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Königsbrunn: Zeitzeugen berichten vom Ende des Zweiten Weltkriegs in Königsbrunn

Königsbrunn

Zeitzeugen berichten vom Ende des Zweiten Weltkriegs in Königsbrunn

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    Am Ende eines außergewöhnlichen Abends freuten sich: von links Dritte Bürgermeisterin Ursula Jung, die Filmemacher Manuel Hagen und Lucas Hübner, Kulturbüroleiterin Rebecca Ribarek und Stadtarchivarin Susanne Lorenz.
    Am Ende eines außergewöhnlichen Abends freuten sich: von links Dritte Bürgermeisterin Ursula Jung, die Filmemacher Manuel Hagen und Lucas Hübner, Kulturbüroleiterin Rebecca Ribarek und Stadtarchivarin Susanne Lorenz. Foto: Claudia Deeney

    Der Zweite Weltkrieg brachte auch für die Königsbrunner viel Leid mit sich: 218 Soldaten kehrten nicht in die Heimat zurück. Durch die Lage zwischen Augsburg und dem Flughafen Lechfeld wurde die Stadt mehrfach von Bomben getroffen. Um die Erinnerung daran und an die Zeit nach dem Krieg auch 75 Jahre nach Kriegsende lebendig zu halten, haben Stadtarchivarin Susanne Lorenz und Kulturbüroleiterin Rebecca Ribarek ein Videoprojekt mit Zeitzeugen ins Leben gerufen. Dessen Ergebnis, ein 90-minütiger Film, wurde jetzt vorgestellt.

    Am 28. April 1945 marschierten US-Truppen in Königsbrunn ein. Mit dem Ende des Krieges änderte sich auch die Stadtgesellschaft: Bis August 1945 wurden in Königsbrunn 1270 Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht, das entsprach 45 Prozent der bisherigen Einwohnerzahl, erklärte Dritte Bürgermeisterin Ursula Jung und sagte: "Unter diesen war auch meine Familie.“ Damit wurde schon eingangs deutlich: Zahlen aus diesem Zweiten Weltkrieg sind das Eine, persönliche Schicksale sind das Andere.

    Mehrere Mitglieder der Familie Herget/Schwarzbeck verloren bei einem Bombenangriff am 4. November 1944 ihr Leben.
    Mehrere Mitglieder der Familie Herget/Schwarzbeck verloren bei einem Bombenangriff am 4. November 1944 ihr Leben. Foto: Claudia Deeney

    Königsbrunner waren im Krieg erleichtert, wenn Bürgermeister vorbeiging

    Dazu zitierte Susanne Lorenz aus dem Buch "Bachwies“ von Margot Kunzi sinngemäß: "Wenn Bürgermeister Jakob Schreijak und der Schulrektor Friedrich Lang als verpflichtete "Kriegsbeauftragte“ Angehörigen die Todesnachricht überbringen mussten, standen die Königsbrunner am Zaun und atmeten auf, wenn die beiden weitergingen. Eine halbe Stunde später wusste man, welchen Ehemann, Sohn oder Vater es getroffen hat.“

    Dass diese Schrecken auch heute noch bei den Zeitzeugen präsent sind, kommt deutlich spürbar beim Zuschauer an. Im Film fragt Lorenz: "Wie war die Verabschiedung, der in den Krieg einberufenen Soldaten?“ Erika Mittring, geborene Siebinger, antwortet: "Stellen Sie sich vor, meine Mutter steht mit mir auf dem Arm da und der Mann geht und kommt nimmer heim. Da kommen mir heute noch die Tränen.“ Ihr Vater starb am 5. November 1945 in Kriegsgefangenschaft. Friedrich Mittring fügt noch hinzu: "Am Schlimmsten war das warten“. Ludwig Rosers Vater wurde 1939 eingezogen. Der Sohn erinnert sich, dass jeden Sonntag für die Soldaten in der Kirche gebetet und der Gefallenen gedacht wurde.

    Zu insgesamt 13 Fragen antworteten 15 Zeitzeugen mündlich vor der Kamera und drei Zeitzeugen schriftlich. Aufgezeichnet wurden mit der Kamera neun Stunden Filmmaterial, das die jungen Filmemacher Manuel Hagen und Lucas Hübner auf 90 Minuten zusammenschnitten. Dabei hatte Susanne Lorenz durchaus Überzeugungsarbeit leisten müssen, wie sie erklärte: "Es herrschte oft die Meinung vor, man habe nichts zu erzählen.“

    Zweiter Weltkrieg: Kaugummi kannten Königsbrunner Kinder nicht

    Das Ergebnis der Interviews zeigt, dass es sehr viel Interessantes zu erzählen gibt. Von Amerikanern, die dann kamen und Kaugummi sowie Schokolade verteilten. Bei Alois Luger spazierten die Amis mit Gasmasken und Gewehren einfach ins Haus, aßen die Kartoffelsuppe auf und zahlten mit Süßigkeiten: "Die Oma hat dann alles weggeworfen, weil sie dachte, die vergiften uns. Ich hab' davon nix gekriegt“, erzählt er. Irma Sager sagt: "Da habe ich meinen ersten schwarzen Mann gesehen, mit weißen Handflächen.“ Und auch Kaugummi habe sie gar nicht vorher gekannt und nur so getan, als ob sie wüsste, was sie mit dem Ding im Mund eigentlich tun soll. Diese Passagen sorgen auch für einige Lacher im Publikum.

    Vor Kriegsende gab es nicht soviel zu lachen, aber zu essen eigentlich immer, da waren sich alle mehr oder weniger einig. Die Bauerskinder hatten mehr, die anderen Kinder weniger. Aber Bauern waren nicht immer im Vorteil. Während der Bombennächte im November 1944 starben beispielsweise acht Menschen in einem selbstgebauten Luftschutzbunker auf dem Herget-Anwesen. Neben dem Bunker detonierte eine Bombe und von den Verschütteten konnte nur einer lebend geborgen werden, wie Susanne Lorenz ausführte.

    Erinnerungen an das Leben von Zwangsarbeitern in Königsbrunn

    Zu den Schicksalen der Kriegsjahre gehören auch die Erlebnisse der Zwangsarbeiter. Marianne Feigl (geb. Fiehl) erinnert sich, dass bei ihnen ein Stanislaus war und Wilhelmine Hoffmann weist auf eine junge Polin hin, die beim Josef Streicher wohnte. Hier trifft die Historie mit der Familiengeschichte von Stadtarchivarin Lorenz zusammen. Deren Mutter ist eine geborene Streicher: "Meine Mutter war fünf Jahre und Sofie Marec war 15 Jahre alt, als sie auf den Hof kam. Die beiden waren wie Schwestern.“

    Sofie Marec war aus Polen als 15-jährige Zwangsarbeiterin  auf den Bauernhof von Familie Streicher gekommen. Ihr Sohn Stanislaus wurde dort 1943 geboren.
    Sofie Marec war aus Polen als 15-jährige Zwangsarbeiterin auf den Bauernhof von Familie Streicher gekommen. Ihr Sohn Stanislaus wurde dort 1943 geboren. Foto: Claudia Deeney

    Sofie habe sich später verliebt und ihr Baby noch bei Familie Streicher entbunden. Sie ging nach dem Krieg zurück in die Heimat und hat dort geheiratet. 1990 kam ihr Sohn, den sie Stanislaus getauft hatte, die Nachkommen in Königsbrunn besuchen und sagte: "Meine Mutter hat immer gesagt, die Zeit auf dem Streicher-Hof sei die schönste Zeit in ihrem Leben gewesen.“ Hier schlägt die die Historie einen Bogen in die jüngere Vergangenheit und zeigt so eindrucksvoll, wie lange sich Erinnerungen halten und wie wichtig sie auch für die nachfolgenden Generationen sind.

    Ausstellung wird nun im Schaufenster des Kulturbüros gezeigt

    Zeitzeugen und ihre Aussagen sind Ribarek eine Herzensangelegenheit, wie sie betont, und deshalb hat das Kulturbüro kurzfristig umdisponiert. Da die konzipierte Gedenkausstellung zum Thema im Kunstkarée des Rathauses coronabedingt ausgesetzt werden, zeigt das Kulturbüro stattdessen einen Teil der Sterbebilder von gefallenen Soldaten, zusammen mit einem Ausschnitt von Kondolenzbriefen in den Schaufenstern des Kulturbüros.

    "Als Schaufensterausstellung ist das vielleicht auch eine Anregung, für Familien auf einem Spaziergang die Exponate anzuschauen“, sagt Ribarek. Auf alle Fälle möchte sie sowohl den Vortrag von Susanne Lorenz, den Film und die gesamte Gedenkausstellung einem breiten Publikum zugänglich machen, wenn es die Auflagen der Covid-19- Pandemie wieder zulassen.

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