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Königsbrunn: Wie Behinderteneinrichtungen mit der Corona-Pandemie umgehen

Königsbrunn

Wie Behinderteneinrichtungen mit der Corona-Pandemie umgehen

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    Während der Schließung der Einrichtungen im Frühjahr mussten die Angehörigen die Betreuung für Menschen mit Behinderung übernehmen.
    Während der Schließung der Einrichtungen im Frühjahr mussten die Angehörigen die Betreuung für Menschen mit Behinderung übernehmen. Foto: Soeren Stache, dpa (Symbolbild)

    Mit Herausforderungen kennen sich Gregor Beck und die Mitarbeiter des Fritz-Felsenstein-Hauses (FFH) in Königsbrunn eigentlich aus: 400 schwer mehrfach behinderte Menschen leben in der Einrichtung im Landkreis Augsburg oder gehen dort zur Schule. Mit individueller Betreuung und modernster Technik erarbeitet das Team passende Lösungen: Menschen, die nicht sprechen oder sich kaum bewegen können, lernen sich auszudrücken und im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Corona-Pandemie hat die Felsensteiner und viele andere Einrichtungen in Bayern aber vor essenzielle Probleme gestellt.

    Denn aufgrund ihrer körperlichen Voraussetzungen gehören viele Bewohner von Behinderteneinrichtungen zur höchsten Risikogruppe. Deshalb blieben zahlreiche Arbeitsstätten und Schulen teils von März bis Anfang Juli geschlossen. Ein Zustand, an den sich Gregor Beck nur mit Schaudern erinnert: "Es wird immer davon gesprochen, wie schwierig das Homeschooling war. Doch die Eltern und Angehörigen unserer Klienten haben in diesen Monaten wahre Heldentaten vollbracht."

    Die Angehörigen wurden mit der Pflege während des Lockdowns alleingelassen

    Vollzeit für die Rundumbetreuung eines schwer mehrfach behinderten Menschen zu sorgen, sei eine Herkulesaufgabe. Pflegepersonal für eine häusliche Betreuung sei kaum zu bekommen gewesen. Die Einrichtungen organisierten zwar Hausbesuche von Therapeuten, das sei aber bestenfalls punktuell eine Entlastung gewesen, sagt Beck: "Die Eltern wurden mit dieser enormen Aufgabe von der Politik alleingelassen und waren, das muss man so deutlich sagen, wieder einmal die Deppen der Nation."

    Für die Einrichtungen selbst war die monatelange Schließung auch finanziell ein enormes Problem. Beim Fritz-Felsenstein-Haus freut man sich, dass man mit den Geldgebern wie dem Bezirk Schwaben und den Schulfinanzierern faire Lösungen gefunden hat. Doch die Krankenkassen blieben hart: Geld gab es nur für tatsächlich geleistete Therapiestunden. "Das hat bei uns ein Loch von mehreren Hunderttausend Euro gerissen", sagt Gregor Beck. Als Organisation, die nicht profit-orientiert arbeitet, haben die Königsbrunner keine großen Rücklagen, um solch einen Einschnitt abzufangen. Den ersten Stillstand habe man einigermaßen verkraftet, sagt Beck. Bei weiteren Schließungen sei der Fortbestand des Fritz-Felsenstein-Hauses gefährdet.

    Behinderteneinrichtungen kämpfen gemeinsam für Corona-Hilfen

    Denn Fördertöpfe für Behinderteneinrichtungen in privater Trägerschaft gab und gibt es nicht. Das trifft nicht nur die Felsensteiner hart: Gemeinsam mit zahlreichen anderen Trägern aus ganz Bayern haben sie an die zuständigen Ministerien und die Krankenkassen appelliert, die Arbeit der Organisationen besser zu unterstützen. Die bayerischen Behindertenbeauftragten haben mit einer gemeinsamen Erklärung ebenfalls weitere Anstrengungen angemahnt, um die Fortschritte im Bereich der Teilhabe für Menschen mit Behinderung nicht aufs Spiel zu setzen. Auf Entscheidungen über eine bessere Förderung warten die Einrichtungen aber weiter.

    Daher konzentrieren sich die Verantwortlichen darauf, die Schulen und Einrichtungen offen zu halten und ihre Klienten bestmöglich zu schützen. Keine kleine Aufgabe, denn für die Arbeit gibt es kaum Handreichungen, sagt Gregor Beck: "Die Allgemeinverfügung für die Schulen bildet unsere Arbeit überhaupt nicht ab." Die Kinder und Jugendlichen im Fritz-Felsenstein-Haus brauchen eine individuelle Betreuung, für die Spezialisten verschiedener Fachrichtungen zusammen und mit ihnen arbeiten. Getrennte Gruppen zu bilden sei da nicht möglich.

    Vollbetrieb unter Corona-Bedingungen bedeutet viel Ansteckungsgefahr

    Das bedeutet im Falle von Infektionen auch jede Menge Gefahrenpotenzial, sagt Gregor Beck: "Wir haben ausgerechnet, dass ein Klient während der Inkubationszeit des Virus Kontakt zu 100 Menschen hat. Da muss man schon abwägen, ob man den Vollbetrieb wieder hochfährt." Bei 400 Klienten, die im Fritz-Felsenstein-Haus betreut oder beschult werden und 400 Mitarbeitern bedeutet das, das acht Corona-Fälle ausreichen würden, um die komplette Einrichtung lahmzulegen. Hinzu kommt, dass ein Drittel der erwachsenen Klienten und ein Viertel der Schüler aufgrund ihrer Behinderung keine Maske tragen können.

    Seit dem Ende der Sommerferien arbeitet das Fritz-Felsenstein-Haus wieder in einem angepassten Vollbetrieb. Die Verantwortlichen haben ein Hygienekonzept erarbeitet, viele Gruppenaktivitäten gestrichen und die Eltern für maximale Vorsicht vor Ansteckungen sensibilisiert. Im September und Oktober sei der Betrieb sehr gut gelaufen, mit den allgemein steigenden Zahlen im November kamen auch in Königsbrunn die Einschläge näher, sagt Beck.

    Die Bewohner und Mitarbeiter hielten bewundernswert zusammen. Und die Meldungen über bald verfügbare Impfstoffe seien bei aller gebotenen Zurückhaltung zumindest ein Silberstreif am Horizont. Doch trotz aller Vorkehrungen müsse man auch hoffen, dass alles gut geht, sagt der FFH-Chef: "Aber eine weitere Schließung konnten wir den Eltern einfach nicht antun. Deshalb halten wir den Betrieb am Laufen, solange es geht."

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