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Landkreis Augsburg: Hitlers Wunderwaffe aus dem Wald

Landkreis Augsburg

Hitlers Wunderwaffe aus dem Wald

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    Ein US-Soldat im Cockpit der Geheimwaffe.
    Ein US-Soldat im Cockpit der Geheimwaffe. Foto: Max Trometer

    Längst hat sich der Wald das zurückerobert, was vor über 70 Jahren für die Geheimwaffe der Nationalsozialisten aus dem Boden gestampft worden war: Ein geheimes Waldwerk, in dem der erste serienreife Düsenjäger der Welt, die Me 262 von Willy Messerschmitt, montiert wurde. Die „Schwalbe“ galt damals allen anderen Flugzeugen im Luftkampf als überlegen. Heute wachsen Moose und Farne auf den Resten des Geheimwerks im Fichtenwald zwischen Zusmarshausen und Burgau. Sie bedecken ein dunkles Kapitel Geschichte: Für die Produktion in der Geheimanlage mit den Tarnnamen Kuno II oder Kiesweg II wurden auch KZ-Häftlinge eingesetzt.

    In Viehwaggons gepfercht kamen im März 1945 rund 1000 Jüdinnen nach Burgau. Dort war ein KZ eingerichtet worden. 18 Frauen starben bei der Anreise – Unterernährung und Erschöpfung stand in den Sterbeurkunden. Begraben wurden sie auf dem jüdischen Friedhof in Ichenhausen. Ungeklärt ist dagegen, wer auf der Schwarz-Weiß-Fotografie einer Zusmarshauser Fotografin abgebildet ist. Zu sehen sind etwa 20 Leichen, die im Wald vor einer Baracke liegen. Niemand weiß, wer diese Menschen sind und wie sie starben. Die Fotografin hat der Nachwelt ein Rätsel hinterlassen.

    Alliierte trauten ihren Augen nicht

    Über Umwege ist der Zusmarshauser Hans-Peter Englbrecht an diese Aufnahme gekommen. „Hier könnte es gewesen sein“, sagt der 67-Jährige, der früher Hauptschullehrer war. Er steht vor den Resten des ehemaligen Waldlagers, hebt eine Kopie der Fotografie hoch und peilt in Richtung eines betonierten Fundaments, auf dem einmal die Kantine des Geheimlagers gestanden sein könnte. Zwischen Moos, Farn und jungem Bergahorn liegen die Reste aus Rost: Alte Kannen, Ölkanister, ein Topf und dazwischen ein brauner Plastikbeutel, der ohne Zweifel von den Amerikanern stammt: „Menu No. 11, ready to eat, ham slices“ – in Plastik eingeschweißtes Essen, Menü Nummer elf, Schinkenscheiben.

    Die Soldaten der 7. US-Armee trauten ihren Augen nicht, als sie im Frühjahr 1945 im Waldwerk zwischen Zusmarshausen und Burgau standen. Dessen Existenz war ein wohlgehütetes Geheimnis, niemand hatte den Wald vor lauter Bäumen gesehen. Und die Einheimischen? Ob sie vom Stolz der deutschen Luftwaffe wussten?

    Testläufe mit Höllenlärm

    Vermutlich hatten sie geahnt, was im Wald vor sich ging. Einen Fuß ins Sperrgebiet durften sie allerdings nicht setzen. Aber niemandem kann der Höllenlärm entgangen sein, den die Düsenjäger machten. Sie wurden im Werk der Kuno AG endmontiert und dann getestet: Einen Tag im Leerlauf und dann einen Tag bei Vollschub. Anschließend ging es zum Schießstand: Dort wurde ein Ziel in 100 Metern Entfernung anvisiert. Der Kugelfang aus Beton ist heute noch deutlich zu erkennen. War die Bordkanone eingeschossen und justiert, erhielten die Düsenjäger auf der gegenüberliegenden Seite der damaligen Reichsautobahn in einer weiteren Halle ihre Farbe. In der Unterführung unweit der Stelle fürchtete vor 71 Jahren der Zusmarshauser Richard Käßmair um sein Leben.

    Die amerikanischen Tiefflieger hatten das Waldwerk angegriffen und mehrere zum Start vorbereitete Düsenjäger zerstört. Die abflugbereiten Maschinen seien an der Autobahn bis Vallried gestanden, so Käßmair. Das war am 23. April 1945 gegen 13.30 Uhr. Für 14 Uhr sei der große Abflug vorgesehen gewesen. Käßmair, durch Kriegsverletzungen gezeichnet, hatte tagtäglich als Elektriker im Waldwerk und im KZ Burgau gearbeitet. Seine Erinnerungen sind erhalten – dank Hans-Peter Englbrecht, der Käßmair mit seinen Schülern vor Jahren befragte. Das Protokoll ist ein wichtiges Dokument, um das Ge-schichtspuzzle von Kuno II zusammenzusetzen. Der Lehrer hatte damals ein einzigartiges Schulprojekt gestartet. Mit den Jugendlichen war er oft zu den Resten des Waldwerks geradelt – Geschichte vor Ort. Erlebnis statt Frontalunterricht.

    Zwangsarbeiter bauten die Anlage

    Käßmair hatte nicht nur den Fliegerangriff miterlebt, sondern auch den Alltag im Waldwerk. Und er wusste um die Zustände im Lager Burgau, ein Außenlager des KZ Dachau: Der Hunger war groß. Wachleute sollen auch weggeschaut haben, wenn sich Häftlinge alte Kartoffelschalen aus dem Müll klaubten und einsteckten. Andere SS-Schergen prügelten angeblich sofort darauf los. Auch mit ein Meter langen Kabelstücken soll zugeschlagen worden sein.

    Zwangsarbeiter hatten die Geheimanlage aus dem Boden gestampft. Sie müssen mehrere hunderte Tonnen Erdreich bewegt und ebenso viel Beton gegossen haben. Die Montage der Me 262 erledigten dann KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Fachkräfte und Soldaten. Einer von ihnen war Werner Krebs aus Krefeld. Auch seine Erinnerungen sind erhalten.

    Er hatte bereits im Geheimwerk Hessental bei Schwäbisch Hall Flugzeuge montiert, bis seine Kompanie wegen der vorrückenden Amerikaner und Franzosen weiter in den Süden verlegt wurde. Krebs erinnert sich, dass im Werk Kuno II der Grünstreifen der Autobahn um den 20. April 1945 betoniert war, damit das kerzengerade Stück bis Jettingen als Startbahn genutzt werden konnte. Der Mittelstreifen wurde sogar grün gestrichen, damit feindliche Aufklärer nicht hinter das Geheimnis kamen. Augenzeuge Richard Käßmair erinnert sich an eine kleine Feldbahn vom Autobahnsee zum Waldwerk, um schnell viel Kies transportieren zu können. Käßmair: „Als die Startbahn fertig war, konnten die ersten Maschinen starten. Eine stürzte ab, bei Unterknöringen, und ich glaube, dass keine 20 fertigen Maschinen gestartet sind.“

    Spurensuche geht weiter

    Laut Werner Krebs wurden einige Flugzeuge auf Lastwagen nach Leipheim gebracht, weil der Treibstoff ausgegangen war. Als seine Kompanie das Geheimwerk wegen der anrückenden US-Armee verlassen musste, seien etwa 30 bis 40 flugbereite und munitionierte Me 262 im Wald zurückgeblieben. Einige Mitglieder der Kompanie hätten vorher noch versucht, die Boxermotoren der Maschinen anzustellen, damit sie heißlaufen und kaputtgehen. Das deckt sich mit Käßmairs Erinnerungen: Er wurde in den Wald geschickt, um mit einem Schneidbrenner die Motoren zu beschädigen. Außerdem sollte er die Blaupausen der Pläne für Deutschlands Wunderwaffe zerstören. Aber die brannten offenbar nicht gut. Erhalten geblieben sind sie trotzdem nicht. Nur ein Spezialfernrohr, das Käßmair auf dem Rad nach Hause brachte. Es soll später im Wettersteingebirge aufgestellt gewesen sein. Auch ein Hallendach von Kuno II gibt es noch – wegen der Ausmaße überdeckte es vermutlich die etwa 50 Meter lange Fertigungsstraße mit Montagegrube, die heute noch deutlich im Wald zu erkennen ist. Mit dem Dach samt der einfachen Konstruktion aus Brettern baute ein Pferdehändler aus Gabelbach mit seinem Sohn ein Sägewerk auf. Die Spurensuche ist damit noch lange nicht beendet: Sie wird in den kommenden Wochen fortgesetzt.

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