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Region Augsburg: "Jahrhundertealte Tricks": Dieser Mann erforscht, warum wir Betrügern glauben

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"Jahrhundertealte Tricks": Dieser Mann erforscht, warum wir Betrügern glauben

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    Eine der ältesten Betrugsmaschen der Welt: Hütchenspieler, die Menschen um ihr Geld bringen, gab es schon in der Antike.
    Eine der ältesten Betrugsmaschen der Welt: Hütchenspieler, die Menschen um ihr Geld bringen, gab es schon in der Antike. Foto: Paul Zinken, dpa (Symboilbild)

    Herr Dr. Thiel, wie kommt man auf die Idee, sich wissenschaftlich mit Betrug zu beschäftigen?

    Dr. Christian Thiel: Es ist für Soziologen tatsächlich kein typisches Thema. Darauf gestoßen bin ich durch einen Zeitungsartikel: Es ging um zwei ältere Herren, die 600 Investoren um 25 Millionen Euro betrogen haben, indem sie ihnen Erfindungen vorgaukelten, wie einen Wasserexplosionsmotor oder die Dallidalli-Maschine, die Tee und Kaffee gleichzeitig kochen kann. Ich bin zum Prozess gefahren und habe gemerkt, dass es gar nicht so leicht ist, den an sich offensichtlichen Betrug zu erkennen, wenn man einmal in die Geschichte geraten ist. Soziologisch interessant sind die Abläufe zwischen Täter und Opfer – schließlich entsteht die erfundene Wirklichkeit des Betrügers ja erst im Kopf des Betrogenen. Und es geht um die große Frage: Wem vertrauen wir? Für meine Forschungsarbeit haben wir dazu sehr viele Interviews geführt mit Betrügern und Opfern, Ermittlern und Experten. Außerdem konnten wir von der Polizei mitgeschnittene Betrugsanrufe und eine Reihe von Akten aus Strafverfahren auswerten.

    Wie haben sich die Betrugsmaschen über die Jahre verändert?

    Thiel: Grundlegend neu sind die Maschen heute nicht. Manche Tricks funktionieren seit der Antike, beispielsweise der Betrug beim Hütchenspielen. Die Spam-Mail-Masche mit der nigerianischen Prinzessin, die Hilfe braucht, gab es schon im 16. Jahrhundert. Da bat ein Adeliger per Brief aus der Gefangenschaft des spanischen Königs um Hilfe und versprach reiche Belohnung. Das Internet ermöglicht es den Tätern allerdings heute, mit einem Mausklick Tausende potenzieller Opfer zu erreichen. Ein Großteil der Maschen folgt aber festen Abläufen.

    Christian Thiel ist Soziologe an der Universität Augsburg.
    Christian Thiel ist Soziologe an der Universität Augsburg. Foto: Christian Thiel

    Wie sehen diese Abläufe aus?

    Thiel: Man kann drei Phasen identifizieren: Zunächst muss der Betrüger herausfinden, was sich sein Gegenüber wünscht. Dann folgt die Inszenierung, die dem Gegenüber vermitteln soll, dass sein Wunsch in Erfüllung gehen kann. Die dritte Phase ist die des Vertrauens, in der das Opfer bereitwillig sein Geld übergibt. Fliegt der Betrug auf, erlebt das Opfer im wahrsten Sinne eine Ent-Täuschung, weil die erfundene und die reale Wirklichkeit aufeinanderprallen. Manchmal bleibt ein sogenannter Kippeffekt, wenn der Betrüger sich nach einiger Zeit wieder meldet. Einige Opfer fallen wieder darauf herein, weil sie sich wünschen, dass der Mensch doch kein Betrüger ist.

    Sind die Betrogenen besonders leichtgläubige Menschen? Gibt es einen bestimmten Opfertypus?

    Thiel: Nein, ein typisches Opfer gibt es nicht. Es hat auch nichts mit Intelligenz zu tun, ob man auf einen Betrüger hereinfällt. Vielmehr ist es so, dass die Täter bei intelligenten Menschen weniger plakativ den "Nutzen" anpreisen müssen, weil die selbst darauf kommen. Eine Auswahl gibt es nur, damit die potenziellen Opfer auch zur eigenen Masche passen.

    Müssen wir generell misstrauischer gegenüber anderen Menschen sein?

    Thiel: Das widerspräche völlig dem, wie wir unseren Alltag gestalten. Nehmen Sie den Romantikbetrug, bei dem Opfern die große Liebe vorgegaukelt wird, ehe man ihnen unter einem Vorwand das Geld aus der Tasche zieht: Viele Menschen wünschen sich einen neuen Partner und suchen diesen über Dating-Plattformen im Internet. Kann man da von Beginn an misstrauisch sein, damit man nur ja nicht betrogen wird? Das würde eine völlig paranoide Herangehensweise ans Leben erfordern.

    Wie wird man zu einem Betrüger? Es gibt ja kein Handbuch für so ein Verhalten.

    Thiel: Nun, in einigen Fällen gibt es das doch. Sogenannte "Boilerrooms", also Callcenter für Betrugsanrufe, geben den Mitarbeitern tatsächlich Skripte an die Hand, wie sie bei bestimmten Rückfragen und Wendungen im Gespräch reagieren sollen. Ansonsten ist der Werdegang tatsächlich unterschiedlich: Manche Menschen wachsen in ein kriminelles Milieu hinein und werden darin sozialisiert. Andere verwirklichen eigene Ideen. Eine dritte Gruppe kommt durch Medien auf Betrugsmaschen. Manche Täter sagten bei unseren Interviews, dass sie Fernsehsendungen wie "Vorsicht Falle", die eigentlich vor Betrügern warnen, als eine Art Weiterbildung und Ideenquelle genutzt haben.

    Welchen Eindruck hatten Sie von den Tätern?

    Thiel: Viele verstehen sich sehr gut darauf, einen die Welt aus ihrem Blickwinkel sehen zu lassen. Ich bin einige Male aus Interviews herausgegangen und habe mich gefragt, wie solch ein freundlicher, intelligenter Mensch eigentlich hinter Gittern sitzen kann. Erst bei der anschließenden intensiven Auswertung der Interviews habe ich dann festgestellt, wie gut es manche Betrüger bewerkstelligen, dass man ihre Wirklichkeitskonstruktionen übernimmt. Viele haben ein unheimliches Gespür dafür, was ihr Gegenüber hören möchte, und wickeln einen damit ein. Seit diesen Erfahrungen habe ich wirklich großen Respekt für die Arbeit von Kriminalpsychologen, die regelmäßig mit solchen Menschen sprechen und sich ein Urteil über sie bilden müssen.

    Können Ihre Forschungserkenntnisse die Arbeit der Polizei unterstützen?

    Thiel: Zunächst einmal geht es natürlich um das Wissen. Es gibt bislang wenig Forschungen auf diesem Gebiet. Aber ich würde mir wünschen, dass man die Erkenntnisse für eine bessere Prävention nutzen kann. Die Polizei hat beispielsweise viel Aufwand betrieben, um vor falschen Polizeibeamten zu warnen. Das ist aber nur eine Masche von Hunderten, kein Mensch kann sich alle merken. Vielleicht können wir mit unseren Forschungen Grundprozesse so weit aufdecken, dass man daraus Bausteine entwickeln und Menschen davor warnen kann. Im Herbst plane ich zu dieser Frage einen Workshop mit Ermittlern verschiedener Behörden, die wir fragen, ob sie etwas damit anfangen können.

    Dr. Christian Thiel, 43, ist Soziologe an der Universität Augsburg und leitet das Forschungsprojekt „Zur Herstellung von Täuschung und Vertrauen beim Betrug. Eine interaktionistisch-wissenssoziologische Studie“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

    Seine Forschungsergebnisse stellt Christian Thiel ausführlich bei einem Vortrag der Veranstaltungsreihe "Königsbrunner Campus" am Mittwoch, 9. Juni, vor. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr am Informationspavillon 955, Alter Postweg 1, in Königsbrunn. Eine vorherige Anmeldung ist erforderlich unter der Telefonnummer 08231/606-260 oder per Mail an kulturbuero@koenigsbrunn.de.

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