tokarev. Nach Informationen des Spiegel wurde S. bereits vor Monaten von den Sicherheitsbehörden als rechtsextremer Gefährder eingestuft. Ihnen trauen Staatsschützer schwere Gewalttaten zu – bis hin zu Terroranschlägen. Die Gruppe von einem Dutzend Männer hielt zunächst Kontakt über Chatgruppen und Telefon. Darin bestärkten sie sich offenbar in ihren radikalen Ansichten. Später sollen sie auch Baupläne und Fotos selbst hergestellter Waffen in ihren Foren geteilt haben. Dann begannen erste Treffen in unterschiedlichen Besetzungen. Diese sollen von Werner S. anberaumt und koordiniert worden sein. Und als mindestens zehn Mitglieder und Unterstützer der Gruppe am Samstag vor einer Woche in Minden (Nordrhein-Westfalen) zusammenkamen, wurde das konspirative Treffen bereits vom Staatsschutz observiert. Offenbar alarmiert von den Gesprächen dort, entschieden sich die Ermittler, rasch zuzugreifen.
Inzwischen haben nach den bundesweiten Razzien Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Haftbefehle gegen zwölf Männer erlassen. Vier mutmaßliche Mitglieder und acht mutmaßliche Unterstützer – allesamt Deutsche – sitzen in U-Haft. Sie sind dem Vernehmen nach zwischen 31 und 60 Jahre alt. Sie hätten unter anderem Bezüge zu der rechtsextremen Gruppierung "Soldiers of Odin" (SOO) gehabt. Deren Mitglieder tauchten im Zuge der Flüchtlingskrise auf. In der nordfinnischen Kleinstadt Kemi organisierten sie im Oktober 2015 im Stile einer Bürgerwehr Straßenpatrouillen.
Lesen Sie dazu auch: Mutmaßlicher Kopf der rechten Terrorzelle als "Gefährder" eingestuft
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